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Jesko Raffin: «Nur Motorradfahren macht nicht klug»

Von Günther Wiesinger
Jesko Raffin auf der NTS 2020

Jesko Raffin auf der NTS 2020

Der Schweizer Moto2-Pilot Jesko Raffin musste sich in den letzten Jahren über den Umweg Moto2-EM und MotoE neu für die Moto2-WM empfehlen. Er beschreibt, warum er nie aufgab und in der Elektro-Serie viel gelernt hat.

Jesko Raffin bereitet sich auf die Fortsetzung der Saison im niederländischen NTS RW Racing Team vor. Der Zürcher hat 2014 und 2018 die CEV-Repsol-Moto2-Europameisterschaft gewonnen und dazwischen schon als Stammfahrer die WM bestritten. Doch trotz Platz 4 beim Australien-GP 2017 wurde er vom Selektions-Komitee nach dieser Saison, die in der ersten Jahreshälfte erfolglos verlief, wegen «mangelnder fahrerischer Kompetenz» nicht mehr als Stammfahrer zugelassen.

Die Schweiz mit ihrem überschaubaren TV- und Motorradmarkt bildete damals eine schlechte Basis, außerdem verlor das CGBM-Team damals einen der drei Moto2-Startplätze. Raffin musste also wieder in die EM zurückkehren und neu durchstarten. Auch für 2019 fand er keinen Fixplatzt, also unterschrieb er für den MotoE-Weltcup bei Intact GP, wo ihm mit Platz 4 in Misano das beste Saisonergebnis gelang.

Dazu durfte Raffin bereits im Frühjahr statt des verletzten Steven Odendaal bei RW Racing die japanischen NTS fahren, als Teamkollege von Bo Bendsneyder. «Ich bin ohne Testfahrten bei den ersten drei Grand Prix 2019 zweimal in die Punkte gefahren, mit einem Bike, von dem ich keine Ahnung hatte, wie es sich anfühlt», hält sich Raffin zugute.

Dank dieser Performance rief ihn NTS RW Racing auch im Herbst nach der Trennung des erfolglosen Odendaal an. Vorher durfte aber Jesko in Aragón noch die Kalex des verletzten Marcel Schrötter steuern, ehe er beim Australien-GP 2019 auf der NTS wieder drei Punkte kassierte und dadurch als Teilzeit-GP-Fahrer immerhin den 27. WM-Rang erreichte.

«Ich wollte mir nach schwierigen Jahren wieder einen Moto2-WM-Platz verdienen», hält Raffin fest. «Mein Ziel war es, nicht aufzugeben, weil ich schon so viel für meinen Traum gemacht und gearbeitet habe. Deshalb kam es für mich nicht in Frage, das Handtuch zu werfen.»

Raffin machte trotzdem nach der Saison 2017 in der Schweiz eine Ausbildung zum Fitness-Coach. «Ich habe mich dazu entschieden, weil ich neben dem Motorradfahren etwas gebraucht habe, was meine Hirnzellen aktiviert. Denn nur Motorradfahren macht nicht klug. Ich brauchte etwas, um mich auch als Mensch weiterzubilden und mein Wissen zu vergrößern. Ich habe dann die Ausbildung zum Fitness-Coach gewählt, nicht als Hobby, sondern weil mich Sport insgesamt interessiert. Deshalb habe ich diese Schule absolviert.»

Die MotoE-Serie gab Raffin im Vorjahr immerhin die Möglichkeit, im GP-Paddock zu bleiben, außerdem hielt er im Intact GP Team als Ersatzfahrer Kontakt zur Moto2. Aber das Fahren mit der elektrischen Energica Ego Corsa war natürlich gewöhnungsbedürftig. «Die MotoE war in jeder Hinsicht für 2019 genau das Richtige», lautet das Resümée. «Ich durfte in einem Top-Team mitfahren. Ich war im Zirkus drin. Und weil die MotoE nur wenige Events hatte, gab es Zeit für die Moto2-Einsätze bei NTS und Intact. Hätte ich eine andere Serie bestritten, wäre es zeitlich nicht aufgegangen. Darum war das sicher gut. Außerdem konnte ich mich als Fahrer weiterentwickeln. Früher war immer eine Schwachstelle von mir, dass ich nicht gleich von Anfang an pushen konnte. Ich brauchte immer viele Runden, bis ich auf Touren kam. In der MotoE-Superpole hatte ich nur eine Quali-Runde. So konnte ich diese Schwachstelle während der Saison ausmerzen. Ich behaupte, dass ich das jetzt gut meistern kann. Das wird mir in der kommenden Saison in den 15-Minuten-Qualis helfen. Es war mir auch eine große Ehre und Freude, dass ich in Aragón für Intact GP den Moto2-WM-Lauf bestreiten durfte. Ich konnte dabei von Crew-Chief Patrick Mellauner und den anderen Technikern viel lernen. Ich bin sehr dankbar, dass ich da reingerutscht bin.»

Auch die kurzen MotoE-Rennen über vier, fünf oder sechs Runden entpuppten sich als neue Herausforderung. Raffin: «Das Abdrücken von Anfang an hat man in der MotoE rasch lernen müssen, egal ob in der Superpole oder im Rennen.»

Das geräuschlose Fahren, das Fahren ohne Motorbremse und das hohe Fahrzeuggewicht erwiesen sich aber als gewöhnungsbedürftig.

«Da ist mir entgegengekommen, dass ich in den letzten Jahren oft das Fabrikat und die Rennserie gewechselt habe», sagt der zweifache Europameister und ehemalige Gewinner des deutschen Yamaha-Cups. «2017 bin ich die Europameisterschaft auf einer Kalex gefahren, das letzte Rennen musste ich auf einer Suter absolvieren. Ich bin Dritter geworden, obwohl ich das Motorrad nicht kannte. Dann musste ich mich vor einem Jahr schnell an die NTS anpassen, nachher in der MotoE war es ähnlich. Inzwischen ist diese rasche Anpassungsfähigkeit ans Material eine Stärke von mir geworden. Aber natürlich ist das keine ideale Voraussetzung, um gute Leistungen zu bringen. Denn du hast ein neues Team, neue Techniker, ein anderes Motorrad. Es muss das Vertrauen wachsen… Es ist immer einfacher, wenn man sein eigenes Bike hat und das Vertrauen über mehrere Rennen hinweg aufbauen und dann attackieren kann.»

«Die MotoE selbst war sicher eine große Umstellung, vor allem weil diese Motorräder fahrerisch eher schwierig sind, denn du kommst sehr schnell an das Limit vom Motorrad. Und dann musst du irgendwie einen Weg finden, um dieses Limit zu umfahren. Das ist nicht ganz so easy. Das ist der Punkt, der mir am meisten zu schaffen machte, ich durfte das Limit nicht ‚überfahren‘. Ich musste einen Weg finden, das Limit auch im Grenzbereich noch irgendwie abzubremsen. Das war sicher ein Abenteurer.»

Der Zürcher hat sich im Winter auch zum Ziel gesetzt, gegenüber 2019 ein paar Kilogramm Körpergewicht abzuspecken. «Es war mein Ziel 3 bis 4 kg abzunehmen. Mit Kombi und restlicher Ausrüstung war ich 2019 in Malaysia zwischen 84 und 85 kg schwer. Ich war aber nach dem Quali auch voll geschwitzt. In dieser Saison will ich auf 80 kg kommen, dann bin ich zufrieden, weil ich ja zu den großen Fahrern gehöre. Ich muss ja von irgendwoher auch noch die nötige Energie bekommen. Die Ausrüstung wiegt meistens zwischen 9 und 10 kg. Und es gibt viele Gegner, die samt Ausrüstung 75 kg oder weniger wiegen.»

«Ich bin jetzt ready, um eine geile Saison zu starten», sagt Raffin.

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