Forward Racing: Hinter dem Scheitern steckt System
Welchen Sinn die Zusammenarbeit zwischen MV Agusta und Forward Racing für das italienische Werk machte, hat niemand verstanden, auch die MV-Agusta Legende Giacomo Agostini nicht. Denn der Gitterrohrstahlrahmen der F2 wurde ursprünglich bei Suter Industries in der Schweiz gebaut und nie ernsthaft weiterentwickelt, weil MV nichts dazu beitrug. Auch vom MV-Agusta-Entwicklungszentrum CRC in San Marino kam keine nennenswerte Hilfe. Denn dort existiert kein nennenswertes Racing-Knowhow.
Die Abkürzung CRC steht übrigens für «Centro Richerce Castiglioni», früher bedeutete es «Centro Richerce Cagiva», als diese Marke noch aktuell war. Die Dreizylinder-Motoren kamen von Triumph, obwohl MV Agusta in der Supersport-WM selbst mit eigenen Dreizylinder-Bikes auftritt.
Das Joint Venture zwischen Forward und MV Agusta kam durch die Bekanntschaft von Cuzari mit Giovanni Castiglioni (seine Familie gründete einst Cagiva) zustande, der bei der italienischen Marke inzwischen nicht mehr operativ tätig ist. Der neue Eigentümer Sardarov hat inzwischen 25,1 Prozent von MV Agusta Motor an die Pierer Gruppe verkauft, die auch den weltweiten Vertrieb für die italienische Edelmarke übernommen hat.
Forward-Teambesitzer Giovanni Cuzari passte nie so recht zum Image von MV Agusta, dem Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta Ende 2015 die beiden MotoGP-Plätze wegnahmen, nachdem Cuzari im Juli 2015 für ein paar Wochen hinter Gitter gewandert war.
Die Turbulenzen im Forward-Team erreichten ihren Höhepunkt, als Cuzari im April 2017 vom Tribunale di Milano zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe auf Bewährung (wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche) verurteilt wurde.
Seit Jahren ist in Zusammenhang mit Forward immer wieder von unbezahlten Fahrergagen und unbezahlten Rechnungen die Rede.
Übrigens: Beim San-Marino-GP in Misano (18. bis 20. September 2020) wunderten sich einige Teammitglieder in den Nachbarboxen von Forward über das Erscheinen der Polizei. Nachher war zu hören, es seien zwei Sätze Räder und ein MV-Agusta-Rahmen beschlagnahmt worden. Beim MV Agusta Forward Racing Team mit Sitz in Lugano in der Schweiz sei während des Grand Prix von San Marino und Rimini eine einstweilige Verfügung der italienischen Justiz vollstreckt worden, wurde im Fahrerlager berichtet. Forward soll einem italienischen Unternehmen aus der Saison 2017 noch den Teil eines vereinbarten Betrags von zirka 30.000 Euro schuldig geblieben sein, wurde damals im Paddock des Misano World Circuits kolportiert.
2016: Baldassarri sorgte für den letzten Sieg
Lorenzo Baldassarri hat am 11. September 2016 auf einer Kalex des Forward-Teams noch den San-Marino-GP gewonnen und die WM an achter Stelle abgeschlossen. Doch er nahm nach der Saison 2017 Reißaus, Kalex lieferte keine Bikes mehr.
Im Januar 2018 wurde von Marco Curioni, bis Ende 2015 Managing Director von Forward Racing und der 2016 liquidierten Cuzari-Firma Media Action S.A., ein Insolvenzantrag gegen die Aktiengesellschaft Forward Team S.A. eingebracht.
Übrigens: Der Italiener Cuzari hat am 10. Januar 2022 in seiner Tessiner Wahlheimat die Firma Forward Racing S.A. mit Sitz in Agno liquidieren lassen. Sie war laut Handelsregister am 25.11. 2009 gegründet worden.
Der Niedergang von Forward Racing ließ sich aber durch diese Maßnahme nicht aufhalten.
Forward 2022: Das letzte Aufgebot
Marcos Ramirez und Simone Corsi bildeten als Forward-Fahrerduo 2022 sozusagen das letzte Aufgebot: Ramirez kassierte fünf Punkte ein und beendete die WM an 30. Stelle; Corsi blieb punktelos.
In der Konstrukteurs-WM 2022 verlor MV Agusta knapp den Anschluss an die Konkurrenz. 1. Kalex 477,5 Punkte. 2. Boscoscuro (200,5 Punkte. 3. MV Agusta 5 Punkte.
Warum das Selektions-Komitee (Dorna und IRTA) den Vertrag mit Forward trotzdem jedes Jahr verlängert, während Kiefer Racing (WM-Titel mit Stefan Bradl 2011 in der Moto2 und in der Moto3 mit Danny Kent im Jahr 2015) nach 2019 leer ausging, ist schwer zu begreifen.
Der sparsame Umgang mit der Wahrheit hat Forward-Teamchef Giovanni Cuzari in den letzten Jahren oft Ärger eingebrockt. Die jüngste Auswirkung ist die Trennung von MV Agusta, die von SPEEDWEEK.com beim Valencia-GP Anfang November verkündet wurde. Sie wurde bisher nie offiziell bestätigt, ist aber unumstössliche Tatsache.
Der Plan, mit dem kleinen mexikanischen Nischenhersteller Italika ein neues Fabrikat in die Moto2-WM zu bringen, ist ebenfalls gescheitert. Italika rückt das nötige Geld nicht heraus.
Da die Hersteller Boscoscuro und Kalex keine Maschinen an das erfolglose Forward-Team liefern und Firmen wie Öhlins mit dem Tessiner Rennstall nur gegen Vorkasse Geschäfte machen, gehen Cuzari langsam die Möglichkeiten aus.
Aus Italien ist zu hören, der in die Enge getriebene Cuzari denke inzwischen sogar über komödiantische Markenbezeichnungen wie «Moto Cuzzi» und «Cugiva» nach, die er 2023 in die Moto2 bringen möchte.
Cagiva stand einst für Castiglioni, Giovanni und Varese. Cuzari fantasiert jetzt, das könne künftig für Cuzari, Giovanni und Varese stehen. Immerhin liegt Varese nur ca. 30 Autominuten vom Forward-Hauptquartier in Agno/Tessin entfernt...
Dass sich die Piaggio-Group gegen die Eintragung einer Motorradmarke «Moto Cuzzi» bei der Wettbewerbsbehörde wegen der Verwechslungsgefahr heftig widersetzen würde, ist klar.
Bisher steht noch das Team MV Agusta Forward Racing in der Moto2-Entry List für 2023 – mit der dynamischen Fahrerpaaarung Alex Escrig und Marcos Ramirez. Escrig debütierte im November beim Valencia-GP mit einer Wildcard und war im Quali gleich 0,5 sec schneller als Ramirez. Doch im Rennen verlor er als 19. nicht weniger als 55,179 Sekunden auf Sieger Pedro Acosta.
Wie lange der Überlebenskampf von Forward in der Moto2 noch dauert, wird sich zeigen.
Schon 2014 platzten die Forward-Pläne mit FTR
Giovanni Cuzari plante schon 2014 ein Moto2-Werksteam. Damals mit FTR, doch es kam nie zustande. Bei FTR in England war zu hören, die Zahlungsmoral von Forward habe zu wünschen übrig gelassen. Cuzari widersprach.
Schließlich kaufte Cuzari für 2014 gebrauchte Kalex-Bikes vom Blusens-Team und taufte sie Forward-KLX. Kalex-Geschäftsführer Alex Baumgärtel wetterte damals: «In diesen Beständen befand sich ein verbogenes Chassis von Max Neukirchner aus dem Kiefer-Team, das mehr als 20 Stürze hinter sich hatte.»
Auch die kühne Behauptung von Forward Racing, man werde 2018 das Suter-Werksteam in der Moto2-WM bilden, entpuppte sich als Unwahrheit. Der Moto2-Hersteller Suter (er gewann die Fahrer-WM 2012 mit Marc Márquez und 2011 und 2012 die Marken-WM) belieferte 2017 noch die Teams Intact und Kiefer mit den MMX2-Maschinen aus Turbenthal und zog sich dann aus der Moto2-WM zurück. Forward Racing kündigte vor der Saison 2018 per Press Release an, man werde künftig das exklusive Suter-Werksteam bilden.
Eskil Suter, Geschäftsführer von Suter Industries, offenbarte im November 2017 im Interview mit SPEEDWEEK.com eine ganz andere Sicht der Dinge. «Wir liefern nur unser gebrauchtes 2017er-Material an Forward, aber es wird keine Weiterentwicklung mehr stattfinden und kein On-Track-Support. Und wir liefern nur gegen Vorkasse.»
Denn eigentlich hatte sich Suter zu diesem Zeitpunkt bereits aus der Moto2-WM zurückgezogen.
Vier Jahre mit MV Agusta ohne Wiedererkennungswert
Die Zusammenarbeit mit MV Augusta glich in den letzten vier Jahren alles anderem als einem seriösen Werksauftritt. Selbst vom äußerlichen Design her erinnerten die Bikes zuletzt nicht einmal mehr im Entferntesten an die glorreiche MV-Agusta-Ära der 1960er- und 1970er-Jahre.
Solange Forward ein Joint-Venture mit MV Agusta als Hersteller mit eigener Konstrukteurslizenz vorweisen konnte, musste das Selektions-Komitee gute Miene zum bösen Spiel machen. Denn mit Moriwaki, FTR, TSR, Suter, KTM und NTS hatten sich schon genug Chassis-Hersteller aus der Mittelgewichtsklasse verabschiedet.
Ohne die italienische Marke im Hintergrund und ohne neue konkurrenzfähige Motorräder könnte die Existenzgrundlage von Forward mit den zwei Moto2-WM-Plätzen bald in Gefahr kommen. Der endgültige Absturz droht.
Da Kalex und Boscoscuro das Forward-Team nicht beliefern, steht jetzt Material bereit, dessen Konzept im Grunde fünf Jahre alt und nicht mehr konkurrenzfähig ist.
Dem mehrlichtigen Giovanni Cuzari wird in Italien nachgesagt, er habe sieben Leben wie eine Katze.
Mangels interessierter Werke liebäugelt Stehaufmännchen Cuzari jetzt mit der Idee, seine Stahlrahmen-Bikes, die in der Marken-WM seit 2019 konstant den letzten Platz beschlagnahmt haben, unter der Marke Forward einzusetzen.
Forward heißt auf Deutsch «vorwärts».
Der Trend des Teams geht aber in die gegensätzliche Richtung.
Rückwärts ins Jahr 2014, zurück in die Zeiten von Forward-KLX.