Tex Geißler: Ein GP-Podestplatz, Data-Recording-Genie
In Trostberg im oberbayerischen Landkreis Traunstein erblickte Manfred Geißler am 10. Januar 1971 das Licht der Welt und wuchs im elterlichen Gasthof «Zum Roiter» in Altenmarkt auf. In diesem betätigte sich der gelernte Schlosser fallweise als Aushilfskellner oder als Fährmann am nahen Flüsschen Alz, dem Abfluss des Chiemsees.
Ende 1990 tauchte er erstmals im OMK-Pokal auf, doch wegen eines Trainingssturzes konnte er am Rennen auf dem Flugplatzkurs von Straubing nicht teilnehmen. Also ging es 1991 erst richtig los. Am Saisonende bestritt er auch seine ersten Rennen in der Klasse bis 125 ccm in der der Deutschen Motorradmeisterschaft und fuhr gleich in die Punkteränge.
1992 kam Geißler ins ADAC-Junior-Team und landete regelmäßig in den punktebringenden Top-15. Beim letzten Saisonrennen, dem nach Most ausgelagerten Sachsenring-Rennen, feierte er als Dritter hinter dem etablierten WM-Piloten Dirk Raudies und dem Hohenstein-Ernstthaler Rigo Richter seinen ersten DM-Podestplatz.
1993 wollte Geißler im Team Aprilia Rallye Sport in der DM möglichst weit vorne mitmischen. Da sich aber Peter Öttl bei Testfahrten vor dem Saisonstart im australischen Eastern Creek verletzte, wurde er von Harald Eckl in dessen Team Aprilia Deutschland ersatzweise befördert und kam so überraschend und kurzfristig zu seinen ersten WM-Einsätzen.
Bei seinem Sprung ins kalte Wasser belegte er am 28. März in Down Under den 17. Rang. Nach einem weiterem 17. Platz in Shah Alam in Malaysia kehrte Peter Öttl beim dritten Saisonrennen in Japan ins Team zurück, sodass sich «Tex» Geisler (woher er seinen Ersatz-Rufnamen hat, weiß er selbst nicht so genau) zunächst tatsächlich auf die Deutsche Meisterschaft konzentrieren konnte. Mit Erfolg, denn mit seinem ersten DM-Sieg in Brünn und seinem zweiten auf dem Schleizer Dreieck sowie einem Punktemaximum als bester Deutscher in Assen und dazu zwei weiteren Podestplätzen gewann er 1993 die Deutsche Motorradmeisterschaft der Klasse 125 ccm. Dirk Raudies gewann übrigens im selben Jahr die 125er-WM...
Dennoch kam Tex in jenem Jahr parallel zu weiteren WM-Einsätzen. Ab August ersetzte er im zwielichtigen deutschen «Team & Co.» den entlassenen Maik Stief. Beim vorletzten Saisonrennen in Laguna Seca in den USA holte der Bayer als Zehnter seine ersten WM-Punkte.
Weil er sich eine Woche später beim vorletzten DM-Rennen im niederländischen Assen vorzeitig den Titel in der Deutschen Meisterschaft sichern konnte, stand auch seiner Pflichterfüllung beim zeitgleich mit dem DM-Finale im spanischen Jarama stattfindenden letzten Saisonrennen der WM nichts mehr im Weg. Bei diesem sah der 125er-Pilot nach einem Kolbenklemmer allerdings keine Zielflagge.
1994 wurde Manfred Geißler neben Peter Öttl im Team Marlboro Aprilia Eckl vollwertiger Grand-Prix-Fahrer, kam aber mit Standardmaterial nur bei drei von 14 WM-Läufen in die Punkteränge. In Suzuka wurde er 14., in Brünn Zehnter sowie in Laguna Seca 15.
Besser lief es für Geißler 1995, als er zumindest mit Vorjahres-Werksmaterial ausgerüstet sechs Mal Zählbares mit nach Hause nahm und mit 35 Punkten WM-15. wurde. Sein Saisonhighlight setzte er beim Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring, bei dem er als Siebter über die Ziellinie fuhr.
1996 fuhr Tex Geißler bei acht der 15 Rennen in die Punkte und konnte trotz seiner 54 gesammelten WM-Zähler als Gesamt-16. sein Vorjahresendergebnis nicht toppen. Dabei hatte er sich mit Platz 5 in Suzuka seinem ersten WM-Podest wieder ein Stück genähert.
Für das Rennjahr 1997 war für Geißler und seinen inzwischen Langzeitteamkollegen Peter Öttl kein Platz mehr im permanent mit Budgetsorgen kämpfenden Team Aprilia Deutschland. Zudem übernahm Teamchef Harald Eckl das Kawasaki Racing Team in der Superbike-Weltmeisterschaft. Beide 125-ccm-Fahrer kamen aber im Team UGT-3000 des Motorrad-Grau-Importeurs Ralf Schindler unter. Während Peter Öttl eine Werks-Aprilia pilotierte, musste Geißler mit einer Production-Honda vorliebnehmen. Demzufolge hatte er es wieder schwer, in die Punkte zu kommen. Dies gelang ihm erst beim fünften Saisonrennen auf dem A1-Ring bei Spielberg in Österreichs Steiermark, dem heutigen Red Bull Ring. Peter Öttl hatte sich wieder einmal verletzt, sodass Geißler mit der schnelleren Maschine ausrücken durfte und mit der ihm anvertrauten Werks-Aprilia als 13. ins Ziel kam.
Nach einem zwölften Platz in Assen und einem 16. im italienischen Imola auf der Production-Honda unmittelbar hinter Peter Öttl, durfte Geißler beim Deutschland-GP auf dem Nürburgring wieder mit der Aprilia des bei einem Fahrradunfall neuerlich verletzten Landsmanns Öttl ausrücken. Mit Erfolg, denn hinter dem gerade aufgehenden Stern und Seriensieger Valentino Rossi sowie dem Japaner Yoshiako Katoh feierte Tex seinen ersten und einzigen WM-Podestplatz. Danach wurde Peter Öttl vom Team wegen unbequemer Kritik entlassen und Manfred Geißler dauerhaft auf die Werks-Aprilia gesetzt. Insgesamt kam er in jenem Jahr sechs Mal in die Punkte und schloss die WM mit 31 Zählern als 16. ab. Damit war er zwar bestplatzierter Deutscher, musste aber dennoch seine Karriere nach 64 bestrittenen Grands Prix beenden.
Nach seiner aktiven Karriere blieb er bis heute Teil des Grand-Prix-Zirkus. So arbeitete er zum Beispiel als Teammanager bei Yamaha Kurz und entwickelte sich nach und nach unter Mithilfe von 2D-Chef Dirk Debus zum Data-Recording-Spezialisten. Nach vielen Jahren im Suzuki-Werksteam in der MotoGP-Klasse sowie bei Forward-Yamaha wechselte der heute in Pittenhart wohnende Familienvater 2016 ins MotoGP-Testteam von KTM und ist seit 2017 fester Bestandteil des orangen Grand-Prix-Teams. Geißler war 2017 und 2018 Data-Engineer bei Bradley Smith, 2019 bei Johann Zarco und 2020 bei Brad Binder, der am 9. August sensationell den Brünn-GP gewann.
In seiner Freizeit ist der jung gebliebende Tex Geißler begeisterter Eishockeyspieler der Trostberger Alzbären. Mit ihnen gewann er im vergangenen März zum wiederholten Mal die Inn-Chiemgau-Hockey-Liga (ICHL).
Herzlichen Glückwunsch, Tex!