Pionier des kreativen Ungehorsams: Gunter Frohn wird 70
Wenn wir heute die weltweiten Erfolge von Ken Roczen feiern, so ist dies auch ein Ergebnis der Aufbauarbeit früherer Generationen: Bekanntlich kommt Ken Roczen aus Mattstedt, einem kleinen Ort in der ostdeutschen Provinz. Bekannt ist auch seine enge Verbindung zu Suzuki.
Weniger bekannt ist, dass dieses Band bis zu einem Mann reicht, dem es gelang, Suzuki bereits vor der politischen Wende und trotz der Gefahr von drakonischen Strafmaßnahmen, im Osten Deutschlands zu etablieren.
Es ist ein Band der Geschichte, das mit dem ersten deutschen Weltmeister Paul Friedrichs beginnt.
Mehr als 25 Jahre nach dem Fall des eisernen Vorhangs kann sich heute kaum noch jemand vorstellen, unter welchen Bedingungen Motocross in der DDR ausgeübt wurde - insbesondere nach der Machtergreifung Honeckers.
In den 1950er und 1960er Jahren wurde Motocross noch gefördert. Die DDR suchte nach internationaler Anerkennung und bekam sie durch Paul Friedrichs, der in den Jahren 1966-1968 dreimal hintereinander Weltmeister wurde.
Die Machtergreifung Honeckers im Jahre 1971 war ein Todesstoß für den internationalen DDR-Motocross. Fortan galten nur noch olympische Sportarten als förderungswürdig. Erschwerend kam hinzu, dass die bis dahin dominierenden tschechischen CZ-Motorräder zunehmend ins Hintertreffen gerieten - besonders gegen die aufstrebende und hungrige japanische Konkurrenz, die es gegen ein tschechisches, planwirtschaftlich organisiertes Unternehmen auch nicht sonderlich schwer hatte.
Die Generation nach Paul Friedrichs wurde, wie der Rest der ostdeutschen Bevölkerung nach dem Mauerbau 1961, komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Ihre Protagonisten hießen: Manfred Stein, Heinz Hoppe und Torsten Wolff. Der heutige Kawasaki-Teamchef Harald Pfeil gehörte, wie der Teutschenthaler Vereinsvorsitzende Joachim Jahnke, zu einem inneren Kern von Sport-Enthusiasten, welche die Grenzen des beengten Systems austesteten, unter Inkaufnahme konkreter persönlicher Nachteile eines totalitären politischen Systems.
Motocross ist ein hochgradig technischer Sport. Die verfügbare Technik in der Mangelwirtschaft der DDR hielt nicht stand. Nicht einmal in der DDR-Meisterschaft konnte man mit Serienmaterial einen Blumentopf gewinnen. Bei den wenigen internationalen Begegnungen mit den Ostblock-Bruderländern im Rahmen des Pokals der Freundschaft (einer Art Ostblock-WM) tauchte in den 1980er Jahren immer mehr ´NSW-Technik´ auf (NSW bedeutete ´Nicht-sozialistisches Wirtschaftsgebiet´).
Besonders die ´Brudervölker´ Ungarn und Bulgarien bedienten sich aber sehr wohl modernster Technik von Yamaha, Suzuki, Honda, SWM und Husqvarna, denn Bulgarien hatte mit Dimitar Rangelov einen WM-Aspiranten in ihren Reihen. Als der überragende Jaroslav Falta 1974 auf der Werks-CZ gegen Gennadij Moiseev (KTM) unterlag, wurde unübersehbar, dass CZ nicht mehr konkurrenzfähig war.
An wassergekühlte Motoren und Zentralfederung war im Osten nicht zu denken. Die Motocross-Maschinen der DDR waren hochgradig getunt. Einer der begnadetsten Tuner der Zweitakt-Technik war Ernst Wolff aus Drehna, der am 3. September 2014 im Alter von 78 Jahren verstarb. Er und einige weitere findige Tuner suchten nach immer neuen Wegen, aber das Material stieß rasch an seine Grenzen. Die Bikes waren gut, aber anfällig. Kolbenklemmer und Rahmenbrüche standen auf der Tagesordnung. Selbst das DDR-Wertungsreglement trug der massiven Ausfallrate Rechnung: Es gab ein Streichresultat!
Um an konkurrenzfähiges Material zu kommen, musste NSW-Material beschafft werden. Das aber war verboten. Fahrzeuge durften in die DDR weder importiert noch dort gefahren werden. Selbst, wer Verwandte und Sportfreunde im Westen hatte, durfte Devisen bestenfalls in den Intershop-Läden der DDR ausgeben oder bei einer Organisation, die sich Genex - Geschenkdienst- und Kleinexporte GmbH nannte, wo es aber überwiegend nur schwer erhältliche DDR-Güter wie Autos oder Kühlschränke gegen D-Mark zu kaufen gab. An Motocross-Motorräder war also auch hier nicht im Ansatz zu denken.
Gunter Frohn, der am 15. Februar 70 Jahre alt wurde, gelang das Unmögliche: Trotz der restriktiven Verbote, trotz Mauer und Stacheldraht, trotz Überwachung und ohne Kommunikationsmittel, schaffte er es, zunächst Motoren (Sachs) und später ganze Motorräder der Marke Suzuki in die DDR zu ´importieren´.
Dieser ´Import´wäre nach der Lesart der DDR-Gesetzgebung eindeutig als ´Schmuggelhandel´ und ´Devisenunterschlagung´ schwer bestraft worden. Vergleichbare Vergehen wurden mit der Begründung ´Landesverrat´ mit Freiheitsstrafen belegt!
Gunter Frohn riskierte mit seinem kreativen Ungehorsam für den Sport seine eigene Freiheit!
Gunter Frohn ist ein Motocross-Urgestein - ein Enthusiast im positivsten Sinne des Wortes. Er war ein Spitzenfahrer der DDR, dem zwar nie ein Titel gelang, der aber die gesamte Entwicklung nachhaltig veränderte.
Sein ganzes Leben war und ist dem Sport verbunden. Er schaffte es, auf den Strecken im ´sozialistischen Ausland´ Freundschaften zu knüpfen, die ihm den Zugang zu westlicher Technik ermöglichten. Dieser Pioniergeist wurde zum Vorbild für viele andere Piloten.
Immer mehr namhafte Fahrer besorgten sich auf abenteuerlichen Wegen Motorräder von Suzuki, Yamaha, Honda und KTM, verunstalteten und tarnten sie als Eigenbau. Das flog natürlich auf und Mitte der 1980er Jahre gab es jährlich neue Reglements: Die ´Eigenbau´ - Bikes mussten für eine unausweichlich gewordene ´Spezialtechnik´ - Klasse in ein CZ-Kurbelgehäuse eingebaut werden. Dieser viel zu große Motorblock passte natürlich nicht in die kürzeren Rahmen der Suzuki!
Wie quälend muss es sein, ein Motorrad, das man unter schwierigsten Umständen unter absurden persönlichen Gefahren für sagenhaft teures Geld besorgt hatte, einfach zu zersägen, damit der erlaubte, archaische Motorblock zwecks Reglementkonformität hineinpasst?
Gunter Frohn hat in dem Bereich des Motorsports die Öffnung des eisernen Vorhangs ein Stück weit vorweggenommen.
Begonnen hat Gunter Frohn als Radrennfahrer und ist 1963 zum Motocross gewechselt. 1967, als Friedrichs Weltmeister wurde, erreichte der Sandspezialist den dritten Rang der nationalen Meisterschaft. 1973 und 1974 wurde er Vizemeister in der Klasse bis 125ccm.
Abenteuerliche Lösungen sind in dieser Zeit in diversen technischen Konstellationen entstanden: Suzuki-Zylinder auf CZ-Kurbelgehäuse, CZ-Werksmotoren in Suzuki-Rahmen, luftgekühlt, wassergekühlt in allen erdenklichen Variationen.
Und so wurde Gunter Frohn - ganz inoffiziell - zum ersten Suzuki-Importeur in Ostdeutschland. Die Verbindung reichte über Ernst Wolff bis zu seinen erfolgreichen Sohn Torsten, der die Suzuki-Armada in Ostdeutschland zum Erfolg führte. In dessen Gefolge: Heiko Klepka, der Vater von Ken Roczen.
Der findige Tüftler erwirtschaftete sich diese erheblichen Investitionen (der Wechselkurs Ostmark/D-Mark betrug damals 10:1) durch die Produktion und den Verkauf von selbst entwickelten und produzierten Motocross-Griffen (Marke GuFro, wie seine Initialen), die im Sinne des Wortes «griffig» waren und in der Szene reißenden Absatz fanden.
Wer zu DDR-Zeiten Motocross gefahren ist und erfolgreich sein wollte, musste von der Sache mehr als besessen sein - weit über das rein Sportliche hinaus. Diesen Biss haben die Leute vom Schlag eines Gunter Frohn und Heiko Klepka bis heute.
Mit Stolz erzählt Frohn über seine freundschaftliche Verbindung zum Suzuki-Werksteam von Sylvain Geboers und dem amerikanischen RCH-Team von Ricky Carmichael, feiert jeden Erfolg von Ken Roczen und schlägt sich am Wochenende die Nächte um die Ohren. Er betreibt in Lübben im Spreewald einen Suzuki-Stützpunkt und hat ein eigenes Motocross-Team. Aktive Nachwuchsförderung steht dabei im Vordergrund.
«Mein Fuß wurde gerade operiert», meint der Jubilar, «aber es geht schon wieder besser. Die Ärzte sagen, dass die Heilung gut verläuft. Dann steige ich auch wieder aufs Motorrad.»
Eine Suzuki - versteht sich!
Herzlichen Glückwunsch!