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Pit Beirer: 3 positive Faktoren – Familie, Geld, KTM

Von Günther Wiesinger
«KTM war nach meinem Unfall ein Steigbügel für mich. Weil mir Stefan Pierer vertraut hat, fällt es mir heute nicht schwer, für KTM zu kämpfen», sagt der querschnittsgelähmte Pit Beirer.

Als Pit Beirer nach seinem schweren Sturz beim Motocross-GP am 8. Juni 2003 in Bulgarien als Querschnittsgelähmter einen Bürojob bei KTM übernahm, hatte das Werk aus Mattighofen 79 Weltmeistertitel gewonnen. Heute hält KTM bei 275 WM-Titelgewinnen.

Beirer, in der 250-ccm-Cross-WM unter dem Künstlernamen «Pit Bull» bekannt, hat fast Übermenschliches geleistet, die Rennabteilung konsequent ausgebaut und auch die Road Racing Abteilung als ehemaliger «Motocross-Fuzzy» mit Serien wie IDM Superbike, Red Bull Rookies-Cup, dann Moto3, ADAC Junior Cup, zuletzt MotoGP und Moto2 unter dem Motto «Ready to Race» salonfähig gemacht.

Ohne dem ehrgeizigen und konsequenten Rennmanager schmeicheln zu wollen: Pit Beirer leistet in seinem Job mehr als die meisten Gesunden. Und bei ihm ist kein Funken Bitterkeit zu spüren, das Glas ist immer halb voll, keiner setzt die Ready-to-Race-Idee hartnäckiger um.

«Ich fühle mich selten behindert», stellte Pit im ersten Teil unseres Interviews fest.

Von 1989 bis 1994 nahm der aus Radolfszell am Bodensee stammende Pit Beirer an der 125-ccm-Cross-WM teil. Sein größter Erfolg in dieser Kategorie war der fünfte Gesamtrang 1994. Ab 1995 startete «Pit Bull» in der 250-ccm-Cross-WM-Klasse. 1997 und 1998 sowie 2000 und 2002 wurde er dabei WM-Dritter, 1999 Vizeweltmeister. In den Jahren 1991, 1992 und 2002 gewann Beirer die Deutsche Motocross-Meisterschaft.

Der heute 44jährige Pit Beirer fuhr in der Cross-WM für Kawasaki, Yamaha und Honda, erst 2003 kam er zu KTM, nach wenigen Grand Prix passierte der verhängnisvolle Sturz in Sevlievo/Bulgarien.

Firmenchef Stefan Pierer überließ den jungen Familienvater nicht seinem Schicksal, sondern sicherte ihm die vereinbarte Fahrergage für zwei weitere Jahre zu und holte ihn in die Firma.

Heute geht es um Pit Beirers beruflichen Aufstieg im Motorsport-Management beim KTM, den starken Rückhalt von Firmenchef Stefan Pierer und um die Mühen des Alltags.

Pit, du bist rund vier Monate nach dem Unfall im Herbst 2003 zu KTM gekommen. Du hattest dort im Büro anfangs keine richtige Aufgabe. Das hat sich aber bald geändert.

Ja, in den ersten Monaten war ich eine Art Sponsoren-Betreuer, da gab es aber nicht viel zu betreuen.

Im März 2004 wurde dann die Abteilung Motorsport-Marketing für mich gegründet.

Wie lange hat es dann gedauert, bis du in der Firma etwas zu reden hattest?

Durch meine Motocross-Vergangenheit und meine Unterstützung durch Stefan Pierer und Heinz Kinigadner durfte ich von Anfang an in der Motorsport-Abteilung im Chefbüro mit drinsitzen. Dort saß damals der Global Motorsport Manager Kurt Nicoll. Durch meine aktive Art, Dinge zu hinterfragen und zu beeinflussen, habe ich sehr früh das Gehör von Stefan Pierer erreicht, mit meinen Ratschlägen, die gut gemeint waren und die irgendwann erhört wurden.

Ungefähr im Jahr 2006 war dann die kritische Wende, wo sich Kurt Nicoll in Europa nicht mehr ganz so wohl gefühlt und verstärkt nach Amerika geschaut hat.

Er ist dann wirklich über Nacht abgereist und war nicht mehr greifbar. Danach saß außer mir niemand mehr im Motorsport-Chefbüro.

Warum hat sich der ehemalige 500-ccm-Motocross-Vizeweltmeister in Europa nicht mehr wohl gefühlt?

Wenn ich jetzt zurückdenke, dann war der Druck von der Seitenlinie, der von mir kam, sicherlich nicht angenehm. KTM-Berater Heinz Kinigadner hat es sichtlich genossen, als er gesehen hat, dass das Motorsportbüro wieder anfing zu leben und eine Dynamik anzunehmen. Heinz hat mich extrem unterstützt. Somit wurden meine Worte auch im Vorstand erhört. Normalerweise wäre ich noch nicht in der Position gewesen, im KTM-Vorstand irgendwelche Meldungen loszulassen.

So hat eines das andere ergeben.

Dieser frische Wind hat Kurt unterstützt in seinem Wunsch, nach Amerika zu gehen. Als wir uns ein paar Jahre später intensiv darum gekümmert haben, auch im amerikanischen Motorsport wirklich aktiv zu werden, ist ihm auch dort der Druck zu groß geworden. Er hat zuerst bis 2010 in Amerika noch den Motorsport für KTM geleitet, also drei vier Jahre. Aber als mich Stefan Pierer 2010 gebeten hat zu kontrollieren, was in Amerika so läuft, hat es auch dort Veränderungen gegeben,

Dann ist die Verantwortung so «step bei step» zu mir rüber gewandert.

Stefan Pierer hat sich 2003 sehr fair verhalten, als er deinen sicher gut dotierten Fahrervertrag nach dem Unfall nie in Frage gestellt hat. Das ist in diesem Business keine Selbstverständlichkeit. Und er hat dir sofort einen Job angeboten.

Viele kennen diese Menschlichkeit und diese menschlichen Gesten von Stefen Pierer nicht, weil sie bei ihm immer nur diesen harten Geschäftsmann sehen...

Wenn irgendwelche Fahrer bei uns irgendwelche Probleme haben, was da im Hintergrund alles läuft, um diesen Leuten zu helfen, das ist außergewöhnlich. Und das war bei mir auch so.

Ich war im Juni 2003 noch nicht lang bei KTM. Wir wollten zwar schon jahrelang zusammenarbeiten, dann haben wir uns endlich gefunden, ein halbes Jahr später ist der Unfall passiert.

KTM hat mir zu diesem Zeitpunkt nichts geschuldet. Die hätten sagen können: «Er funktioniert nicht mehr als Werksfahrer, danke, das war’s.»

Doch Stefan Pierer hat gesagt: «Diese zwei Jahre wird Pit als Werksfahrer weiter beschäftigt, danach schauen wir weiter. Er wird bei uns einem Job haben, egal was er machen will.»

Dabei hat Stefan Pierer damals noch nicht einmal gewusst, ob oder wie ich aus diesem Krankenhaus wieder rauskomme.

Daran lässt sich leicht erkennen, warum es mir so leicht fällt, für KTM zu kämpfen. Denn diese Entscheidung war damals vom ganzen Vorstand mitgetragen. Die ganze Spitze von KTM hat das mit unterstützt. Deshalb fällt es mir nicht schwer, jetzt für diese Menschen einzustehen und für diese Firma zu kämpfen.

Als ich ganz unten war, war KTM ein Steigbügel, der neben meiner Familie für meine Entwicklung und das ganze Leben danach der Wichtigste war.

Diese Aussage des Stefan Pierer war einer der wichtigsten Momente in meinem Leben. Er sagte: «Pit ist bei uns , der gehört zu uns, der bleibt bei uns. Aus!»

Es gibt etliche andere Beispiele von Weltklassefahrern wie du, die nach schweren Verletzungen beruflich nicht mehr weiterkamen. Das war sicher anfangs ein beunruhigendes Szenario? Du warst in einer Situation der Ungewissheit?

Ich habe, glaube ich, aus meiner Verletzung und Situation viel gemacht.

Aber ich hatte drei positive Faktoren: Eine junge, sehr intakte Familie und gute Freunde. Finanziell habe ich als Motocross-Profi doch ein bisschen Geld auf die Seite gebracht. Und drittens hatte ich eine Zukunftsperspektive über KTM. Das waren die drei Säulen, die viele Fahrer halt nicht haben, wenn sie verunglücken. Die sind vielleicht zehn Jahre jünger, wenn sie verunglücken, sie haben keine feste Partnerin, die in so einer Situation zu dir steht.

Dann kommst du sehr schnell in eine Negativspirale.

Ich hatte sehr gute Menschen um mich und habe irgendwie auch Verantwortung gespürt, für diese Menschen weiter zu ziehen. Das waren ganz wichtige Momente.

Eines möchte ich an dieser Stelle noch loswerden: Wenn dir eine Firma wie KTM, angeführt von Stefan Pierer, in dieser Situation hilft, dann versteht man auch, weshalb ich bis heute bei KTM noch nie einen Vertrag gebraucht habe.

Wenn dieser Mann zu mir sagt: «Die Arbeit ist in Ordnung, das geht weiter.» Dann brauche ich kein Papier, auf dem das bestätigt wird. Und dieses Verhältnis ist Gott seit Dank nach wie vor intakt.

Hast du eigentlich Verständnis, wenn Heinz Kinigadner sagt: Der Pit ist ein gesunder Querschnittsgelähmter im Vergleich zu meinem Sohn Hannes.»

Ja, denn mir tut der Hannes schrecklich leid, dass er diese Chance nicht hat wie ich. Das ist ein ganz schmaler Grat. Der Körper fängt unten an der kleinen Zehe an. Bis zu meiner Lähmungshöhe beim fünften Brustwirbel verschenkst du eh schon ganz schön viele Zentimeter.

Aber die nächsten Zentimeter verändern dann die Lebensqualität noch einmal um ein Vielfaches. Ich trau' mich zu sagen: So schlimm es ist, nimmer laufen zu können, aber: Von einem Gesunden zu mir ist fast weniger Unterschied als von Hannes zu mir.

Denn wenn die Hände beeinträchtigt sind, brauchst du einfach für so viele Sachen mehr Hilfe. Ich kenne keinen Rollstuhlfahrer, der fleißiger trainiert und mehr Therapie macht als der Hannes, um aus dem Bisschen was er hat, noch etwas zu machen. Er ist deshalb enorm fit für diese Lähmungshöhe. Bei ihm ist der fünfte Halswirbel betroffen.

Da ist schon die Atmung in Gefahr, dass du selbstständig atmen kannst. Und der Hannes atmet selbstständig, fährt Liegerad, fährt inzwischen selbständig Auto und sogar mit dem Buggy Autorennen. Es ist bewundernswert, was er alles macht.

Aber der Unterschied bei der Ausgangslage von mir zu ihm ist gravierend, deshalb können wir uns nicht vergleichen.

Für einen Laien kommen aber wir beide im Rollstuhl daher. Und der Rollstuhl-Gelähmte, der zum Teil seine Beine noch bewegen kann oder bei dem die Lähmungshöhe wie bei mir sehr weit oben ist, das sind dann richtige Klassenunterschiede, die der Laie einfach nicht sieht.

Denn für den Laien ist ein Rollstuhlfahrer ein Rollstuhlfahrer. Aber da gibt es leider sehr viel Unterschiede!

Wie beschwerlich sind für dich manche Mühen des Alltags? Wie lange brauchst du in der Früh, bis du ins Büro wegfahren kannst?

Ich brauche eine Stunde. Denn ich brauche für alles länger. Ich hüpf’ nicht aus dem Bett. Ich muss über eine mühsame Drehung versuchen, meinen Oberkörper in eine Sitzposition zu bringen. Dann muss ich jedes Bein einzeln aus dem Bett rausheben, dann klettere ich in den Rollstuhl rein, fahre ins Bad, klettere auf die Toilette, dann klettere ich wieder zurück in den Rollstuhl. Wenn ich in einem Hotel bin, in dem keine behindertengerechte Dusche ist, muss ich in die Badewanne klettern.

Und daheim hast du einen Lift für die Badewanne?

Nein, nein, ich habe keinen Lift für gar nichts. Aber ich habe daheim einen passenden Stuhl und eine offene Dusche. Ich fahr neben den Stuhl, hau’ mich auf den Stuhl und dusche. Im Hotel hast du es nicht immer so perfekt. Es gibt zum Beispiel extrem schöne Behindertenduschen, die sehr großzügig sind, ich könnte da reinrollen. Aber die Leute vergessen: Ich kann nicht in dem Rollstuhl, in dem ich den ganzen Tag sitzen muss, duschen. Wenn der patschnass ist, sitz ich den ganzen Tag auf einem nassen Sitzkissen.

Das sind Dinge, über die die Leute nicht nachdenken. Das ist gut gemeint, funktioniert aber nicht. Ein Sitz, auf den ich zum Duschen rüberrutschen kann, würde schon reichen. Das könnte der primitivste Plastikstuhl sein. Du brauchst nicht viel, aber du brauchst ein bisserl was.

Du musst halt dann von einem normalen Sessel ein Handtuch auf deinen Rollstuhl legen und rüber rutschen. Dann liegt aber das Handtuch unter dir, du bist aber bis zur Schulter hoch gelähmt. Du musst also zuerst einmal das Handtuch, das unter dir liegt und auf dem du sitzt, wieder rauskriegen.

Bittest du dann manchmal deine Frau Ilona: Bitte zieh’ mir das Handtuch raus.

Nein, nie.

Mir ist es lieber, die Ilona richtet mir inzwischen ein gescheites Frühstück her.

So lange Gott mir beisteht und ich alles selber machen kann, mache ich es selber. Ich will für diese Dinge keine Pflege und keine Hilfe.

Denn genau das macht uns als Familie aus, dass sich Ilona um alle anderen Dinge kümmert und ich mich selber versorgen kann.

(Der 3. Teil des Pit Beirer-Interviews erscheint am Donnerstag)

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