Lin Jarvis (Yamaha): Was läuft alles schief?
Der Franzose Johann Zarco (27) hat in diesem Jahr bei vier Rennen zwei Podestplätze errungen, Rossi und Viñales je einen. Bitter: Johann Zarco liegt in der WM an zweiter Stelle, er ist Leader Márquez (zwölf Punkte Rückstand) dicht auf den Fersen. Vinãles und Rossi halten sich an dritter und sechster Stelle der WM-Tabelle.
Noch ärgerlicher: Alex Rins und Andrea Iannone haben bei den letzten drei Rennen drei dritte Plätze belegt. Suzuki könnte sich damit bald als dritte Macht hinter Honda und Ducati im MotoGP-Sport etabliert. Iannone lauert bereits auf dem vierten WM-Rang.
Und zu allem Überdruss droht Yamaha noch der Verlust des MotoGP-Kundenteams, nachdem sich Tech3 nach 20 Jahren mit KTM verbündet hat.
Es gibt also triftige Gründe für ein Interview mit Lin Jarvis, Managing Director von Yamaha Motor Racing mit Sitz in Gerno di Lesmo. Er musste sich zuletzt vorwerfen lassen, für 2019 und 2020 Viñales wieder engagiert zu haben statt Zarco zu verpflichten.
Tech3-Yamaha-Teambesitzer Hervé Poncharal lacht sich ins Fäustchen und sagt nur: «Zarco hat viel Vertrauen in sein Können und volles Vertrauen zu seinem Team und seinen Technikern.»
Ist das bei Movistar-Yamaha nicht der Fall? Maverick Viñales wirkt seit fast einem Jahr verzweifelt, er findet keinen Ausweg, Valentino Rossi fordert mehr Support vom Yamaha-Werk, die Japaner hätten die Elektronik-Entwicklung verschlafen, lautet sein Vorwurf.
Fakt ist: Das Yamaha-Werksteam ist in der Vergangenheit nie so deutlich von einem Privatfahrer der Marke gedemütigt worden wie heute.
Bei Honda besiegten zum Beispiel 2004 und 2005 Gibernau und Melandri das Repsol-Team – auf den Gresini-Honda. Bei Yamaha kam das bisher nie vor.
Valentino Rossi ging am Sonntag nach Platz 5 in Jerez («Ohne die Stürze wäre ich Achter geworden») mit den Yamaha-Ingenieuren hart ins Gericht.
Lin, letztes Jahr besiegte Zarco das Yamaha-Werksteam in Jerez, in Barcelona ebenfalls. Das geht jetzt schon seit einem Jahr so. Langsam drängt sich die Frage auf: Fährt der beste Yamaha-Pilot nicht im Werksteam?
(Er grübelt). Hm. Wir haben erst vier Rennen hinter uns.
Aber die Situation hält seit mehr als einem Jahr an.
Und die Ergebnisse sagen auch viel aus über die Qualität des Motorrads, das wir dem Tech3-Team zur Verfügung stellen. Letztes Jahr hatten wir alle möglichen Probleme mit dem Chassis und mit der Wahl des Chassis.
Jetzt sind wir beim Chassis zu etwas zurückgekehrt, das der 2016-Version ähnlich ist. Die Probleme von 2017 hatten viel damit zu tun, dass wir Mühe hatten, das richtige Chassis auszuwählen. Die Wintertests 2016/2017 und die ersten Rennen 2017 sind für uns sehr gut gelaufen. Wir haben drei von vier Grands Prix gewonnen. Es war das Movistar-Yamaha-Team, das 2017 vier Rennen gewonnen hat, nicht das Tech3-Team.
Und am Jahresende war Maverick Viñales WM-Dritter, nicht Johann Zarco. Man darf also nicht einzelne Rennen bewerten, man muss die komplette Saison im Auge behalten.
Gut. Aber Viñales kam als MotoGP-Sieger zu Yamaha, Zarco als Rookie aus der Moto2-Klasse.
Jedenfalls sind wir 2018 zu einem Chassis-Design zurückgekehrt, das Ähnlichkeiten mit dem Konzept von 2016 hat. Und Zarco hat dasselbe Chassis wie das Werksteam. Er hat die neuesten Aero-Updates, er hat die neuesten Motoren. Die Spezifikationen seines Motorrads sind im Grunde identisch mit den Werksmaschinen.
Der Unterschied: Wenn wir neue Entwicklungsteile haben, werden sie zuerst im Werksteam ausprobiert. Manchmal ist es im Rennsport so: Die Unterschiede in der Renn-Performance hängen am Schluss vom Fahrer ab, von seinem Fahrstil, von seiner mentalen Herangehensweise.
Und manchmal ist es besser, wenn der Fahrer keine vielfältige Auswahl hat. Denn wenn du keine vielfältige Auswahl hast, kümmerst du dich um die Perfektion des vorhandenen Bikes mit den Mitteln, die dir zur Verfügung stehen. Und das Motorrad, über das Zarco verfügt, ist sehr, sehr konkurrenzfähig.
Zarco hat das 2017-Chassis dreimal getestet und ist dann zum 2016-Chassis zurückgekehrt. Außerdem darf er jetzt seine M1-Motoren 500/min höher drehen als im Vorjahr.
Ich weiß nicht, wie oft er das 2017-Chassis getestet hat. Er hat jedenfalls beim Chassis jetzt dieselbe Spezifikation wie das Werksteam.
Rossi und Viñales klagten im Vorjahr und schon 2016, das Chassis würde die Reifen im letzten Renndrittel zu stark beanspruchen. Deshalb wurden mehrere neue Chassis-Updates gemacht. Im Januar meinte Rossi plötzlich, es liege an der Elektronik, Honda und Ducati hätten da mehr investiert. Sind die Yamaha-Techniker ein Jahr in die falsche Richtung marschiert?
Ich denke, es ist nicht entweder das Chassis oder die Elektronik. Ich denke, es ist eine Kombination von beidem. Sagen wir, das Chassis ist das fundamentale Schlüssel-Problem des Bikes. Wir haben eine Richtung eingeschlagen, die gut lief. Deshalb sind die Wintertests 2016/2017 so gut gelaufen. Wir sind dauernd Bestzeiten gefahren und haben bis Assen 2017 vier Rennen gewonnen. Das ist die Realität.
Haben wir dann beim Chassis die falsche Wahl getroffen? Schwer zu sagen. Wenn unsere Elektronik 2017 bereits fortschrittlicher gewesen wäre, vielleicht wäre uns dann letztes Jahr eine viel bessere Saison gelungen.
Jetzt sind wir zu einem Chassis zurückgekehrt, von dem beide Fahrer meinen, es vermittle Vorteile beim Turning, sie fühlen sich komfortabler damit, sie haben mehr Vertrauen. Wir wissen aber, dass wir auch unser Elektronik-Paket verbessern müssen.
Wir haben bei den letzten Rennen in dieser Hinsicht ein paar kleine Fortschritte erzielt. Doch wir wissen, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben.