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Zwist bei Ducati: Ist Andrea Dovizioso schnell genug?

Kolumne von Günther Wiesinger
Mugello-GP 2018: Lorenzo siegte erstmals auf Ducati. Rechts: Gigi Dall'Igna

Mugello-GP 2018: Lorenzo siegte erstmals auf Ducati. Rechts: Gigi Dall'Igna

Bei Ducati Corse hängt der Haussegen schief. Die missglückte Jorge-Lorenzo-Rückholaktion verärgerte Dovizioso. Er spricht nur mehr in dringenden Notfällen mit Renndirektor Gigi Dall'Igna.

Den Höhepunkt des GP von Österreich bildete das Rad-an-Rad-Duell Marc Márquez gehen Andrea Dovizioso. Der Italiener gewann, Ducati verlängerte in der Steiermark das Sieg-Abonnement – nach Iannone 2016, Dovizioso 2017 und Lorenzo 2018 trumpfte neuerlich Dovizioso auf.

Trotzdem ist bei Ducati Corse nicht alles eitel Wonne. Spätestens seit der Dutch-TT in Assen Ende Juni war ein wachsendes Zerwürfnis zwischen Ducati-Corse-General Manager Gigi Dall‘Igna und Dovizioso zu spüren, das beim GP von Deutschland offensichtlich wurde und in Spielberg eskalierte.

Seit drei Jahren gelingt es Ducati nicht, einen Titelgewinn von Márquez und Honda zu verhindern.

Deshalb liegen inzwischen die Nerven blank.

Frontalangriff gegen Rennchef Dall'Igna

Andrea Dovizioso hat den Saisonauftakt 2019 in Doha/Katar gewonnen, aber nachher gingen die Niederlagen los. Der 33-jährige Italiener (bisher 14 MotoGP-Siege) stürzte in Catalunya, der Rückstand auf WM-Leader Márquez wuchs, bei den Roten aus Borgo Panigale wurde ein Sündenbock gesucht.

Aus Sicht von Dovizioso war es Konstrukteur Gigi Dall’Igna, der sich auf umstrittene Mätzchen wie den Hinterradspoiler einließ, der zum handfesten Krach mit allen anderen MotoGP-Werken führte, er bastelte das «holeshot device», eine Startvorrichtung, die beim Start bis zum ersten Bremsmanöver das Federbein blockiert und Blitzstarts ermöglicht. Aber Honda donnert ohne diese beiden Erfindungen von Sieg zu Sieg.

Bei Ducati wurden die Misserfolge (Dovi blieb zwischen Doha und Spielberg neun Rennen lang ohne Sieg) vermehrt Dovi angelastet, zumal er in dieser Phase mehrmals von seinem Teamkollegen Danilo Petrucci besiegt wurde.

Allmählich wuchs bei Dovizioso der Frust. Beim Sachsenring-GP im vergangenen Juli ging der WM-Zweite in die Offensive und verlangte bei Ducati nach Platz 5 im Rennen eine technische Revolution. Das kam einem Frontalangriff gegen Dall’Igna gleich. Auch Danilo Petrucci klagte: «Unser Rückstand im Rennen ist besorgniserregend.»

«Wir brauchen eine Strategie für die Zukunft, nicht für den Moment», polterte Dovi in Sachsen. «Es geht um das Einlenkverhalten und das wird nicht einfach, das braucht Zeit. Wir konnten da noch nichts finden. Ich spreche schon seit sechs Jahren darüber. Nach den beiden guten Jahren sind wir an einem kritischen Moment angelangt. Die Gegner werden besser und besser. Man kann auf dem TV-Bildschirm erkennen, wenn wir gegen andere Motorräder kämpfen, dass wir in der Kurve zu langsam sind. Die Realität ist aber noch heftiger. Wir müssen eine andere Situation schaffen und uns mehr darauf konzentrieren als auf andere Sachen.»

Dazu muss man wissen: Dovi kam vor der Saison 2013 zu Ducati, damals war die Desmosedici kein Sieger-Motorrad, sie wurde es erst wieder unter Dall’Igna, der im Oktober 2013 von Aprilia zu Ducati wechselte, weil er nach vielen Siegen und Titelgewinnen in der 125er-, 250er- und Superbike-WM endlich auch in der Königsklasse triumphieren wollte.

Andrea Iannone sorgte dann 2016 in Spielberg für den ersten Ducati-Sieg seit 2010 ( mit Casey Stoner), Dovi feierte seinen ersten Ducati-Erfolg 2016 in Sepang.

Bis dahin existierten in der MotoGP-WM «The Big Four», das waren Márquez, Lorenzo, Rossi und Pedrosa. Dovizioso gehörte nicht dazu, beendete die WM aber nachher 2017 und 2018 an zweiter Stelle.

Trotzdem blieben Zweifel. Was könnte einer der vier Superstars mit der kraftstrotzenden Ducati vollführen?

Auch Ducati und deren deutsche Eigentümer VW/Audi wollten es wissen, dazu Sponsor Philip Morris. So wurde der fünffache Weltmeister Jorge Lorenzo für die horrende Gage von 25 Millionen Euro für zwei Jahre (2017/2018) angegiert und Dovi vor die Nase gesetzt.

Ein Misstrauensvotum, wie es im Buche steht.

Dovi wurde als Vizeweltmeister mit einer Gage von ca. 1 Million Euro abgespeist.

Lorenzo gelang es jedoch mit seinem sanften Fahrstil mehr als ein Jahr lang nicht, die widerspenstige Ducati zu zähmen. Er siegte erst beim Mugello-GP 2018. Ducati-Chef Claudio Domenicali hatte zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossen, den Vertrag für 2019 nicht zu verlängern, einen Haufen Geld zu sparen und Petrucci für ca. 1 Million vom Pramac-Kundenteam ins Werksteam zu transferieren.

Dovi bekam für 2019 eine saftige Gehaltserhöhung und den klaren Auftrag, endlich die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Seit 2007 war Ducati mit diesem Ziel immer fehlgeschlagen.

Dovizioso: Mit dem Mut der Verzweiflung

Momentan liegt Dovi nach elf von 19 Rennen 58 Punkte hinter Márquez. In Italien wird ihm vorgeworfen, ihm fehle der Killerinstinkt. Vielleicht stürzte er sich deshalb in Spielberg im Finish mit dem Mut der Verzweiflung auf Márquez.

Nach diesem bewundernswerten Manöver am Sonntag in der Zielkurve meinte Pramac-Ducati-Pilot Jack Miller: «Sehr eindrucksvoll. Nur schade, dass Dovi so etwas nicht auf jeder anderen Rennstrecke gelingt.»

Bei Ducati haben sich Dovizioso und Dall’Igna seit Wochen nichts mehr zu sagen.

Der Streit gipfelte jetzt darin, dass sich der erfolgreiche und in Italien als Genie verehrte Dall‘Igna als einziger Topmanager von Ducati dafür einsetzte, Lorenzo von Honda zurückzuholen, noch dazu für 2020, obwohl der Spanier einen HRC-Vertrag bis Ende 2020 besitzt.

Dovizioso hingegen gab sich dem Irrglauben hin, er habe das Gespenst Lorenzo nach zwei mühseligen Jahren endlich verscheucht. Doch in Spielberg geisterte es wieder durch die Ducati-Box.

Dovi wollte zum leidigen Thema «Lorenzo-Rückkehr zu Ducati» kein Wort verlieren. «Fragt Gigi», bellte er.

Grande Casino ist der italienische Begriff für «großes Durcheinander». Bisher wurde das Wort meist in Zusammenhang mit dem Formel-1-Team von Ferrari erwähnt.

Jetzt passt es auch zu Ducati.

Die Kontrahenten von Honda, Yamaha und Suzuki reiben sich genüsslich die Hände.

Ein Team wie Red Bull-KTM kann sich für 2021 Hoffnungen auf die Verpflichtung von Dovi machen, einen Red Bull-Vertrag hat er bereits.

Ein Frieden bei Ducati zeichnet sich nicht ab.

Die Roten haben letztes Jahr mit Dovi und Lorenzo sieben Siege gefeiert, 2019 erst drei. Im Vorjahr triumphierte Lorenzo dreimal, Dovi viermal.

Ob Dovi das fahrerische Niveau von Márquez, Lorenzo und Rossi hat, die in der MotoGP-WM fünf, drei und sieben Titel gewonnen haben, bleibt weiter fraglich.

Fakt ist: Dovi hat weder die 250er- noch die MotoGP-WM gewonnen. Ein Schönheitsfehler. Kurios: 2017 in Malaysia musste ihm Jorge Lorenzo den Sieg überlassen, um die WM-Titelentscheidung bis Valencia zu verzögern. Dovi stürzte dort, Márquez räumte den Titel ab.

Bei Ducati Corse spürt man die Bemühungen, die delikate Situation schönzureden. «Wir liegen in der WM an zweiter und dritter Stelle», betont Sportdirektor Paolo Ciabatti.

Aber das Schönwetter-Machen funktioniert nicht.

Lorenzo wird 2020 sein zweites Repsol-Honda-Jahr absolvieren.

Andrea Dovizioso wird jetzt eineinhalb Jahre lang erleben, wie Gigi Dall’Igna seinen Lieblingsfahrer Jorge Lorenzo für 2021 umgarnt.

Merke: Die MotoGP ist nicht nur auf der Rennstrecke spannend.

Denn es existieren bei den sechs Herstellern mehr Siegermotorräder als wahrhafte Titelanwärter.

Das erlebt auch Yamaha.

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