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Carmelo Ezpeleta: «GP-Saison vielleicht unmöglich»

Von Günther Wiesinger
Carmelo Ezpeleta im Gespräch mit Günther Wiesinger

Carmelo Ezpeleta im Gespräch mit Günther Wiesinger

Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta macht sich im Exklusiv-Interview mit SPEEDWEEK.com keine Illusionen mehr. Der Spanier redet Klartext: Die GP-Saison 2020 muss eventuell abgesagt werden.

Spätestens seit gestern der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz öffentlich erklärt hat, dass es in Österreich und im restlichen Europa keine Reisefreiheit geben werde, solange keine wirksamen Impfstoffe oder Therapien gegen Covid-19 vorhanden seien, ist in punkto Motorsport für die Saison 2020 mit dem Schlimmsten zu rechnen. Denn bis ein Impfstoff alle drei vorgeschriebenen Phasen durchlaufen hat, dauert es 12 bis 18 Monate. Bis zur Zulassung werden Qualität (gibt es Nebenwirkungen?), Sicherheit und Wirksamkeit geprüft. Bis dahin ist diese Motorsportsaison gelaufen.

SPEEDWEEK.com unterhielt sich vor wenigen Minuten telefonisch exklusiv und ausführlich mit Carmelo Ezpeleta, dem Chief Executive Officer von Dorna Sports S.L. Die spanische Sportmarketing-Agentur beschäftigt 450 Mitarbeitende und besitzt seit 1992 die kommerziellen Rechte für den GP-Sport und seit 2012 auch für die Superbike-WM. Die GP-Rechte laufen laut FIM-Vertrag bis 2041, die SBK-Rechte bis 2036.

Während Ezpeleta bisher allen Teams, Fahrern, Sponsoren, Veranstaltern und Fans immer wieder Hoffnungen machte, spricht er jetzt erstmals Klartext. «Wir befinden uns im Krieg», stellte der 72-jährige Spanier fest. «Es ist vorstellbar, dass 2020 keine Motorrad-WM stattfinden kann.»

Carmelo, die Aussagen von Kanzler Kurz bedeuten einen harten Schlag für die gesamte Sportwelt. Es sieht so aus, als würden die Grenzen in Europa noch lange geschlossen bleiben. Es werden also keine Fahrer und Teammitglieder zu den Grand Prix reisen können.

Ja, ja. Ja. Das ist auch mein Gefühl.

In Spanien ist die Situation sehr schlimm, in Italien und Frankreich auch.

Ich bin auch der Meinung: Bevor wir keine Impfstoffe haben, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen, wird es sehr schwierig oder gar unmöglich sein, Grands Prix und andere Großveranstaltungen zu organisieren.

Selbst wenn sich das Leben wieder ein bisschen normalisieren sollte, werden die Reiseverbote in allen Ländern aufrecht bleiben. Wenn es nicht so wäre, wären sie verrückt.

Es wird also nicht gehen, dass eine große Anzahl von Menschen ein Fussballmatch live miterlebt oder einen MotoGP-Event besucht.

Ich bin nicht sehr zuversichtlich, dass wir die Möglichkeit haben werden, die GP-Saison 2020 durchzuführen.

Auch wenn wir weiter emsig daran arbeiten. Wir fassen alle erdenklichen Lösungen ins Auge.

Aber ehrlich gesagt: Es würde mich überraschen, wenn es möglich wäre, in diesem Jahr WM-Rennen zu veranstalten. Wir müssen jetzt die nächsten Entwicklungen abwarten.

Du hast einen Vertrag mit der FIM, in dem von mindestens 13 Grand Prix die Rede ist.

Dieser Vertrag ist kein Problem, denn es gibt eine «Force Majeure»-Klausel. Bei höherer Gewalt können wir die Anzahl der Grand Prix reduzieren. Wenn wir weniger Rennen haben, macht mir das keine Sorgen. Wir können trotzdem Weltmeister küren.

Die FIM veranstaltet die «Cross Country Rallye-WM» für die Dakar-Fahrer. Diese Rennserie beinhaltet fünf Events, einer wurde schon abgesagt. Trotzdem gibt es vorläufig noch eine Weltmeisterschaft. Kannst du dir eine WM mit drei, vier oder fünf Rennen vorstellen, die womöglich erst im Oktober beginnt?

Ehrlich gesagt: Wenn wir die Möglichkeit bekommen, die WM neu zu starten, werden wir das machen. Es spielt dann keine Rolle, wie viele Rennen wir noch zustande bringen.

Wir haben noch mehr als fünf Monate Zeit bis September. Wenn wir im September beginnen könnten, ließen sich noch mehr als vier oder fünf Grand Prix abwickeln. Wir könnten dann den Kalender noch einmal komplett auf den Kopf stellen.

Vielleicht können wir ein paar Rennen in Europa durchführen und dann nach Asien reisen, wenn dort bis dahin die Reiseverbote gelockert werden.

Es hängt davon ab, wie sich die Lage weltweit entwickelt.

Sobald wir ein grünes Licht erblicken, können wir reagieren und alles tun, was uns ermöglicht wird. Jedes Rennen, das wir in dieser Saison zustande bringen können, werden wir organisieren. Wir werden uns auch mit ganz außergewöhnlichen Umständen abfinden.

Wichtig ist aber, dass die Sicherheit und die Gesundheit aller Beteiligten gewährleistet ist. Wenn sich bei einem unserer Events jemand infiziert, dann wird man uns das ewig vorwerfen.

Wir können auch überleben, wenn wir die Saison 2020 komplett streichen müssen. Wenn wir dieses «worst case»-Szenario akzeptieren müssen, werden wir uns rechtzeitig und gewissenhaft auf die Saison 2021 vorbereiten.

Im Moment hat auch Vorrang, dass wir den Teams helfen, das Jahr 2020 finanziell zu überleben. Wir bezahlen monatlich Geld aus, auch wenn kein einziges Rennen stattfindet.

Irgendwann werden wir sehen, ob 2020 noch etwas zustande kommen kann.

Was ist in deinen Augen die Mindestanzahl von Rennen, die man braucht, um einen würdigen Champion küren zu können? In Sportarten wie Ski, Rad, Leichtathletik, Boxen, Judo und so weiter wird der Weltmeister bei einem einzigen Wettbewerb gekürt.

Wir befinden uns wegen Corona in einer ganz außergewöhnlichen Situation. Sobald wir einen genauen Überblick über die genaue Lage haben, werden wir uns mit den Teams, Herstellern, mit der FIM und allen anderen Partnern unterhalten. Sie sind alle genau so stark wie wir daran interessiert, Rennen durchzuführen, wenn die Möglichkeit besteht.

Wenn wir uns heute vorstellen, wir bringen nur drei Grands Prix zustande, wird es eine sehr seltsame Meisterschaft sein. Aber warum nicht?

Für mich ist es besser, eine geringe Anzahl von Rennen zu veranstalten als untätig daheim zu sitzen.

Aber wenn wir die Events nicht bei wirklicher Rücksicht auf die Gesundheit abwickeln können, wenn das nicht sichergestellt werden kann, werden wir nichts riskieren. Überhaupt nichts!

Wir müssen uns nichts vormachen. Die Regierungen und Gesundheitsbehörden werden dann gar nicht zulassen, dass wir einen Grand Prix durchführen.

Ein Grand Prix unterscheidet sich ja stark von einem Fußballmatch, das du mit 40 oder 50 Leuten im Stadion abwickeln kannst. 22 Athleten, dazu der Betreuerstab. Du kannst im Fußball auch gut auf die Zuschauer verzichten. Das hat alles schon stattgefunden.

Kannst du dir für 2020 Grands Prix ohne Zuschauer vorstellen?

Ja, denn es ist besser, Rennen ohne Zuschauer zu haben statt gar keine Rennen.

Wir haben ja in einem GP-Paddock im günstigen Fall sowieso schon 2000 Menschen.

Wir müssten also 2000 Menschen rund um die Welt schicken. Das geht nur, wenn der Virus besiegt oder die Verbreitung stark eingedämmt ist. Sonst ist das eine sehr schwierige Aufgabe.

Ich hoffe zwar, dass es erste Impfstoffe gegen Corona früher gibt als man heute erwartet. Dorna-Arzt Dr. Zasa ist in Kontakt mit der Universität in Barcelona, die sprechen mit der Uni in Pittsburgh, wo es anscheinend schon vielversprechende Wirkstoffe getestet werden.

Aber wie gesagt: Die Reiseverbote werden erst aufgehoben, wenn wir ein Gegenmittel haben, das die Ansteckung verhindert.

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