Danilo Petrucci (Ducati): Die ungewisse GP-Zukunft
Mugello-Sieger Danilo Petrucci
Es wäre jammerschade, wenn Danilo Petrucci mit 29 Jahren nach zwei Jahren im Ducati-Werksteam an der Seite von Andrea Dovizioso aus der MotoGP-WM verschwinden müsste. Der WM-Sechste muss seinen Platz bekanntlich für den 25-jährigen Jack Miller räumen.
Danilo Petrucci hat Charisma, er ist schlagfertig, witzig, unterhaltsam, ehrlich, dazu kampfstark, schnell im Regen und im Trockenen, ein Mann für alle Jahreszeiten.
Doch in einem MotoGP-Werksteam wie bei Ducati braucht man neben außergewöhnlichen fahrerischen Fähigkeiten auch eine dicke Haut. Bei den Roten wird jeder Fahrer wird an Casey Stoner gemessen, an Andrea Dovizioso (dreimal Vizeweltmeister in Serie, 14 MotoGP-Siege) und an Jorge Lorenzo, mit dem Ducati-CEO Claudio Domenicali jedoch nicht genug Geduld hatte. Als der Mallorquiner 2018 in Mugello gewann, hatte ihm Domenicali längst das Misstrauen ausgesprochen. Deshalb unterschrieb der fünffache Weltmeister und 68-fache GP-Sieger für Repsol-Honda.
Für Dovizioso war die Verpflichtung von Lorenzo ein Misstrauensantrag, auch weil der Spanier fast zehnmal so viel verdiente wie er – 25 Millionen Euro für zwei Jahre.
Doch «Dovi» zog seine Konsequenzen. Er verbesserte sein Umfeld, sicherte sich mentale Unterstützung durch die besten Experten in Italien, er suchte die Fehler nicht bei den anderen – so stellte er Lorenzo in den Schatten und lieferte Marc Márquez viele sehenswerte Rad-an-Rad-Duelle, so manches gewann er.
Dovizioso stellte Danilo Petrucci seinen persönlichen Mentaltrainer für 2019 zur Verfügung, das Ducati-Duo bildete eine Trainingsgemeinschaft. «Ich darf mich jetzt drei Monate über nichts beschweren», verriet «Petrux» bei der Teamvorstellung im Februar 2019 in der Schweiz. Es war ein Auftrag des neuen Mentaltrainers.
Der Römer hielt diese Vorgabe nicht die ganze Saison durch. Er kam ins Grübeln, als er bei den ersten vier Grand Prix nur drei sechste und einen fünften Platz erreichte. Doch dann schaffte er Platz 3 in Le Mans und Catalunya, dazwischen den Triumph in Mugello.
Die italienischen Medien schrieben Miller trotzdem für 2020 ins Werksteam, als Petrucci in der zweiten Saisonhälfte ein paar schwache Rennen zeigte und in der WM vom dritten auf den sechsten Platz abrutschte. Und schon im August 2019 verhandelte Gigi Dall’Igna wieder mit Lorenzo. Er sollte 2020 bei Pramac und 2021 wieder im Ducati-Werksteam fahren. Doch HRC gab ihn nicht frei.
Petrucci: Keine Rennen in den kleinen GP-Klassen
Petrucci verfügt offenbar nicht über jene dicke Haut, die man in einem ruhmreichen MotoGP-Werksteam braucht, das endlich erstmals seit 2007 die MotoGP-WM gewinnen will.
Aber Petrucci hat in seiner Karriere schon andere Hürden gemeistert. Er fühlt sich zwar mit 29 Jahren noch zu jung für die Superbike-WM, aber wenn er kein Angebot von Aprilia oder KTM erhält, wird er 2021 neben Scott Redding im aruba.it-Team die Werks-Panigale V4R steuern.
Petrucci ist wie Cal Crutchlow einer der wenigen MotoGP-Sieger, die nicht über die Klassen 125, Moto3, 250 ccm oder Moto2 in die «premier class» kamen. Er fuhr 2010 für das Team Pedercini Kawasaki in der Superstock-1000-Klasse. Ein Jahr später landete er in der Superstock-1000-Serie für das italienische Team Barni Ducati auf Platz 2, nur zwei Punkte fehlten ihm auf Gesamtsieger Davide Giugliano.
Dann kam der ehrgeizige Kämpfer mit dem IodaRacing-Team von Giampiero Sacchi in die MotoGP-Königsklasse. 2012 musste er sich dort anfangs mit einem Eigenbau-Stahlchassis mit einem abgetakelten Aprilia-SBK-Motor abmühen, es fehlten ihm 30 oder 40 km/h Top-Speed auf die Werksmaschinen. Damals gab es die Claiming-Rule-Bikes mit den Superbike-Rennmotoren, um die Startfelder zu füllen, da in den Jahren zuvor wegen der Wirtschaftskrise (Rückzug von Kawasaki und dann von Suzuki) nur 17 Stammfahrer im Feld waren. Erst für den Misano-GP im September 2012 durfte Petrucci bei Ioda auf eine Suter-BMW umsteigen, die aber immer noch unterlegen war. Teamchef Sacchi hoffte damals, er könne die Vorhut für ein späteres MotoGP-Werksteam bilden.
Dieser Traum platzte, deshalb steuerte Petrucci 2014 bei IodaRacing eine ART-Aprilia, ehe er 2015 ins Pramac-Ducati-Team aufgenommen wurde – und mit dem zehnten WM-Rang die Erwartungen brav erfüllte. 2017 und 2018 schaffte er bei Pramac jeweils den achten WM-Rang, deshalb bekam er für 2019 den Platz im Ducati-Werksteam.
Dieser Transfer zeichnete sich schon vor dem ersten Lorenzo-Ducati-Sieg in Mugello ab. «Ducati will mich nicht ins Werksteam holen, weil ich besser bin als Jorge, sondern weil ich billiger bin», kokettierte der Italiener damals beim Le-Mans-GP im Mai.
Als Danilo Petrucci 2012 seine GP-Karriere begann, hatte er schon einen bekannten Insider im Paddock, denn sein Vater Danilo arbeitete jahrelang für unterschiedliche GP-Teams. In der Zweitakt-Ära arbeitete er als Lkw-Chauffeur bei Red Bull KTM, 2016 fuhr er den Truck des Leopard-Teams. «Ich bin für die Leute der kleine Danilo, also nennen sie mich Daniletto. Mein Vater wird dann Danilone genannt, denn er ist der große Danilo», lacht der WM-Sechste.
«Ich begann 1991 im GP-Paddock zu arbeiten», erinnert sich Papa Danilone. «Danilo war immer dabei und schaute sich die Rennmaschinen an.»
Danilo junior fügte hinzu: «Ich war Teil des MotoGP-Paddocks, seit ich etwa vier Jahre alt war. Ich verbrachte dort oft Zeit mit meinem Vater. Viele Leute erkannten mich, als ich als Fahrer in die MotoGP-Klasse kam und sagten: Du bist doch der kleine Danilo. Ich hab' dich aufwachsen gesehen.»
Mittlerweile ist Daniletto etablierte MotoGP-Pilot. «Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er einmal ein MotoGP-Fahrer wird», lächelt der stolze Vater. «In seine Box gehe ich aber inzwischen immer nur für ein oder zwei Minuten, denn er ist ein erwachsener Mann und braucht seinen Vater nicht in der Box. Der beste Platz für einen Vater ist auf der Tribüne. Das sage ich immer. Außerdem reise ich nicht mehr zu vielen Rennen.»
«Ich sehe den Papa beim Fahren nicht, aber ich weiß, dass er da ist», erklärte der Ducati-Desmosedici-Pilot.
Als Kind war der heute 29-jährige Mugello-Sieger bereits ein großer Bewunderer der Stars der Szene und des wilden Treibens auf den Tribünen, vor allem im Hexenkessel Mugello. «Mein Vater hat im Paddock gearbeitet. Er hatte also tagsüber keine Zeit. Abends habe ich mir dann den Roller genommen und bin raus zu den Naturtribünen gefahren, um mir dort das Chaos anzuschauen. Es war beeindruckend. Ich würde auch heute gern mal gerne ein Wochenende als Zuschauer verbringen. Aber es wäre wohl einiges an Alkohol nötig, um das durchzustehen», schmunzelt «Petrux».
Seit dem letzten Jahr wohnt der ausgebildete Polizist in Forli, unweit von Imola, im Heimatort seines Teamkollegen Andrea Dovizioso.
«Von zu Hause in Terni fehlen mir meine Familie und meine Freunde. Aber ich fühle mich gut in Forli. Es ist sehr bequem, was das Training betrifft, einfach eine andere Welt. Ich wohne bisher in einem kleinen Appartment. Ich will eigentlich ein etwas größeres Haus, aber vorher muss ich wissen, wie es weitergeht», erzählte die Nummer 2 des Ducati-Werksteams. Immerhin hat Ducati den Deal mit Petrux im Vorjahr für 2020 verlängert.
Übrigens: Spaßvogel Petrucci spricht auch einige Brocken Deutsch. Bis 2017 hatte er eine vielbeachtete Beziehung mit der damaligen MotoGP-Moderatorin des Pay-TV-Senders Sky, mit der gebürtigen Südtirolerin Isabella Saderini. Doch beim GP von Österreich kam es damals zu einem heftigen Zerwürfnis. Sie musste dann ihren Job beenden.
Petrucci nach Mugello-Sieg: «Dovi hat mich adoptiert»
Nach dem famosen Mugello-GP-Triumph 2019 gab Petrucci auf dem Podium beim rührigen Streckensprecher Giovanni di Pillo ein emotionales und sehr offenes Interview vor den zahlreichen Tifosi.
«Ich will diesen Sieg meinem Teamkollegen Andrea widmen. Er hat im Winter sein Privathaus für mich geöffnet, mir wichtige Dinge erklärt und sehr geholfen. Er hat mich wie ein Kind adoptiert – ich meine, wie einen Bruder. Oder wie ein sehr großes Kind. Der Sieg ist deswegen für Dovi, meine Familie und auch die Menschen bei Ducati. Wir wohnen alle zwei Stunden von Mugello entfernt. Es tut mir leid, dass ich Dovi besiegt habe und er deswegen Punkte verlor. Aber ich wollte dieses Rennen wirklich gewinnen.»
Zu den vergangenen Jahren seiner Karriere meinte Petrux: «2014 war mein Tiefpunkt, ich wollte nach dem vierten Rennen meine Karriere beenden. Die Verletzung in Jerez mit meiner kompliziert gebrochenen Hand hat mich zwei Monate gekostet. Ich hatte kein Gefühl mehr auf dem Motorrad. Dann hat mir Ducati bei Pramac eine Chance gegeben und für 2019 und 2020 sogar im Werksteam. In den ersten drei Rennen 2019 habe ich gesehen, dass es mit den vielen starken Gegnern sehr hart wird. Ich hatte noch keinen Vertrag für 2020. Ich überlegte: Wenn ich nicht gewinne, werde ich meinen Beruf wechseln und mit dem Rennsport aufhören. Dadurch habe ich mir selbst viel Druck gemacht. Andrea hat immer zu mir gesagt, denke nicht an die Zukunft, genieße den Moment, fokussiere dich auf deine Stärken und arbeite viel. Ab dem Jerez-GP im Mai dachte ich mir, dass ich nicht mehr tun kann, als mein Bestes zu geben. Ist das genug, okay. Sollte ich mit diesem Motorrad nicht gewinnen können, würde es mir auch mit keinem anderen gelingen. Dann ist das nicht meine Welt. Dann habe ich in Mugello gewonnen. Dadurch haben sich meine Zukunftspläne geändert.»
Aber wie so oft in seiner Karriere steht Danilo Petrucci jetzt wieder auf einem Scheideweg.
Von Red Bull KTM kommen bisher keine positiven Signale. Dort werden vorläufig andere Möglichkeiten sondiert. Aprilia Racing braucht einen Teamkollegen für Aleix Espargaró, denn Iannone bleibt gesperrt. Aber Aprilia wollte zuerst den Deal mit Aleix Espargaró fixieren. Jetzt wird geklärt, wer als Teamkollege in Frage kommt.
Wenn alle MotoGP-Stricke reissen, bleibt für «Petrux» noch der Pfad Richtung Superbike mit dem aruba.it-Ducati-Werksteam.