Lin Jarvis: «Situation mit Lorenzo ist frustrierend»
Sepang-Test 2020: Viñales vor Lorenzo
Jorge Lorenzo hat im Februar beim IRTA-Test in Sepang nur zwei Tage auf der Yamaha YZR-M1 des Jahrgangs 2019 abgespult. Eine 2020-Maschine stand noch nicht zur Verfügung, für den Katar-Test (22. bis 24. Februar wurde er nicht aufgeboten, und danach brachte die Corona-Pandemie die ganze Saison zum Stillstand. Der neue Yamaha-MotoGP-Testfahrer Jorge Lorenzo hätte die Yamaha im April in Motegi testen sollen. Und für den Catalunya-GP im Mai war er als Wildcard-Fahrer vorgesehen. Auch ein Renneinsatz in Misano stand zur Diskussion.
Der schlaue Yamaha-Schachzug, Lorenzo für einen dicken Batzen Geld kurz nach seinem Rückzug bei Repsol-Honda zurückzuholen auf das Motorrad, mit dem er 2010, 2012 und 2015 die WM gewonnen hat, hat sich also bisher nicht bezahlt gemacht. Dabei brachte der 33-jährige Mallorquiner viel kostbares Wissen und Know-how von Ducati und Honda mit.
«Es ist frustrierend, anders kann ich nicht beschreiben, wie sich diese Jahr mit Jorge entwickelt hat», sagt der Engländer Lin Jarvis, seit 1999 Managing Director von Yamaha Motor Racing und somit auch Chef von Viñales und Rossi. «Die Covid-19-Seuche hat viele frustrierende Aspekte mit sich gebracht. Aber unsere Pläne mit Lorenzo wurden ganz schlimm davon betroffen. Jorge ist zwei Tage in Sepang gefahren, das war eigentlich nur ein Shake-down-Test für ihn. Für uns hat er nicht viel gebracht. Er diente eigentlich in erster Linie dazu, ihn wieder an das Bike zu gewöhnen auf ihn auf Speed zu bringen. Nachher sollte er in Japan und auf europäischen Strecken testen. Alles war schön geplant – und musste gestrichen werden.»
Vier Wochen vor dem Saisonstart in Jerez steht noch nicht fest, wann sich Jorge Lorenzo wieder auf die M1-Yamaha schwingen wird. «Jetzt haben wir noch einen Test in Misano zur Saisonmitte geplant. Aber bisher wissen wir nicht, ob dieser Test stattfinden wird. Und selbst wenn er stattfindet, wird uns die Teilnahme mit Jorge sehr schwer fallen. Denn unser Testteam besteht vorrangig aus japanischen Ingenieuren. Doch sie dürfen vorläufig nicht nach Europa reisen. Das ist sehr frustrierend. Und das Verbot von Wildcard-Einsätzen bedeutet, dass wir keine Chance bekommen werden, Jorge in diesem Jahr bei einem Rennen in Aktion zu sehen. Das ist eine Schande. Wir hatten so hohe Erwartungen im Zusammenhang mit diesem neuen Projekt. Aber im Moment können wir damit nicht weitermachen.»
Yamaha wird auch am MotoGP-Test von 23./24. Juni auf dem Misano World Circuit nicht teilnehmen, wo Ducati mit Pirro fährt und die beiden MotoGP-Teams von Aprilia und KTM mit allen verfügbaren Piloten. «Wir haben keine Möglichkeit, Jorge dort einzusetzen», bedauert Lin Jarvis.
Natürlich gibt es im europäischen Yamaha-Motor-Racing-Hauptquartier in Gerno di Lesmo bei Monza einige Techniker, die Lorenzo in den nächsten Tagen nach Misano begleiten könnten.
«Ja, dort ein Bike in Betrieb zu nehmen, wäre einfach. Ja, wir können einige unsere europäischen GP-Mechaniker aufbieten, um in Misano ein Motorrad für Jorge zu betreuen. Aber wenn wir nur auf die Piste gehen, ohne einen sinnvollen Zweck dahinter, ohne konkrete Ziele, und ohne neue Testteile und ohne die Verantwortlichen Ingenieure des Testteams, dann hat das keinen Sinn», sagt Jarvis. « Das ist zwecklos. Es würde nur Jorge nutzen, er könnte sich vier oder fünf Stunden am Tag beim Rumfahren auf der Strecke erfreuen. Aber wenn er uns keinen Gegenwert liefern kann, weil wir kein neues Material haben – was bringt es uns dann?»
Yamaha wird also den Vertrag mit Jorge Lorenzo für 2021 verlängern müssen, um aus diesem Coup noch irgendwann Kapital schlagen zu können? Jarvis: «Das ist jetzt die Frage. Bisher haben die Testaufgaben mit Jorge noch nicht begonnen. wenn wir einen neuen Vertrag vereinbaren, muss er für beide Partner interessant sein und für beide einen Wert haben. Momentan kann ich nur sagen: Wir warten ab und schauen, wie viele Testtage wir in diesem Jahr erledigen können. Dann werden wir gemeinsam mit Jorge entscheiden, ob wir die Zusammenarbeit fortführen oder nicht. Wir haben einen Ein-Jahres-Vertrag. Wenn beide Partner happy sind und sich einig sind, dass sie weiter machen wollen, werden wir uns unterhalten.»
Aber es ist kein Geheimnis, dass auch die Werksteams durch die Coronakrise zur Kostenreduktion gezwungen werden. «Durch die Covid-Situation haben sich viele Dinge geändert». räumt der Yamaha-Renndirektor ein. «Auch die finanziellen Kapazitäten der meisten Unternehmen haben sich verändert. Wir müssen dieses Thema überdenken und im Herbst neu aufnehmen.»
Kann sich Lin Jarvis vorstellen, dass Jorge Lorenzo mit anderen Teams spricht, um noch einmal eine komplette Saison zu fahren? «Jorge wollte in diesem Jahr Testfahrten und ein Rennen absolvieren. Aber ich glaube, er hatte dabei einen Hintergedanken. Er wollte auch herausfinden, ob bei ihm noch genug Interesse für eine Rückkehr zum Rennfahren besteht. Ich glaube, er hatte ein sehr starkes Interesse daran herauszufinden, ob er noch schnell genug, komfortabel sowie konkurrenzfähig sein würde und ob er mit der Yamaha sein altes Selbstvertrauen wieder zurückgewinnen könnte. Aber bei uns sind alle vier MotoGP-Plätze voll, wenn sich Valentino zum Weiterfahren entschließt und für das Sepang-Circuit-Yamaha-Team unterschreibt. Da ich hoffe, dass Franco Morbidelli auch bei uns bleibt und beim SIC-Team weitermacht, dann würde Yamaha wohl keinen Platz für Jorge haben. Jorge müsste also mit einem Mitbewerber sprechen, wenn er wieder eine komplette Saison fahren will. Es gibt Hersteller wie Ducati, die ihr Fahreraufgebot noch nicht komplettiert haben. Sie haben bisher nur einen Fahrer verpflichtet.»