Neue Schikane in Spielberg: Entscheidung rückt näher
Nach dem dem verheerenden Zusammenstoß zwischen den beiden MotoGP-Piloten Johann Zarco und Franco Morbidelli beim ersten Spielberg-Rennen der Königsklasse (GP von Österreich) am 16. August flammten sofort Diskussionen darüber auf, wie diese kritische Stelle auf dem 4,318 km langen Red Bull Ring für die Zukunft entschärft werden könnte.
Für den Steiermark-GP wurde dann vier Tage später am Donnerstag vor dem ersten Training als Notlösung rechts von der Fahrbahn oberhalb des Kiesbetts der 315 km/h schnellen Kurve 2 eine zwölf Meter breite Begrenzungsmauer errichtet, mit Betonblöcken, geschützt durch zwei Reihen Autoreifen und einem Block Airfences. «Das war eine Notfall-Aktion, für die Zukunft müssen wir eine bessere Lösung suchen», erklärte Safety Officer Franco Uncini gegenüber SPEEDWEEK.com.
Diese Lösung liegt jetzt auf dem Tisch. Die Kurve 2 und somit die Anfahrt zur engen Kurve 3 soll für 2021 durch eine Schikane entschärft werden. Rennstrecken-Architekt Ing. Hermann Tilke hat Entwürfe für das Layout der Schikane für das Projekt Spielberg designt. Die Formel-1-Verantwortlichen wollen jedoch für ihre Rennen an der bisherigen Streckenführung festhalten.
Es existieren auch in Silverstone und Barcelona für MotoGP und Formel 1 unterschiedliche Streckenführungen. Auf diesen zwei Pisten nutzen die Automobil-Asse vor der Zielkurve Schikanen, die von der MotoGP-Piloten umfahren werden. In Österreich soll es künftig umgekehrt sein.
Carmelo Ezpeleta, CEO von Dorna Sports S.L., hat noch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass es schwierig ist, die Sicherheitsvorstellungen der beiden Top-Klassen unter einen Hut zu bringen. Deshalb wurden in den letzten Jahren nur vier Strecken für beide WM-Serien genutzt: Austin, Barcelona-Catalunya, Spielberg und Silverstone. 2020 trat die Formel 1 erstmals in Mugello auf, dem traditionellen Schaupatz des MotoGP-Events in Italien. Aber für Rossi und Co. wurde der Italien-GP 2020 wegen Corona gestrichen; es wurde zweimal in Misano gefahren.
Der Red Bull Ring garantiert zwar jedes Jahr spektakuläre Rennen, die Fahrer bezeichnen aber das Strecken-Layout als eintönig, sie finden nur halb so viele Kurven vor wie auf anderen GP-Pisten.
Spielberg gilt als Power-Strecke, deshalb hat Ducati seit 2016 bisher jedes Jahr dort ein Rennen gewonnen. Erst Miguel Oliveira (KTM beendete diese Siegesserie. Die schnellste Runde hat Marc Márquez 2019 in 1:23,027 min gedreht, das entspricht einem Schnitt von 187,2 km/h. Keine GP-Piste der Welt ist schneller. Die neue Schikane soll im dritten oder vierten Gang gefahren werden, ist zu hören.
Am morgigen Freitag werden die Skizzen und Pläne von Ing. Tilke in Portugal den MotoGP-Piloten beim Meeting der Safety Commission vorgelegt. Vorher will sich keiner der Beteiligten zum Thema äußern, auch Spielberg-Rennleiter Andy Meklau und Safety Officers Franco Uncini nicht.
Aber offenbar plädierte schon beim Grand der Steiermark eine Mehrheit der Fahrer für den Bau einer Schikane. Cal Crutchlow sagte schon vor vier Jahren: «Wenn du vor dem Turn 3 ein Bremsproblem kriegst, landest du irgendwo im Wald.»
Kurve 2: Untaugliche Minimal-Lösung unerwünscht
Die Streckenführung in den Kurven 2 und 3 gab seit der Rückkehr des Österreich-GP in die Steiermark 2016 schön öfter Anlass zu Diskussionen. Deshalb wurde der Sturzraum in Turn 3 schon vor 2020 noch einmal erheblich erweitert.
Wenn die Gefahr im Turn 2 vor allem für die MotoGP-Fahrer (sie fahren dort 315 km/h, die Moto2-Fahrer «nur» 267 km/h) verringert werden soll, wird nur der Einbau einer Schikane nachhaltig Abhilfe schaffen. Da sind sich die Fahrer und Sicherheits-Experten einig.
Die beiden FIM-Dorna-Sicherheits-Berater Loris Capirossi und Franco Uncini legten den Fahrern beim Steiermark-GP auch einen Vorschlag vor, der allerdings von den Piloten als «schwachsinnig» bezeichnet wurde. Die beiden Italiener machten einen Vorschlag, den 315-km/h-Knick einfach komplett zu begradigen. Dann würden die ohnedies schon überforderten Bremssysteme noch stärker beansprucht werden und die mit 187,2 km/h ohnedies schon irrwitzig Durchschnittsgeschwindigkeit noch einmal erhöht werden.
Uncini und Capirossi stellten aber neben dieser Minimal-Variante der Begradigung auch mehrere Varianten von Schikanen vor. «Die Zukunft wird zeigen, ob und wann wir etwas umbauen», erklärte Franco Uncini. «Bisher ist nichts entschieden.»
Denn die MotoGP-Funktionäre mussten ein Layout finden, das die Ideen und Ansprüche von FIA-Inspektor Michael Masi und Franco Uncini unter einen Hut bringt.
«Wir haben zusammen mit dem Red Bull-Ring-Management verschiedene Möglichkeiten ins Auge gefasst», erklärte Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta gegenüber SPEEDWEEK.com. «Denn wir müssen gemeinsam eine Lösung finden, die auch für die Formel 1 akzeptabel ist.» Deshalb soll die Formel weiter fast schnurstracks durch die Kurve 2 Richtung Turn 3 brausen; in der Kurve 2 haben sowieso nicht zwei Autos nebeneinander Platz.
Aber auch in der Formel 1 kam es 2015 im Turn 3 bereits zu einem bedrohlichen Unfall mit Fernando Alonso.
Der teilweise einfallslose Streckenverlauf im ersten Sektor hat eine Ursache, die heute nur wenigen Fans bekannt ist. Dazu muss man wissen, dass sich der alte Österreichring (er wurde 1969 eröffnet) über rund 5,9 km erstreckte und dann beim Umbau für 1996 als A1-Ring auf 4,318 km verkürzt wurde. Damals stand die Strecke im Besitz des Landes Steiermark, die Betriebskosten und Millionen-Defizite sollten reduziert werden. Also wurde einfach ca. 500 Meter nach Start/Ziel vor dem Waldstück eine ziemlich schnurgerade und einfallslose Verbindung zur alten Schönberggeraden oben am höchsten Punkt der Strecke hergestellt. So entstanden zwei enge Spitzkehren und eine nicht besonders attraktive Streckenführung mit insgesamt nur neun Kurven.
Für das MotoGP-WM-Wochenende 2016 wurde eigens der schnelle Knick vor Turn 3 als Turn 2 eingestuft, damit wenigstens insgesamt zehn Kurven zustande kommen.
Bei der Neueröffnung des Red Bull Rings 2011 blieb die A1-Streckenführung erhalten. Sie gewährleistete bisher spannende Rennen mit knappen Entscheidungen, aber seit 2016 mussten einige Streckenabschnitte für die MotoGP entschärft und mehr Sturzraum geschaffen werden.
«Wir haben für 2020 in den Kurven 7 und 8 wie vorgeschrieben größere Sturzräume geschaffen», sagt Rennleiter und Ex-Motorradrennfahrer Andreas Meklau (53). «Dadurch hat FIM Safety-Officer Franco Uncini die Piste vom August bereits für die MotoGP-WM 2021 homologiert.»
Sobald sich die Verantwortlichen des Projekts Spielberg, der Dorna und der FIM über das Layout einer flüssigen Schikane geeinigt haben, soll mit dem Bau begonnen werden. Obwohl sich die Strecke auf mehr als 700 Meter Seehöhe befindet und im Winter dort oft Schnee liegt, könnte der Beginn der Erdarbeiten, der Trassierung und der Festlegung der neuen Linienführung noch im Herbst erfolgen.