Die Geschichte von Mir-Vorgänger Kenny Roberts jr.
Über alle GP-Klassen ist der 23-jährige Joan Mir erst der zehnte unterschiedliche Weltmeister für Suzuki – nach Kenny Roberts Jr. (500 ccm: 2000), Kevin Schwantz (500 ccm: 1993), Franco Uncini (500 ccm: 1982), Marco Lucchinelli (500 ccm: 1981), Barry Sheene (500 ccm: 1976, 1977), Dieter Braun (125 ccm: 1970), Hans-Georg Anscheidt (50 ccm: 1966, 1967, 1968), Hugh Anderson (125 ccm: 1963, 1965; 50 ccm: 1963, 1964) und Ernst Degner (50 ccm: 1962).
Mirs Vorgänger Kenny Roberts junior ist nach seiner «Auszeit» von 2007 in der Versenkung verschwunden. Kaum GP-Besuche, keine Interviews, keine öffentlichen Auftritte. Wenn sich Kenny nach seinem Rücktritt bei einem Rennen blicken liess, dann bestenfalls rasch für einen Tag im kalifornischen Laguna Seca, rund 1,5 Autostunden von seinem Wohnsitz in Modesto.
Aber seit Laguna Seca nach der Saison 2013 vom GP-Kalender verschwunden ist, reiste «Kenny junior» mit seiner Familie im Motorhome jedes Jahr nach Austin/Texas. Er parkte sein mobiles Quartier dann im Paddock unmittelbar neben seinem Dad, dem legendären «King Kenny», der die 500er-WM 1978, 1979 und 1980 gewonnen hat und nachher als Teambesitzer noch erfolgreicher war.
Roberts senior entdeckte für Yamaha Eddie Lawson (drei 500er-WM-Titel auf Yamaha, einen auf Honda). Danach entdeckte er Wayne Rainey, der in seinem Marlboro Yamaha-Team Roberts dreimal (1990, 1991 und 1992) die Halbliter-WM gewann, und John Kocinski, der 1990 die 250er-WM für sich entschied.
«Ich bin 2007 beim Barcelona-GP zurückgetreten und habe dann in Kalifornien ein entspanntes Leben geführt», erzählte Kenny junior im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Ich habe nachher von 2007 bis 2013 kein Flugzeug bestiegen und die USA nie verlassen. Erst 2013 bin ich gemeinsam mit meinem Dad zu einem Einladungsrennen nach Japan geflogen.»
Das Gesicht des Juniors ist etwas rundlicher geworden. «Ich habe während meiner Karriere genug trainiert für den Rest meines Lebens. Ausser Skifahren betreibe ich keinen Sport mehr», sagt er.
Bei Kenny junior und seiner Frau «Ro» Rochelle steht jetzt die Familie im Vordergrund; sie haben eine Tochter Ashley (11) und einen Sohn (10) namens Logan.
«Meine Kinder wissen nicht, dass ich Rennen gefahren bin», sagt Kenny Roberts, der Jüngere. «Sie wissen nur, dass ihr Grossvater Rennfahrer gewesen ist.»
Mit dem Skifahren hat «Little Kenny», der manchmal noch als Suzuki-Botschafter auftritt, eine neue Lieblingsbeschäftigung und Leidenschaft entdeckt. «Ich bin früher nur ganz selten auf Skiern gestanden. Aber seit vier Jahren bin ich ganz verrückt danach», schilderte er. «Wir besitzen ein Appartement im Skigebiet Lake Tahoe. Das ist nur zwei Stunden entfernt. Wir nehmen die Kinder im Winter für drei Monate aus der Schule und unterrichten sie zuhause im 'Home Schooling', damit sie fast jeden Tag Skifahren können. Wir sind in den letzten Wintern zwischen 30 und 45 Tagen Tage auf Ski unterwegs gewesen.»
Während das Suzuki-Werksteam zu Kennys Zeit nie einen wirklich schlagkräftigen Viertakter zustande brachte, weht jetzt beim japanischen Hersteller ein anderer Wind. Die drei Jahre Rennpause (2012, 2013 und 2014) und der Wechsel vom V4-Motor zum Reihenvierzylinder sowie die Trennung von Teamchef Paul Denning haben sich vorteilhaft ausgewirkt. Suzuki gelangen 2018 mit der GSX-RR nicht weniger als neun Podestplätze. 2019 waren es nur deren drei, allerdings holte Alex Rins sowohl in Austin als auch in Silverstone den Sieg. 2020 der Coup: Joan Mir kürte sich zum MotoGP-Weltmeister, Ecstar Suzuki holte die Team-Krone.
Kenny Roberts junior hatte es in seiner GP-Karriere nicht immer leicht. Papa Kenny sagte ihm zu Beginn der WM-Laufbahn klipp und klar: «Eines musst du dir immer vor Augen halten: Du wirst als Rennfahrer nie so gut sein wie dein Vater.»
«Little Kenny» kam 1993 im 250er-Yamaha-Team seines Vaters in die WM, 1997 wechselte er mit dem Team Marlboro Roberts in die 500er-Klasse. 1999 unterschrieb er für das Suzuki-Werksteam, nabelte sich vom Papa ab – und wurde mit vier GP-Siegen auf Anhieb Zweiter in der Weltmeisterschaft hinter Honda-Werksfahrer Àlex Crivillé aus Spanien.
Im Jahr 2000 schrieb Kenny Roberts jr. Geschichte, indem er 19 Jahre nach dem letzten Titelgewinn seines Vaters die 500-ccm-Weltmeisterschaft gewann. Roberts junior war damit der sechste amerikanische Weltmeister in der Königsklasse des Motorradrennsports. Danach begann die Serie von fünf WM-Titeln in Folge durch Valentino Rossi, ehe Nicky Hayden 2006 den bisher letzten Titel für die USA eroberte.
2006 kehrte Kenny nach sechs Suzuki-Jahren in das KR-Team seines Vaters zurück, das nah vielen erfolgreichen Yamaha-Jahren mit der Dreizylinder-Modenas 500, der V4-KTM 990 und der Eigenbau-V5-Proton in der Zwischenzeit einige technische Irrwege beschritten hatte. Mit einem Eigenbau-KR-Chassis und Honda-V5-Motoren erzielte Kenny jr. in der Saison 2006 noch einige Achtungserfolge; er errang zwei dritte GP-Plätze. Mit dem sechsten Endrang erreichte Roberts jr. das bis dahin beste Endresultat in der Fahrerwertung für die KR-Mannschaft, seit sie ihre eigenen Fahrzeuge baute.
2007 erhielt das KR-Team von Honda die neuen 800-ccm-Motoren, die Saison begann aber nicht sehr verheissungsvoll. «Little Kenny» klagte bald über Motivationsprobleme und überliess ab dem Barcelona-GP seinen Teamplatz dem jüngeren Bruder Kurtis.
Was ursprünglich als Auszeit gedacht war, entpuppte sich irgendwann als endgültiger Rücktritt. Denn der Weltmeister von 2000 ist nie mehr zu einem Rennen angetreten.