Sachsenring: Heimlicher Tribünenbau und Unverständnis
Gestern entdeckt: «Ehren-Tribüne» in der Kurve 11 auf dem Sachsenring
Nach der Absage des Sachsenring-GP 2020 kann der deutsche Motorrad-WM-Lauf an diesem Wochenende zwar stattfinden, aber zum Leidwesen und Unverständnis der zahlreichen Fans erstmals als «Geisterrennen», also mit null Zuschauern. Warum das angesichts der stark gesunkenen deutschen Inzidenzzahlen, die zur Einstelligkeit tendieren, so gehandhabt wurde, bleibt trotz aller scheinheiliger und teilweise einleuchtender Beteuerungen des ADAC und des Freistaats (keine Großveranstaltungen erlaubt) ein Rätsel. Denn in München dürfen bei der Fußball-Euro 2021 auch jeweils 14.000 Zuschauer ins Stadion. Und bei den MotoGP-Events in Catalunya (4. Juni, täglich bis zu 20.000 Zuschauer erlaubt) und Assen (27. Juni, täglich bis 11.500 Zuschauer, sogar ohne Maskenplicht) klappte und klappt es mit den Zuschauern auch. Nur in Hohenstein-Ernstthal wurde kein einziges Zuschauerticket verkauft.
Natürlich wollten zahlreiche Unverdrossene trotzdem einen Blick auf die MotoGP-Asse werfen, aber die Zufahrtsstraßen zum Rennstrecken-Areal wurden rigoros abgeriegelt. Da es sich aber beim Sachsenring um eine nicht permanente, nicht durch einen hohen Zaun eingekreiste Rennstrecke handelt, fand unser Fotograf Fritz Glänzel gestern in der Kurve 11 eine kleine versteckte «Ehren Tribüne» mit einem guten Dutzend Zaungästen – auf einem Privatgrundstück.
Bei etwas mehr Einfallsreichtum und Überredungungskunst wären gewiss auch beim heutigen Liqui Moly Grand Prix von Deutschland 10.000 oder 15.000 Fans möglich gewesen, die die Stimmung für die Fahrer deutlich angehoben hätten. Aber offenbar gab es kein überzeugendes Konzept. Das muss sich der ADAC als Veranstalter vorwerfen lassen.
Die MotoGP-Veranstalter in Misano und Le Mans haben es 2020 bereits vorgemacht, wie trotz der strengen Corona-Maßnahmen Zuschauer an die Strecke gelassen werden können. «In Misano gab es durch den Event keine einzige zusätzliche Infektion», weiß Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta.
Die treuen und enttäuschen Sachsenring-GP Besucher werden sich am kommenden Wochenende über die Fans in Assen und auch beim Formel-1-GP in Spielberg (25. bis 27. Juni) wundern.
In Österreich dürfen laut Corona-Vorschrift bei Outdoor-Events auch maximal 3000 Besucher zugelassen werden. Aber durch eine sogenannte «Lex Spielberg» kann die Formel 1 am kommenden Wochenende vom 25.–27. Juni vor einer für Corona-Zeiten ordentlichen Kulisse auftreten. Die steirische Landesregierung hat in Kooperation mit der schwarz-grünen (!) Bundesregierung in Wien mit dem grünen Gesundheitsminister Mückstein und dem Management des Red Bull Rings (Projekt Spielberg) eine spezielle Regelung ausgetüftelt, die in ähnlicher Form schon 2020 bei Motorsport-Events erfolgreich zur Anwendung kam, zum Beispiel im September 2020 in Misano und nachher beim Forml-1-GP in Portimão (45.000 Zuschauer am Renntag!).
Das Ring-Gelände in der Steiermark wird dafür in fünf weitläufige Sektoren geteilt, in denen sich die Fans der jeweils anderen Abschnitte beim Besuch der Veranstaltung nicht begegnen und in die Quere kommen können. Jeder Abschnitt gilt somit rechtlich als eine separate Zusammenkunft – oder als eigene Großveranstaltung.
Schon von den Parkplätzen weg werden die Besucher auf dem Red Bull Ring mit farblichen Ausschilderungen klar voneinander getrennt – mit Hilfe eines sicheren Leitsystems. Verständnis für die «Lex Spielberg» sollen auch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sowie Vizekanzler und Sportminister Werner Kogler (Grüne) gezeigt haben. Die formelle Absegnung durch die Bezirkshauptmannschaft Murtal stellte demnach kein Problem mehr dar.
Danach (ab dem 1. Juli) erfolgt in Österreich ein großer Öffnungsschritt: Beim zweiten Formel 1-Event in Spielberg (2. bis 4. Juli) gibt es dann keine Beschränkungen mehr, was die Zuschauerzahlen betrifft. Also «Full House» – wie bei den beiden Motorrad-GP am 8. und 15. August 2021.