Kevin Schwantz: «Das sieht Valentino nicht ähnlich»
Kevin Schwantz war Teil der goldenen Ära in der 500-ccm-Weltmeisterschaft in den 1980er- und 1990er-Jahren, gemeinsam mit Helden wie Wayne Rainey, Mick Doohan, Eddie Lawson, Wayne Gardner, Luca Cadalora, John Kocinski, Randy Mamola und so weiter. Der 57-jährige Texaner hat die 500-ccm-Weltmeisterschaft 1993 gewonnen, dazu hat er in 105 GP-Einsätzen 25 Siege, 29 Pole-Positions und 26 schnellste Rennrunden erzielt.
«Revin‘ Kevin» und seine Startnummer 34 prägten diese Ära entscheidend mit, er war jahrelang das Aushängeschild von Suzuki im GP-Sport – als würdiger Nachfolger von Publikumsliebling Barry Sheene, der die 500er-WM 1976 und 1977 auf Suzuki gewann.
Die Suzuki-Legende begeisterte die Fans auf der ganzen Welt durch seine beherzten Fahrweise und seine außergewöhnliche Fahrzeugbeherrschung. Von ihm stammt der unvergessliche Spruch zum Thema Spätbremsen: «Wenn du Gott siehst, dann musst du bremsen». Seine Startnummer 34 wird ihm zu Ehren in der Königsklasse der Motorrad-Weltmeisterschaft nicht mehr vergeben.
Kevin Schwantz verfolgt die MotoGP-WM sehr aufmerksam, er ist glänzend vernetzt, er ist befreundet mit Valentino Rossi und anderen Stars, er hat 2017 noch eine beratende Funktion im Suzuki-MotoGP-Team ausgeübt, und er ist Botschafter des Texas-GP auf dem Circuit of the Americas (COTA).
Schwantz hat seine Karriere mitten in der Saison 1995 beendet. Er trat beim sechsten Grand Prix des Jahres in Mugello vor die Medien und verlautbarte mit tränenerstickter Stimme seinen Rücktritt vom Rennsport.
Aber er wurde rückfällig. Er wurde für 2013 im Alter von 49 Jahren vom Japaner Yukio Kagayama zum Comeback beim berühmten Suzuka Eight Hours Race überredet. «Wir sind auf Platz 3 gelandet, weil Yukio Kagayama ein sehr gutes Team zusammengestellt hat», sagt Kevin. «Er hat Noriyuki Haga oder ‘Nitro Nori’ als dritten Fahrer engagiert. Ich hatte an diesem Langstrecken-WM-Klassiker seit 1992 nicht mehr teilgenommen, damals bin ich mit Doug Chandler gefahren.» Der unverwüstliche Amerikaner kehrte auch 2014 nach Suzuka zurück – als rüstiger 50-Jähriger.
Schwantz hat diese anspruchsvolle japanische Rennstrecke immer geliebt. «Suzuka besitzt einen besonderen Platz in meinem Herzen, denn dort habe ich 1988 meinen ersten 500-ccm-GP-Sieg errungen», bllckt der Suzuki-Superstar zurück.
Im Exklusiv-Interview mit SPEEDWEEK.com verriet Kevin Schwantz jetzt erstmals, dass ihn sein Freund und Ex-Rivale Wayne Rainey 1995 überzeugt hat, es sei der richtige Zeitpunkt zum Aufhören.
Deshalb erkundigten wir uns beim populären Texaner, ob er sich bei Valentino Rossi noch eine weitere Saison als Rennfahrer vorstellen kann.
Kevin, wie hast du die Coronakrise in Texas erlebt? Dieser Bundesstaat war ja eine Zeit lang schwer betroffen.
Es war gar nicht so schlimm, wie es vielleicht von außen dargestellt wurde. Meine Lebensgefährtin Marnie und ich haben uns im vergangenen April zweimal impfen lassen, weil wir uns viel in Gesellschaft meiner Eltern aufhalten. Wir bauen in Austin ein Haus in ihrer Nähe. Papa Jim ist jetzt 81. Meine Eltern sind seit 65 Jahren verheiratet.
Ich lebe jetzt an der Küste von Texas, zweieinhalb Autostunden von Austin entfernt. Ich besitze ein Haus in einem kleinen Ort namens Seagraves am Golf von Mexiko. Dort hat eigentlich nie jemand Masken getragen. Mir gefällt es am Meer. Ich habe zwei Boote dort, ein kleines, das ich allein steuern kann, und ein größeres, wenn wir Gäste haben.
Du bist eineinhalb Jahre nach deinem Titelgewinn zurückgetreten. Rossi hat vor zwölf Jahren seinen letzten Titel gewonnen. Trotzdem hat schon mehrmals erwähnt, er könnte 2022 den zweiten Platz neben Bruder Luca Marini im Aramco VR46-Ducati-Team übernehmen. Die saudischen Geldgeber wären begeistert; daraus machen sie kein Geheimnis.
Ja, ich habe gelesen, dass Valentino das nicht ausschließt.
(Er lacht). Aber ich glaube nicht, dass er zurückkehren und wieder eine Ducati fahren will – nach seinen Erfahrungen von 2011 und 2012.
Aber die Desmosedici von 2021 ist mit dem Bike von damals nicht vergleichbar.
Ja, es ist inzwischen ein viel besseres Motorrad. Das ist sicher.
(Kevin seufzt tief). Es ist schwierig, Valentino jetzt zuzuschauen, auf den Positionen, auf denen er sich inzwischen herumtreibt, wo er sich qualifiziert und auf den hinteren Plätzen, auf denen er ins Ziel kommt. So weit hinten war er in seiner ganzen Karriere nie.
Es wirkt alles ziemlich gefährlich, von vorne bis hinten.
Valentino war seit einem Jahr nicht auf dem Podest. Sein letzter Top-Ten-Platz gelang ihm im September im Misano. Im Vorjahr hat Vale die WM als 15. beendet, jetzt ist er WM-19.
Hm. Wow!
Ich wette, selbst in seinen ersten Jahren in der 125er-, 250er- und 500er-Klasse ist er nie so weit hinten ins Ziel gekommen.
Richtig. Rossi hat damals in jedem Jahr Rennen gewonnen, auch im jeweils ersten Jahr in jeder Kategorie. Im ersten 250er-Jahr fünf, im ersten 500er-Jahr immerhin zwei. Das war 2000.
Ja, Kenny Roberts junior ist damals Weltmeister geworden. Valentino hat in der Saison 2000 am Saisonstart als Neuling gleich 75 Punkte auf Kenny verloren. Danach hat er einiges aufgeholt.
Kannst du dir vorstellen, dass Valentino trotz der schwachen Vorstellungen nächstes Jahr weiterfährt?
Er ist nicht nur nicht konkurrenzfähig. Er fliegt auch so oft runter… Diese Stürze sehen ihm überhaupt nicht ähnlich.
Manchmal besiegt ihn sogar sein Bruder Luca Marini, ein Rookie auf einer Gebraucht-Ducati.
Wenn Vale immer noch einen Weg findet, um an seiner Performance Spaß zu haben, empfehle ich ihm: «Keep going, mach weiter!»
Aber für mich besteht Spaß darin, in den Rennen vorne mitzufahren. Hinten am Ende des Feldes rumzukurven, das macht keinen Spaß. Wenn ich nicht dort mitfahren konnte, wo die Musik spielte, hat mir das keine Freude gemacht.
Du selbst hast mitten in der Saison 1995 aufgehört. Das passierte aus heiterem Himmel. Wie ist es dazu gekommen?
Ich bin damals bei den ersten drei Rennen in Eastern Creek, Shah Alam und Suzuka auf den Plätzen 5, 4 und 6 gelandet. Ich habe zwischen 14 und 34 Sekunden verloren.
Ich war damals beim Rückflug vom Japan-GP im gleichen Flugzeug wie Wayne Rainey, der inzwischen Teamchef war. Wayne und Kenny Roberts saßen in der First Class, mein Dad und ich dahinter in der Business Class.
Kenny ist während des Fluges zu mir gekommen. Er hat mich aufgefordert: ‚Komm nach vorne. Wayne will mit dir reden.»
Wayne hat ohne Umschweife klargestellt: «Kevin, du hast keinen Spaß mehr beim Fahren! Du kannst dir einreden, was du willst. Aber bei dir ist der Spaß verloren gegangen. Die Art und Weise, wie du da draußen rumfährst und die Rennen abspulst, die Gruppe, mit der du in den Rennen kämpfst, das kann dir keine Freude machen. Wenn ich dir heute zuschaue, bist das nicht mehr du. Erzähl‘ mir nichts. Ich kann zuschauen und mir ein Urteil bilden.»
Genau das beobachte ich heute bei Valentino. In seltenen Fällen qualifiziert er sich in der Nähe der Top-Ten. Dann müht er sich im Rennen ab...
Du hast damals einige schwere Verletzungen erlitten. Ich erinnere mich an eine Hüftluxation und an diverse Handverletzungen.
Ja, ich habe mir 1994 in Assen eine Handgelenks-Luxation zugezogen. Ich bin trotzdem das ganze Jahr weitergefahren, bis mich Mick Doohan in der WM besiegt hat.
Danach habe ich mich im September in Laguna Seca verletzt und habe die letzten drei Rennen nicht mehr bestritten. Nachher habe ich mein rechtes Handgelenk operieren lassen. Aber 1995 hat mir das linke Handgelenk Beschwerden verursacht. Die Beweglichkeit liess stark zu wünschen übrig.
Du hast dann in Mugello beim sechsten Grand Prix den Rücktritt erklärt.
Ja, nach dem Japan-GP kamen Jerez und Nürburgring. Ich bin nicht hingefahren. Nachher bin ich in Mugello erschienen und habe meinen sofortigen Rücktritt erklärt.
Es gab im April Vermutungen, Valentino könnte ebenfalls währen der Saison den Krempel hinschmeißen, wenn sich die Ergebnisse nicht bessern. Aber jetzt kommen die Zuschauer zurück. Also kann er seine Farewell-Tournee vollenden.
(Kevin denkt nach). Vielleicht hört er nach dem Misano-GP auf…