Valentino Rossi: «Wäre gern noch 20 Jahre gefahren»
Valentino Rossi
Man kann sich ausmalen, dass die Rücktrittsankündigung von Valentino Rossi viele Fans traurig machte oder gar zum Weinen brachte, nicht nur in Italien. Noch nie hat ein Motorradrennfahrer weltweit eine so riesige Anhängerschar erreicht und so vielen Fanclubs als Ansporn gedient. Bei jeden Grand Prix existieren gelbe Tribünen, die Merchandising-Trucks- und VR46-Verkaufsstände sind überall zu sehen. Valentinos Nummer 46 ist zum Inbegriff für den MotoGP-Sport geworden. «Es berührt mich, wenn ich sogar in Thailand irgendwo einen Scooter mit der 46 sehe», stellte Rossi heute fest.
Dem Yamaha-Star war anzusehen, dass er mit sich im Reinen ist. Die Entscheidung zum Rücktritt ist ihm schwer gefallen, aber sie war nach den letzten eineinhalb tristen Jahren unausweichlich. Er hätte sich vielleicht schon die unwürdige Abschiebung auf das Abstellgleis beim Petronas-Kundenteam nicht gefallen lassen sollen.
«Aber ehrlich gesagt, 2020 und auch im Vorjahr war ich noch nicht bereit, mit dem MotoGP-Fahren aufzuhören. Denn ich wollte vorher noch alles ausprobieren und verstehen, ob ich noch einmal an die Spitze vorstoßen kann. Ich habe alles versucht, deshalb bin ich jetzt ruhig. Happy bin ich nicht, das ist sicher. Aber selbst wenn ich mich für ein weiteres Jahr entschlossen hätte, wäre ich in zwölf Monaten auch nicht glücklich gewesen in den Moment, wo ich meinen Rücktritt verkünden hätte müssen. Aber jetzt ist der richtige Augenblick dafür. Ich habe jetzt noch die zweite Saisonhälfte, und da werde ich versuchen, stärker als in der ersten Hälfte zu sein.»
Rossi hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er die Option hatte, 2022 in seinem eigenen neuen Sky VR46-Ducati-MotoGP-Team neben Bruder Luca Marini zu fahren. Marco Bezzecchi wäre dann zu Petronas-Yamaha transferiert worden. Warum hat er diese Möglichkeit am Ende ausgeschlagen?
«Ja, ich hatte auch von meinem eigenen Team ein Angebot», lachte Rossi. «Ich habe sehr ernsthaft und ausgiebig darüber nachgedacht. Denn es hätte mir gefallen, in meinem eigenen Rennstall zu fahren und meine MotoGP-Bikes erstmals im Workshop in Tavullia zu haben. Wir haben ein großartiges Moto3- und Moto2-Team und beschäftigen viele Personen und Mechaniker, die ich seit langer Zeit kenne und jetzt bei uns im Reparto Corse tätig sind. Manche Mechaniker kenne ich seit meiner Aprilia-250-Zeit; sie haben damals 1999 für mich gearbeitet. Es wäre eine faszinierende Aufgabe gewesen, im eigenen MotoGP-Team zu fahren. Die Gagen-Verhandlungen wären auch einfach gewesen. Ich hätte über das Geld nur mit mit selber feilschen müssen… Aber ich hätte wieder die Marke wechseln müssen. Es wäre ein gutes Projekt gewesen, wenn ich das zwei oder drei Jahre machen hätte können. Aber für eine einzige Saison erschien mir das Risiko des Scheiterns höher als die Aussicht auf einen möglichen Erfolg.»
Welche entscheidenden Augenblicke in der GP-Karriere sind für Valentino die prägendsten gewesen? Rossi: «Ich habe in meiner Laufbahn auch viele schwierige Momente erlebt. Aber wenn ich die wichtigsten und unvergesslichsten Ereignisse hervorheben soll, möchte ich die drei wichtigsten WM-Titelgewinne meiner Karriere hervorheben. Deshalb erwähne ich 2001, als ich den letzten 500-ccm-Titel der GP-Geschichte gewonnen habe. Dann 2004, mein erstes Jahr bei Yamaha, als ich die MotoGP-Weltmeisterschaft für mich entschieden habe. Auch die Saison 2008 möchte ich betonen. Denn damals war ich schon alt und trotzdem fit. Aber nach fünf Titelgewinnen in der ‚premier class‘ in Serie von 2001 bis 2005 habe ich dann 2006 und 2007 gegen Nicky Hayden und Casey Stoner verloren. Mir war damals bewusst: 'Ich bin 30, und normal ist meine Karriere jetzt vorbei.' Aber ich bin von Michelin zu Bridgestone gewechselt und konnte 2008 wieder mit an der Spitze mitfahren. Ich habe mich gegen Lorenzo, Stoner und Pedrosa durchgesetzt und zwei weitere Weltmeistertitel gewonnen. Ich denke, das sind die drei wichtigsten Meilensteine in meiner Laufbahn gewesen.»
In mehr als 25 GP-Jahren hat Rossi viele wichtige Entscheidungen getroffen. Sind welche dabei, die er heute bereut? Auch bei dieser Frage von SPEEDWEEK.com ist zu spüren, dass der 42-jährige Italiener ohne Groll seine Siebensachen als Fahrer zusammenpackt.
«Ich empfinde keine Reue, wenn ich an meine Entscheidungen denke. Klar, die zwei Jahre bei Ducati waren sehr schwierig für mich. Denn wir haben kein Rennen gewonnen. Aber es war eine reizvolle Herausforderung», räumt der neunfache Weltmeister ein. «Ein italienischer Fahrer auf einem italienischen Motorrad. Wenn wir in der Lage gewesen wären, Rennen oder den Titel zu gewinnen, hätten wir Geschichte geschrieben.»
«Ein bisschen traurig bin ich, weil es mir nicht gelungen ist, 2015 den zehnten Weltmeistertitel zu gewinnen. Besonders deshalb, weil ich überzeugt bin, ich hätte ihn verdient gehabt – wegen meines Levels und meines Speeds im letzten Rennen. Aber das lässt sich nicht mehr ändern. Ich kann mich insgesamt nicht über die Ausbeute in meiner Kariere beschweren.»