Valentino Rossi sucht das Glück

Valentino Rossi: «Es gibt die Kehrseite der Medaille»

Von Günther Wiesinger
Valentino Rossi, rechts hinten Dorna-Chef Ezpeleta

Valentino Rossi, rechts hinten Dorna-Chef Ezpeleta

Es existieren weltweit nicht viele Sportlerpersönlichkeiten mit dem Status und dem Profil von Valentino Rossi. Aber der GP-Star ist immer bodenbeständig und nahbar geblieben. Er blickt mit Stolz auf diesen Aspekt.

Es war ein Riesenunterschied zur Rücktritts-Pressekonferenz von Jorge Lorenzo beim Valencia-GP 2019, als ohne Pandemie noch gefühlte 500 Personen das Media Centre verstopften. In Spielberg durfte gestern wegen der Abstandsregeln und des strengen Gesundheitsprotokolls der «Dorna bubble» nur ein gutes Dutzend von Medienvertretern teilnehmen, dazu wurden etliche Fotografen zugelassen. Die schreibenden italienischen Kollegen probten den Aufstand, denn nur vier von ihnen durften im Untergeschoss live bei Rossi zuhören, die anderen mussten sich im Media Centre die Live-Übertragung auf motogp.com ansehen.

Und während bei Lorenzo noch Teammitglieder aus dem ganzen Fahrerlager zugelassen waren und Dutzende Fahrerkollegen, schmuggelte sich bei Rossi nur ein MotoGP-Fahrer irgendwie heimlich in die Pressekonferenz – der neugierige Ducati-Star Jack Miller.

Legende, Ikone, Superstar, Held, Lichtgestalt – alle möglichen Vokabel wurden bemüht, um die Person des 115-fachen GP-Siegers und neunfachen Weltmeisters zu beschreiben. Die Dorna spielte ein Video mit den Highlights von Rossis einmaliger Karriere ein, die letztem zwei tristen Jahre wurden wohlweislich ausgespart. Am besten breiten wir den Mantel des Schweigens darüber und hoffen, dass die zweite Saisonhälfte noch ein bisschen versöhnlicher ausfällt als die erste.

Der 42-jährige Rossi ist auch in den Jahren seiner größten Erfolge immer ansprechbar geblieben, er hatte und hat immer Zeit für die Fans. Ich habe schon vor vielen Jahren geschrieben, beim Misano-GP gibt sogar sein Kumpel Uccio mehr Autogramme als alle andern MotoGP-Kollegen zusammen.

Und wer von Misano die ca. 10 km nach Tavullia fährt, sieht das ganze Jahr Tausende 46-Tafeln auf allen Gebäuden, Gartenzäunen, auf der Kirche, vor dem Kaffeehaus vor der Sportsbar, und wer einen Cappuccino bestellt, bekommt eine 46 aus Kakaopulver auf den weißen Milchschaum spendiert.

In den Heimatorten von Pedrosa, Stoner, Lorenzo und anderen Kollegen deutet nichts auf die berühmten Rennfahrer hin... Höchstens Marc Márquez kommt in Cervera annähernd an den Altmeister heran.

Rossi gehört seit vielen Jahren zu den populärsten Sportler-Persönlichkeiten der Welt, sein Bekanntheitsgrad ist unermesslich.

Aber er hört diese Superlative nicht gerne. Er ist bodenständig geblieben, er will sich nicht mit Mega-Stars wie Tiger Woods, Roger Federer oder Michael Jordan vergleichen.

«Ich denke, der Unterschied zwischen mir und den restlichen Topfahrern in der Motorrad-Geschichte ist der Bekanntheitsgrad», stimmt Rossi trotzdem bei. «Ich kenne die exakte Ursache dafür nicht, aber ich war in der Lage, auch Menschen für MotoGP zu begeistern, die diesen Sport vorher nicht wahrgenommen haben. Ich habe vielen Menschen den GP-Sport nahe gebracht. Ohne mich hätten sie sich nicht für die Klassen 125, 250, 500 ccm oder MotoGP interessiert, besonders in Italien. Mir ist es also in den ersten Jahren meiner GP-Karriere gelungen, die Emotionen der normalen Menschen anzustacheln. Darauf bin ich sehr stolz, denn das ist etwas ganz Besonderes.»

«Es gibt aber auch die Kehrseite der Medaille», hält Valentino fest. «Da mich plötzlich alle Menschen erkannt haben, ist mein tägliches Leben erschwert worden. Ich stand immer unter Druck, es wurden immer neue Höchstleistungen erwartet. Gleichzeitig musst du in so eine Phase dein persönliches Leben verändern. Ich habe aber immer versucht, weiter alles so normal wie möglich zu gestalten. Ich wollte nicht alles auf den Kopf stellen. Ich habe das akzeptiert, denn es ist die Kehrseite der Medaille – und gehört zum Geschäft.»

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