Francesco Guidotti: «Jorge Martin ist ein Champion»
Francesco Guidotti hat bei Pramac Ducati zehn Jahre lang die Funktion des Teammanagers ausgeübt und 2021 dank Jorge Martin in Spielberg-1 erstmals einen MotoGP-Sieg bejubeln dürfen. Nach der bisher erfolgreichsten Saison mit fünf Pole-Positions (4x Martin, 1x Zarco), einem GP-Sieg, total acht Podestplätzen (4x Martin, 4x Zarco) und den WM-Rängen 5 (Zarco) und 9 (Martin) stellt sich der 49-jährige Italiener jetzt einer neuen Herausforderung. Er wird Teammanager bei Red Bull KTM Factory Racing mit den Stars Miguel Oliveira und Brad Binder.
Francesco, vor dem Saisonstart hast du wohl nicht erwartet, dass Zarco bei den ersten sieben Grands Prix viermal auf Platz 2 fahren und Titelanwärter werden würde? Und die Performance von Jorge Martin war noch viel erstaunlicher?
Ja, richtig. Die Resultate beim Saisonstart in Doha kamen völlig unerwartet. Ehrlich gesagt, wir haben nicht einmal von so einem Saisonstart geträumt.
Wir hatten zwei neue Fahrer im Team, nachdem Pecco und Jack ins Werksteam aufgestiegen waren. Deshalb waren keine Prognosen möglich. Wir haben für die ersten zwei Rennen in Doha wirklich nichts Besonderes erwartet.
Es hat uns jedoch etwas geholfen, dass im Frühjahr einige mutmaßliche Protagonisten der Saison 2021 unter ihrem Potenzial geblieben sind. Dazu gehörten die beiden Werks-Ducati, und Marc Márquez fehlte bei den zwei Grands Prix in Losail. Wir haben diese Gelegenheit beim Schopf gepackt.
Während der Saison haben sich die Leistungen dann ausbalanciert; die Favoriten nahmen bald die erwarteten Positionen ein. Aber wir haben bei Pramac weiter gute Resultate erzielt. Dank unseren Fahrern, dank der konkurrenzfähiges Bikes und dank der unermüdlichen Arbeit des Teams.
Aber wie du erwähnt hast: Am Saisonbeginn ging es bei uns ein bisschen verrückt zu.
Wenn du sagst, einige Favoriten seien am Saisonstart hinter den Erwartungen geblieben, so muss man festhalten: Zarco und Martin haben dafür zu diesem Zeitpunkt alle Erwartungen klar übertroffen! Jorge Martin hätte bei seinem zweiten MotoGP-Einsatz fast gewonnen. Das war Marc Márquez-Niveau!
Wir haben nachher während der Saison gesehen, auf welchem Level ein Rookie wie Jorge fahren kann. So eine Performance erlebt man bei einem Neuling nicht jedes Jahr.
Fabio Quartararo war in seiner ersten MotoGP-Saison 2019 auf einem ähnlichen Niveau.
Aber Marc Márquez war sicher der beste Neuling in der MotoGP. Er hat 2013 in seiner ersten Saison gleich die Weltmeisterschaft gewonnen. Das war unglaublich.
Jorge hat sich leider im FP1 beim dritten Grand Prix in Portugal schwer verletzt. Nach acht Knochenbrüchen und drei Operationen musste er auf vier Rennen verzichten. Bei seiner Rückkehr war er nicht 100 Prozent fit. Aber in der Sommerpause hatte er Zeit, völlig gesund zu werden. Nach der Sommerpause konnte er bei der Rückkehr im August beim Steiermark-GP sein Potenzial wieder unter Beweise stellen und seinen ersten MotoGP-Sieg feiern.
Er hat nachher noch ein paar andere starke Rennen gezeigt.
Es war eine unglaubliche Saison, ganz sicher.
Deshalb war es noch schwerer, das Team nach zehn Jahren zu verlassen. (Er lacht).
Jorge Martin hat mich irgendwie an das erste Jahr von Lorenzo, Simoncelli oder Marc Márquez erinnert. Er hat keinen falschen Respekt vor den etablierten Stars gezeigt.
Ja, vom sportlichen Aspekt her hat er keinen Respekt gezeigt. Aber seine Fahrweise und sein Verhalten waren immer fair. Er agiert aggressiv, aber er hat keinen Gegner gestört.
Und den Respekt hat er vermissen lassen, weil er sich den Assen ebenbürtig gefühlt hat.
Jorge Martin hat alle Fähigkeiten, die einen Champion ausmachen.
Klar, Jorge ist ein Rookie gewesen, deshalb mussten wir seine vier Rennstürze akzeptieren. Wenn er gestürzt ist, war er im Rennen immer unter den Top-5.
Er hat also etwas riskiert. Als Rookie musst du das Limit suchen und finden. Manchmal findest du es durch Stürze.
Deshalb dürfen wir uns über die Rennstürze in diesem Jahr nicht beschweren, auch wenn es ziemlich viele waren.