Mike Leitner (KTM): Auch bei Gegnern fehlte Konstanz
Der neue KTM MotoGP-Teammanager Francesco Guidotti wird im Gegensatz zu seinem Vorgänger für das französische Tech3-Team nicht mehr zuständig sein. «Tech3-Teambesitzer Hervé Poncharal hat sein Team nach seinen Vorstellungen geführt», erläutert Mike Leitner im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Natürlich haben wir von KTM geschaut, dass dort konkurrenzfähige Motorräder in der Box stehen und das Kundenteam technisch bestmöglich unterstützt wird. Das hat ja 2020 im zweiten Jahr bei Tech3 schon ausgezeichnet funktioniert. Sonst hätte Miguel Oliveira 2020 nicht zwei Grands Prix gewinnen können.»
«Ich habe dafür gesorgt, dass fünf KTM-Techniker zu Tech3 abkommandiert wurden. Ich habe mit Hervé Poncharal eigentlich immer gutes Verhältnis gehabt. Da hat es nie Probleme gegeben. Ich habe mit niemanden bei KTM Probleme», beteuert Leitner. «Ich telefoniere mit Hervé genauso wie mit Pit Beirer. Aber wenn sich ein Werksteam nach fünf Jahren neu aufstellt, werden gewisse Strukturen geändert. KTM versucht jetzt einen neuen Weg. Das ist okay. Ich bin am Rande noch immer ein Teil des Projekts und werde es auch 2022 sein.»
Mike Leitner sagte nach dem WM-Finale in Valencia, 2021 sei nicht alles gut gelaufen, aber auch nicht alles schlecht gewesen. «Denn immerhin haben wir 2020 und 2021 unseren besten MotoGP-Piloten in der Fahrer-WM vor dem besten Honda-Fahrer platziert. Dazu haben wir im Vorjahr drei und in dieser Saison zwei Rennen gewonnen. Suzuki ist bei den Siegen 2021 leer ausgegangen.»
Leitner bestreitet aber nicht, dass die KTM-MotoGP-Truppe bei den beiden Katar-GP am 28. März und 4. April 2021 enttäuscht hat und auch nach der Sommerpause mit Ausnahme des Überraschungssiegs durch Brad Binder im Regen von Spielberg keinen Podestplatz mehr erreicht hat. In Misano-1 stand zum Beispiel die beste KTM auf dem 17. Startplatz!
Das knallharte Fazit: 2021 erreichte KTM in der MotoGP nur vier Podestplätze (2020 war es acht), in der Fahrer-WM kam Binder auf Platz 6 (Pol Espargaró war 2020 Fünfter), in der Team-WM landete Tech3 auf dem elften und letzten Platz (im Vorjahr Rang 7), Red Bull KTM fiel in der Teamwertung von Rang 3 auf Rang 6 zurück, auch in der Marken-WM verschlechterte sich KTM – Platz 5 statt 4. Nur Aprilia wurde besiegt.
Der bisherige Race Manager Mike Leitner sieht das Glas trotzdem eher halbvoll.
Während Motorsport-Direktor Pit Beirer im Frühjahr nach dem missglückten Auftakt in Katar von einem «Desaster» sprach, streicht Leitner den achten Platz von Brad Binder beim zweiten Katar-Rennen 2021 heraus.
«Natürlich war der Verlust der Concession-Privilegien nach der Saison 2020 eine einschneidende Änderung für unsere Rennoperation. Das ist klar; das hat man auch bei anderen Herstellern gesehen», betont Leitner im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Wenn ein Werk mit einer bestimmen Struktur schon seit 15 Jahren MotoGP-Rennsport betreibt, dann weiß jeder Beteiligte, was der Verlust der «concessions‘ bedeutet. Bei uns im Haus hat es einige Zeit gedauert, bis jeder verstanden hat, was diese neuen Maßnahmen eigentlich bedeuten. Ohne ‚concessions‘ ist es deutlich schwieriger, ein Motorrad weiter zu entwickeln. Das haben wir beim Auftakt in Doha gemerkt. Alle Mitbewerber haben über den Winter technisch nachgelegt und aufgerüstet, das ist logisch und klar in der Königsklasse. Trotzdem ist Brad Binder in Doha beim zweiten WM-Lauf auf Platz 8 gefahren, nur 3,5 sec hinter dem Zweiten. Das war ein Lichtblick. Beim nächsten Rennen in Portimão ist Brad Fünfter geworden, Miguel ist gestürzt. Nachher haben wir uns immer in der Nähe von Platz 10 aufgehalten. Es war schade, dass Miguel in Le Mans im Regen auf Platz 4 gestürzt ist. Wir haben im ersten Saisondrittel die Ergebnisse manchmal nichts ins Ziel gebracht.»
Doch die Technik-Mannschaft in Munderfing sorgte dann beim Mugello-GP für verwunderte Gesichter bei der Konkurrenz.
Leitner: «Wir haben eine neue Chassis-Entwicklung nach Mugello gebracht, an der Peripherie des Motors ziemlich viel gearbeitet und ein Update zum Italien-GP gebracht. Dadurch hat sich die Saison plötzlich wieder komplett gedreht. Beim sechsten Rennen in Mugello sind wir Zweiter und Fünfter geworden. Dazu ist Petrucci mit dem bisherigen Material auf Platz 9 gelandet.»
Der legendäre Crew-Chief Mike Sinclair, der einst bei Yamaha und Suzuki erfolgreich war, bewunderte danach die «tech update response rate» von KTM. Er bezeichnete sie als essenziell und sagte, die Japaner bekommen so einen Entwicklungs-Speed nie hin.
Red Bull-KTM-Werkspilot Oliveira brauste also beim Mugello-GP auf Platz 2, es folgte sein Sieg in Catalunya, Platz 2 auf dem Sachsenring und Rang 5 in Assen.
Zu diesem Zeitpunkt wurde sogar die Frage erörtert, ob Oliveira noch in den Titelkampf eingreifen könnte. Er war WM-Sechster – und fiel nachher auf Rang 14 zurück.
«Unser neues Bike war im Juni überall konkurrenzfähig», stellte Pit Beirer fest. «Deshalb haben wir in der Sommerpause nichts mehr verändert oder verbessert, und dann kamen Strecken, die uns vor echte Probleme gestellt haben. Das kann man nicht schönreden.»
So kam Oliveira beim Steiermark-GP als bester KTM-Fahrer nur auf den zwölften Startplatz, eine Woche später fuhren er und Binder heim Heim-GP von den enttäuschenden Positionen 9 und 10 los.
Übrigens: Im Vorjahr stand immer zumindest eine KTM im Qualifying 2, im Jahr 2021 klappte das in Katar und Misano-1 nicht.
«In der Zeit, in der Miguel vor der Sommerpause vier Top-5-Ergebnisse hintereinander erkämpft hat, ist Brad gleichzeitig Vierter, Fünfter und Achter geworden», gibt Mike Leitner zu bedenken. «Man hat 2021 gesehen, dass kaum ein Hersteller eine Stabilität über alle 18 Grands Prix zustande gebracht hat. Diese Konstanz war ganz, ganz schwer zu erreichen. Im letzten Saisondrittel hat Ducati einen Sprung nach vorne geschafft. Aber Ducati hatte mehr Fahrer; bei ihnen war immer wieder einmal ein anderer schnell. Suzuki hat ein sehr gutes Motorrad, sie haben sehr gute Fahrer. Trotzdem haben sie 2021 kein Rennen gewonnen.»
Sogar bei Yamaha sind in diesem Jahr alle Fahrer außer Weltmeister Fabio Quartararo hinter den Erwartungen geblieben – Viñales, Morbidelli, Rossi, Ersatzfahrer Crutchlow und am Schluss auch Dovizioso.
Leitner: «Insgesamt muss man klar sagen, über die ganze Saison hinweg war die Ducati das ausgeglichenste Motorrad – außerdem für mehrere Fahrer. Bei Yamaha hat nur Fabio dominiert. Bei Honda und Suzuki ging es auf und ab – wie bei uns. In dieser Klasse müssen am Sonntag so viele Kleinigkeiten passen, wenn du das gewünschte Ergebnis abliefern willst. Es ist die Königsklasse – die ist halt nicht so einfach.»
MotoGP Endstand Fahrer-WM (nach 18 Rennen):
1. Quartararo, 278 Punkte. 2. Bagnaia 252. 3. Mir 208. 4. Miller 181. 5. Zarco 173. 6. Binder 151. 7. Marc Márquez 142. 8. Aleix Espargaró 120. 9. Martin 111. 10. Viñales 106. 11. Bastianini 102. 12. Pol Espargaró 100. 13. Rins 99. 14. Oliveira 94. 15. Nakagami 76. 16. Alex Márquez 70. 17. Morbidelli 47. 18. Rossi 44. 19. Marini 41. 20. Lecuona 39. 21. Petrucci 37. 22. Bradl 14. 23. Pirro 12. 24. Dovizioso 12. 25. Pedrosa 6. 26. Savadori 4. 27. Rabat 1.
Konstrukteurs-WM:
1. Ducati 357 Punkte. 2. Yamaha 309. 3. Suzuki 240. 4. Honda 214. 5. KTM 205. 6. Aprilia 121.
Team-WM:
1. Ducati Lenovo 433 Punkte. 2. Monster Energy Yamaha 380. 3. Suzuki Ecstar 307. 4. Pramac Racing 288. 5. Repsol Honda 250. 6. Red Bull KTM Factory Racing 245. 7. LCR Honda 146. 8. Esponsorama Racing 143. 9. Aprilia Racing Team Gresini 135. 10. Petronas Yamaha SRT 96. 11. Tech3 KTM Factory Racing 76.