Formel 1: Böser Verdacht gegen Red Bull Racing

MotoGP-Einstieg von BMW: Was spricht alles dagegen?

Auch wenn es bei BMW dementiert wird: Nicht nur bei der BMW M GmbH wird ein MotoGP-Einstieg der Bayern wohlwollend geprüft. Aber die Gegenargumente sind nicht von der Hand zu weisen.

Seit dem 2. Mai steht fest, dass sich die Suzuki-Ecstar-Mannschaft am Saisonende 2022 aus der MotoGP-WM zurückziehen wird. Dabei hatte die Suzuki Motor Corporation erst im November 2021 den endgültigen neuen Fünf-Jahres-Vertrag bei der Dorna unterschrieben.

WM-Vermarkter Dorna Sports S.L. stellte inzwischen klar, dass der japanische Hersteller nicht ohne Strafzahlung aus dem Vertrag aussteigen könne. Der Suzuki-Vorstand und die Dorna-Manager und -Anwälte haben in Madrid erste Gespräche zu diesem Thema geführt.

Und seither stellt sich die Frage, ob ein anderes Motorradwerk Interesse hat, die beiden MotoGP-Plätze von Suzuki zu übernehmen. Die Dorna Sports S.L. als Inhaber der kommerziellen GP-Rechte hat die beiden «Slots» für einen Hersteller reserviert; ein Privatteam wird sie vorläufig nicht bekommen.

Der Italiener Davide Brivio, bis 31. Dezember 2020 Teamprinzipal bei Suzuki und seither im Management des BWT Alpine Formel-1-Teams (mit Alonso und Ocon) als «Director of Racing Expansion Projects» tätig, hat klare Vorstellungen davon, was mit dem MotoGP-Projekt von Suzuki passieren sollte.

Der ehemalige Suzuki-Teamchef glaubt, ein neues MotoGP-Werksteam könne nach dieser Saison vom Rückzug des Werks aus Hamamatsu profitieren.

Brivio sprach bei seinem MotoGP-Besuch kürzlich von «einer großartigen Gelegenheit». Er sagte, er hoffe, Suzuki werde eine Lösung für die Zukunft finden, denn die Situation sei traurig für die Teammitglieder. «Es wäre schön, wenn man das Team retten könnte oder jemanden findet, der neu in die Meisterschaft einsteigt», stellte Brivio fest, der 2020 mit Joan Mir die WM gewann und der Alex Rins damals auf den dritten WM-Rang brachte.

Brivio prangerte an, in der MotoGP mangele es trotz aller Vorzüge an einer Business-orientierten Dynamik. «In der Formel 1 wurde voraussichtlich bald jemand das Team kaufen und weiter betreiben. Der Käufer könnte Profit aus der Situation schlagen, wenn er in die MotoGP einsteigen will. Die halbe Arbeit wäre schon erledigt. Das wäre ein Projekt, das Freude machen könnte», meinte er.

Doch die Dorna will das Material nicht von einem Privatteam einsetzen lassen, wie es 2009 nach dem Rückzug von Kawasaki passiert ist. Damals wurden die Kawasaki-Werksmaschinen noch ein Jahr lang unter der Bezeichnung Hayate verwendet – mit Fahrer Marco Melandri.

Bisher zeichnet sich allerdings kein Einstieg eines neuen Werks ab. Superbike-WM-Seriensieger Kawasaki sagt kategorisch «nein», bei MV Agusta fehlt es am nötigen Geld.

2002: BMW baute Dreizylinder-MotoGP-Bike

Bei BMW Motorrad beschäftigte sich zwar das Management schon 2002 mit einem 990-ccm-Dreizylinder-MotoGP-Projekt. Luca Cadalora und Garry McCoy traten als Testfahrer auf, aber das bei Oral Engineering in Modena gebaute Bike brachte es nie zur Rennreife.

Dann versprach Dr. Herbert Diess zu Weihnachten 2005 Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta den Einstieg in die neue 800-ccm-MotoGP-Klasse 2007. Auch dieser Plan wurde nicht in die Tat umgesetzt.

Als 2012 die neue 1000-ccm-Kategorie begann und zur Auffüllung des Startfelds (es gab nach der Wirtschaftskrise nicht genug Prototypen) Claiming-Rule-Maschinen mit Superbike-Rennmotoren zugelassen wurden, sahen wir Teams wie Forward und IodaRacing mit BMW-Motoren und Schweizer Rolling Chassis von Suter Racing auf den GP-Pisten.

Schon 2011 stellte das Marc VDS-Team für die Suter-BMW seine Moto2-Infrastruktur samt Fahrer Mika Kallio für Testfahrten in Brünn und Mugello zur Verfügung. Auch Forward experimentierte mit Suter-BMW-Bikes – für den Texaner Colin Edwards.

BMW-Rennchef Berthold Hauser erschien damals bei der Teamvorstellung des Ioda-Suter-BMW-Teams mit Fahrer Danilo Petrucci (WM-17. im Jahr 2013) und stellte eine Werksbeteiligung für die absehbare Zukunft in Aussicht. Eskil Suter und IodaRacing-Teambesitzer Giampiero Sacchi waren überzeugt, die Vorhut eines BMW-MotoGP-Werksteam zu sein.

Aber diese Träume erfüllten sich nicht. BMW zog die Superbike-WM vor, in der seit 2009 nur 13 Laufsiege errungen wurden.

Auch der damalige BMW-Motorrad-Geschäftsführer Hendrik von Kuenheim setzte die MotoGP-Pläne von BMW nicht um. Er träumte ohne den Funken eines schlagkräftigen Konzepts von Sponsor-Millionen durch Red Bull, doch der BMW-Vorstand gab kein grünes Licht für die MotoGP-WM 2012.

Übrigens: Vater Eberhard von Kuenheim sorgte als Vorstandsvorsitzender der BMW AG (Auto) für das Formel-1-Engagement von BMW und für den Titelgewinn mit dem 1400 PS starken Turbomotor von Ing. Paul Rosche mit Brabham 1983.

Dr. Schramm: «Racing ist in der DNA von BMW»

Dr. Markus Schramm, aktueller Geschäftsführer von BMW Motorrad, erklärte bisher regelmäßig, sein Unternehmen brauche die MotoGP-WM nicht, denn er liefert jedes Jahr neue Rekordabsätze ab. Im letzten Jahr wurde ein Gewinn von 228 Millionen Euro erzielt.

Schramm räumt aber ein: «Racing ist in der DNA von BMW seit 100 Jahren. Wir haben eine Motorsporthistorie – mal auf, mal ab. Trotzdem ist die Basis da. Mit der RR haben wir 2009 einen Pfad aufgemacht, der sehr gut dazu passt. Mit der neuen RR, der Einführung der M-Marke und dem Wiedereinstieg als Superbike-Werksteam haben wir ein gutes Paket.»

Doch BMW Motorrad strebte über viele Jahre hinweg nie das sportliche Image an, das der Automobilsparte der Bayern seit 50 Jahren anhaftet und im Tourenwagensport, in der Formel 1 und in vielen anderen Rennserien wie der DTM immer sorgfältig und aufwändig gepflegt wurde.

Obwohl BMW sowieso im Vierrad- als auch im Zweiradbereich nie so konsequent Motorsport betrieben hat wie manche Kontrahenten, wurden immer wieder motorsportliche Erfolge gefeiert. Die Engagements in der Formel 1, in der DTM, bei der Rallye Dakar, in der Superbike-WM und so weiter wurden jedoch zum Leidwesen der Ingenieure in der Rennabteilung manchmal von Rückzugs-Entscheidungen des Vorstands gestoppt.

Dr. Schramm gab in letzter Zeit mehrmals ein klares Bekenntnis zur Superbike-WM ab. Aber vorläufig gewinnt BMW Motorrad nur in der Langstrecken-WM – wie zuletzt beim 24-h-Rennen von Spa-Francorchamps.

«Wir fahren nicht MotoGP, sondern ganz bewusst Superbike-WM», erklärte Dr. Schramm nach der werkseitigen Rückkehr von BMW in die SBK im Jahr 2019. Und weiter: «Ich habe noch einiges bis zur Rente, ich gehe aber davon aus, dass das mein letzter Job ist. Bis ans Ende unseres langfristigen Planungshorizonts können wir davon ausgehen, dass BMW Motorrad in der Superbike-WM bleibt.»

Trotzdem möchten offenbar einige BMW-Manager bei der BMW AG und bei der BMW M GmbH jetzt abwägen, ob ein MotoGP-Einstieg einen Benefit für die Marke bringen könnte. 

Die Finanzierung müsste zum überwiegenden Teil BMW Motorrad stemmen. Wenn Motorrad-Geschäftsführer Dr. Markus Schramm schlüssige Argumente für den MotoGP-Einstieg vorbringt, könnte der Vorstand diesen Plan absegnen, ist zu hören. 

Aber Dr. Schramm müsste bei einem Misslingen des MotoGP-Projekts die Verantwortung übernehmen. «Er würde dann allein auf der Lichtung stehen», sagt ein BMW-Kenner. 

Bei KTM ist das anders: Dort übernimmt der Vorstandsvorsitzende Stefan Pierer die Verantwortung, gemeinsam mit Vorstand Hubert Trunkenpolz, der von Anfang an überzeugt war, die MotoGP-Kosten durch Mehrverkäufe wieder hereinzubringen. KTM hat seit dem Einstieg 2017 immerhin sechs MotoGP-Rennen gewonnen und nutzt die MotoGP als Plattform für Technologie-Transfer, Image-Gewinne und Entwicklungsgeschwindigkeit – oft auf Augenhöhe mit Giganten wie Honda und Yamaha. 

Dass die BMW AG und die BMW M GmbH bei der Finanzierung des MotoGP-Projekts behilflich sein würden, ist durchaus vorstellbar. 

Das hat mehrere Gründe. Die BMW M GmbH feiert 2022 ihr 50-Jahr-Jubiläum. Und sie beliefert die Dorna seit 1999 mit den Official Cars, sie verwöhnt den Sieger des «BMW MotoGP Best Qualifier Award» seit Jahren mit einem kostbaren Sportwagen, in den letzten zwei Jahren gewann ihn jeweils Fabio Quartararo.

Dazu werden seit vielen Jahren jeweils Hunderte von BMW-Autos mit Rabatten an Teammitglieder und andere Inhaber von permanenten GP-Ausweisen verkauft. Ein lukratives Geschäftsmodell für die BMW AG.

Doch BMW Motorrad hat im Geschäftsjahr 2021 den Rekordabsatz von 194.261 Einheiten (+14,8 %) erzielt. Es war somit das beste Jahr seit Bestehen von BMW Motorrad. 2020 wurden 169.272 BMW-Motorräder verkauft. Die Verkaufszahlen steigen also auch ohne MotoGP-Beteiligung.

KTM hat nach dem Beschluss zum MotoGP-Einstieg vom 31. Juli 2014 bis zum ersten Roll-out der RC16 bis Oktober 2015 gebraucht. BMW könnte also bestenfalls 2025 in die «premier class» kommen, in der die Verbrenner zumindest bis inklusive 2035 fahren sollen, ab 2027 mit 100 Prozent synthetischem Treibstoff. Bereits 2026 werden 40 Prozent Bio Fuel beigemischt. 

«Dr. Schramm berichtet an den Vorstand, und der Standpunkt von BMW Motorrad zum Thema MotoGP ist gänzlich unverändert», erklärte Marc Bongers, BMW Motorsport Direktor, beim jüngsten Superbike-WM-Lauf gegenüber SPEEDWEEK.com. «MotoGP macht man für die Sichtbarkeit der Marke. Wir sind Marktführer mit BMW Motorrad im Segment über 500 cm. Wir haben die Marke und wir haben BMW Motorrad und M als Untermarke.»

Der Niederländer Bongers weiter: «MotoGP hat keinen Bezug zum Serienprodukt. Mit der GS machen wir die GS Trophy – Follow the Trails. Im Segment Supersport haben wir in der Startaufstellung einen hohen Anteil in nationalen Serien und bei Hobby-Racing. Dieses Engagement unterstützen wir mit EWC, SBK und den Klassen, die darunterfallen, mit einem seriennahen Produkt.»

«Die Verkaufszahlen sind öffentlich, die Gewinnzahlen von BMW und BMW Motorrad auch», hält Bongers fest. «Wenn man das im Verhältnis sieht zu dem, was MotoGP kostet, um eine Marke zu etablieren, macht das keinen Sinn.»

«Natürlich haben wir Anhaltspunkte oder Richtlinien, aber die Kosten für MotoGP sind schwer einzuschätzen. Unter 40 bis 50 Millionen Euro im Jahr machst du nichts. Es reicht auch nicht, wenn einer sagt: 'Hier hast du 50 Millionen pro Jahr.' Da muss ja auch etwas dahinterstehen. Das geht es um Prototypen, da steckt sehr viel dahinter, dafür brauchst du 100 Leute. Das steht nicht im Verhältnis. Es gibt sehr viele Rechenmodelle für die Kosten in der Superbike-WM, was man mit hineinrechnet und was nicht. Ein MotoGP-Engagement kostet fünf- bis zehnmal mehr. Das ist jetzt brutal grob, aber in dieser Größenordnung spielt sich das ab», ist der BMW-Motorsport-Direktor überzeugt.

«Suzuki hat sich die Frage gestellt, ob sie das für Suzuki Motorrad machen oder allgemein für Suzuki. KTM macht das anders, die machen Ready to Race», ergänzte Bongers. «Das steht auf deren 300er, auf der 125er, da steckt eine andere Firmenstrategie dahinter. Wenn du dich für so ein Programm entscheidest, brauchst du einen sehr langen Atem. Für mich persönlich ist KTM ein Paradebeispiel, wie man es richtig macht. Mit massivem Aufwand sind sie seit sechs Jahren fix dabei. Sie haben immer wieder Highlights, ganz dort sind sie aber noch nicht. Du brauchst die Zeit, wenn du als Neuling da reinkommst. Die MotoGP ist eine ganz andere Nummer.»

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