Gigi Dall'Igna: «Mehr Effizienz mit Hybrid-Antrieb»
Gigi Dall’Igna hat mit seiner Ducati Corse-Mannschaft für die MotoGP-Saison 2022 unbestritten das beste MotoGP-Rennmotorrad gebaut. Denn die Desmosedici hat in diesem Jahr bei elf MotoGP-Events schon neun Pole-Positions erreicht, es wurden vier Siege durch Pecco Bagnaia gefeiert und drei weitere durch Enea Bastianini auf der letztjährigen Desmosedici GP21. Dazu hat Ducati nach 12 von 20 Rennen nicht weniger als vier Werkspiloten in der Fahrer-WM unter den Top-6: Bagnaia (3.), Bastianini (4.), Zarco (5.) und Miller (6.).
Dall’Igna gilt unter den MotoGP-Technikern als innovativster Kopf in der Szene. Mit seinen Erfindungen von den Winglets, den Hinterradspoiler bis zu den Ride Height Devices hat er sich bei den restlichen fünf Werken unbeliebt gemacht.
Inzwischen beschäftigt sich Ducati auch mit dem «Bio Fuel», der in der Saison 2026 zu 40 Prozent beigemischt werden muss und 2027 zu 100 Prozent. Gigi Dall’Igna rechnet mit einem PS-Verlust von «weniger als 10 Prozent» gegenüber dem gegenwärtigen Treibstoff.
Der Italiener macht sich auch Gedanken zum Thema, wie lange die heutigen Verbrennungsmotoren in der MotoGP-Klasse noch eine Rolle spielen werden.
«Ewig», meinte Stefan Pierer, der Vorstandsvorsitzende von KTM, im Vorjahr auf eine diesbezügliche Frage von SPEEDWEEK.com. Dann präzisierte er: «Auf jeden Fall bis 2035.»
Ducati-Renndirektor Gigi Dall'Igna ist anderer Meinung. «Wir müssen Lösungen suchen, um die Effizienz der Motoren zu verbessern», ist Dall’Igna überzeugt. «Die Effizienz ist einer der Schlüsselpunkte für die Zukunft. Deshalb denke ich, wir müssen etwas anders tun, als nur den Verbrenner zu verwenden.»
Das ist als klares Plädoyer für einen Hybrid-Motor zu verstehen, für den die Volkswagen Group als Ducati-Eigentümer mit den Konzernmarken von VW über Skoda, Seat und Audi bis Porsche natürlich viel Know-how beisteuern könnte.
Zumal Porsche und Audi für 2026 den Einstieg in die Formel 1-WM planen.
Im Detail werden die aufwändigen «power units» in der Formel 1 seit 2014 in sechs Module gegliedert. Neben dem Verbrennungsmotor sind dies die beiden Generatoren, der MGU-K, der MGU-H, der Turbolader, die Batterie und das Steuergerät für die Elektronik. Im ersten Jahr durften von jedem dieser Module jeweils fünf Exemplare pro Fahrer verwendet werden.
Aber die Dorna und die anderen MotoGP-Werke sträuben sich gegen solche Konzepte – wegen der enormen Entwicklungs- und Betriebskosten.
Zur Erinnerung: Red Bull Technology bezahlte für die beiden Teams Red Bull Racing und Scuderia Toro Rosso in den ersten Jahren der Turbo-Hybrid-Ära nach 2013 bei Renault bereits Leasinggebühren von 25 bis 27 Millionen Euro für die «power units» pro Rennstall und Saison. Dabei hatten die Motoren 40 bis 80 PS weniger als die siegreichen Mercedes-Antriebseinheiten.
25 bis 27 Millionen Euro, das ist ein Betrag, mit dem die kleineren MotoGP-Werksteams fast ein ganzes Jahr lang über die Runden kommen.
Zuvor verwendeten die F1-Teams 2,4-Liter-V8-Motoren zum Beispiel von Cosworth, Renault oder Ferrari. Der 2,4-Liter-Sauger von Ferrari kostete vor neun Jahren € 4,5 Millionen pro Auto, also € 9 Millionen pro Team. Dazu kamen noch € 0,7 Mio für das KERS pro Fahrzeug. Insgesamt zahlte Toro Rosso 2013 ca. € 10,4 Millionen pro Jahr an Ferrari. Die 1,6-Liter-Turbo-Ära brachte also eine gewaltige Preiserhöhung mit sich. Die Motorenpakete kosteten plötzlich fast das Dreifache!
Heute erinnert sich kaum mehr jemand, was unter KERS verstanden wurde. Das Kinetic Energy Recovery System (KERS) war ein System zur Rückgewinnung kinetischer Energie. Ferrari setzte es bereits 2009 ein. In der Formel 1 diente dieses meist elektrische System von 2009 bis 2013 zur Bremsenergie-Rückgewinnung; es wurde 2014 durch das ERS abgelöst.
Die neuen 1,6-Liter-V6-Turbo-Hybrid-Antriebseinheiten mussten dann von den Kundenteams zu wesentlich höheren Kosten geleast werden.
Dazu kommt: Mercedes konstruierte für 2014 ein so überlegenes «power unit»-Konzept, dass selbst Giganten wie Renault, Ferrari und Honda jahrelang auf verlorenem Posten standen und die Silberpfeile sieben Fahrer-WM-Titel in Serie und ein Rennen nach dem andern gewannen.
Erst 2021 stoppten Red Bull Racing-Honda und Max Verstappen die Mercedes-Vorherrschaft. Nach dem offiziellen Rückzug von Honda werden die Triebwerke der Japaner untrer der Bezeichnung von «Red Bull Powertrains» eingesetzt und weiterentwickelt. Das Unternehmen ist in Milton Keynes angesiedelt und hat für 2022 sechs Motoren-Ingenieure von Mercedes engagiert.
Doch Gigi Dall'Igna weiß, dass die Budgets der MotoGP-Spitzenteams nur bei zehn Prozent der F1-Budgets liegen, denn in der automobilen Königsklasse operieren die Top-Mannschaften mit 400 bis 500 Millionen im Jahr, trotz des offiziellen Kostendeckels, der bei 140 Millionen liegt.
«Natürlich muss man in der MotoGP auf die Kosten achten», betonte Dall'Igna im Vier-Augen-Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Aber wenn man bei so einer hybriden Antriebseinheit wie bei der ECU einheitliche Komponenten vorschreibt, wenn also die Batterie und der Motor für alle Hersteller identisch sind, würden die Kosten nicht so stark steigen.»
Der Ducati-Chefkonstrukteur hat zwar schon einige Nachforschungen angestellt, aber über alle technische Einzelheiten hat er sich noch keine Gedanken gemacht. Denn das aktuellen Motoren-Reglement ist bis Ende 2026 stabil vorgeschrieben: 1000 ccm, maximal vier Zylinder.
«Ich habe noch keine detaillierten Studien dazu gemacht», erklärte Dall'Igna. «Deshalb kann ich über das Gewicht, die Kosten und so weiter noch keine konkreten Aussagen machen. Am Ende ist das ein Konzept, das vernünftig sein könnte, wenn es richtig geplant und gemacht wird. Es hängt davon ab, welche Ansprüche man genau an so eine effiziente Antriebseinheit stellt.»
Der bärtige Italiener würde auch für eine Hubraumreduktion plädieren. «Ich glaube, wir müssen dann einen kleineren Verbrennungsmotor bauen», sagt Dall'Igna.
Auf 800 ccm? Oder sogar auf 600 ccm? Denn in der Formel 1 wurden damals die 2400-ccm-V8-Saugmotoren durch 1600-ccm-Vierzylinder ersetzt.
Dall'Igna: «Das kommt darauf an, welche Balance du anstrenbst.»
Auf jeden Fall würden die Kosten steigen, allein schon wegen der Investments für Forschung und Entwicklung. «Aber am Ende könnte das eine Technologie sein, die vielleicht auch für die Straßenmaschinen sinnvoll sein könnte. ich denke, das ist eine schlaue Idee für die Zukunft. das ist meine Meinung – aber vielleicht liege ich falsch», räumt der Ducati-Rennchef ein.
Aber warum haben ein Dutzend Autofirmen längst Hybrid-Fahrzeuge im Angebot, aber bisher kein einziger Motorradproduzent? Wegen der Kosten? Oder wegen der zu geringen Reichweite?
«Ein Motorrad kann man nicht mit einem Auto vergleichen. Und bisher ist die Technologie noch nicht ausreichend fortgeschritten», stellte Gigi Dall'Igna fest. «Bisher bieten sich keine sinnvollen Lösungen an. Aber das kann sich in Zukunft ändern. Und wir müssen an die Zukunft denken. Wir können uns nicht nur mit morgen beschäftigen.»
In der Formel 1 existieren bis heute weit verbreitete Vorbehalte gegen die aktuellen Antriebseinheiten. «Als MotoGP-Teamchef wäre ich auch gegen eine Hybrid-Lösung, weil die Kosten einfach in keiner Relation zum Nutzen stehen», meinte ein aktueller Teamprinzipal im Gespräch mit SPEEDWEEK.com.
Und er fügte hinzu: «Ralf Schumacher war jetzt im Juli mit dem 19 Jahre alten 2003er-Williams FW25-BMW mit dem Dreiliter-V10 beim Österreich-GP in Spielberg mit alten Reifen nicht langsamer als wir mit den 2022-Fahrzeugen. Von der herausragenden Musik ganz zu schweigen.»