BMW und MotoGP: Es fehlt an Mut und Können
Als das Suzuki Ecstar-Werksteam am Montag nach dem Jerez-GP 2022 den Rückzug aus der MotoGP-Weltmeisterschaft per Saisonende verlautbarte, obwohl im November ein neuer Dorna-Fünf-Jahres-Vertrag bis Ende 2026 unterschrieben wurde, stellte Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta (76) sofort klar: «Diese beiden Plätze bleiben für einen neuen Hersteller reserviert, also für ein Werksteam. Wir werden diese beiden vakanten MotoGP-Slots keinem privaten Team übergeben, weder aus der Moto2 noch aus der Superbike-WM.»
Es war von vornherein klar, dass für 2023 und voraussichtlich auch für 2024 kein neuer Hersteller in die MotoGP-WM kommen würde. Denn bei KTM dauerte es von der Verlautbarung am 31. Juli 2014 bis zum ersten Roll-Out im Oktober 2015 in Spielberg rund 15 Monate, bis zum ersten Wildcard-Einsatz (Valencia im November 2016 mit Mika Kallio) 28 Monate und bis zum Debüt mit den Stammfahrern Pol Espargaró und Bradley Smith in Katar 2017 insgesamt rund 2,5 Jahre.
Es zeichnete sich in den vergangenen Monaten auch deutlich ab, dass BMW zwar Überlegungen anstellte, ob das bayerische Motorradwerk von der Superbike-WM (bisher seit 2009 ohne Titelgewinn) in die «premier class» wechseln sollte. Aber diese Überlegungen hat BMW seit Einführung der MotoGP-Viertakt-Ära schon mehrmals angestellt – und nie den Mut zum Mitmachen in der Formel 1 des Motorradsports gefunden.
Es gab 2002 die 990-ccm-Dreizylinder bei Oral Engineering mit Testfahrer Luca Cadalora. Zu Weihnachten 2006 versprach Dr. Herbert Diess, damals Geschäftsführer von BMW Motorrad, in München Carmelo Ezpeleta per Handschlag den Einstieg in die neue 800-ccm-Klasse im Jahr 2007. Vorher hatte sich BMW bereits die Beibehaltung der pneumatischen Ventiltriebs zusichern lassen. Aber Ezpeleta hat seither von Dr. Diess keine Silbe mehr gehört. Denn der Österreicher machte bald darauf in der VW Group Karriere.
Auch beim nächsten Hubraumwechsel machte BMW Anstalten auf einen Einstieg in die MotoGP-WM, zumindest als Motorenlieferant. Ab September 2012 setzte das italienische IodaRacing-Team von Giampiero Sacchi mit Danilo Petrucci Suter-Motorräder mit BMW-Superbike-S1000 RR-Rennmotoren ein. Sportchef Bertl Hauser kam zur Teampräsentation und stellte eine BMW-Werksbeteiligung für 2014 in Aussicht. Auch Forward mit dem zweifachen Superbike-Weltmeister Colin Edwards vertraute damals in der Claiming-Rule-Ära ab 2012 auf Suter-BMW.
Sogar Sepp Maier und Sepp Hoffmann, die mit ihrem Team alpha Racing in den ersten fünf Jahren nach 2009 für BMW die Superbike-WM betrieben, wollten mit BMW-1000-ccm-SBK-Motoren in die MotoGP-WM einsteigen – mit Markus Reiterberger. Sie unterhielten sich damals in Sepang mit Carmelo Ezpeleta auch gleich über einen Standortwechsel für den GP von Deutschland – vom Sachsenring zum Lausitzring.
BMW: Mit Boxer-Cup und Official Cars im GP-Paddock
Durch die Official Cars und den «BMW MotoGP Best Qualifier Award» ist die BMW M GmbH seit mehr als 15 Jahren Bestandteil der MotoGP-WM. Mit dem Boxer-Cup als GP-Rahmenrennen gab es schon vorher Berührungspunkte mit der Dorna, aber zu einem MotoGP-Einstieg ließen sich die Weiß-Blauen nie hinreissen.
Dr. Markus Schramm, aktueller Geschäftsführer von BMW Motorrad, erklärte bisher regelmäßig, sein Unternehmen brauche die MotoGP-WM nicht, denn er liefert jedes Jahr Rekordabsätze ab. Im letzten Jahr wurde ein Gewinn von 228 Millionen Euro erzielt.
Schramm räumte aber ein: «Racing ist in der DNA von BMW seit 100 Jahren. Wir haben eine Motorsporthistorie – mal auf, mal ab. Trotzdem ist die Basis da. Mit der RR haben wir 2009 einen Pfad aufgemacht, der sehr gut dazu passt. Mit der neuen RR, der Einführung der M-Marke und dem Wiedereinstieg als Superbike-Werksteam haben wir ein gutes Paket.»
Auch wenn es bei der Dorna und bei BMW niemand bestätigen wird: Es haben seit Mai zwischen den beiden Parteien einige informelle Telefongespräche und ein Meeting in Madrid stattgefunden. Nach Informationen von SPEEDWEEK.com reisten BMW-Motorrad-Rennchef Marc Bongers und Timo Resch nach Spanien, um vom Dorna-Topmanagement Einzelheiten zu erfahren. Auch Markus Flasch (der ehemalige Chef der BMW M GmbH) gilt als MotoGP-Befürworter.
Zwischen BMW und Dorna wurde unter anderem darüber diskutiert, ob man bei Suzuki technisches Personal aus der MotoGP-Abteilung abwerben und eventuell sogar Pläne und Hardware der Suzuki GSX-RR erwerben könnte, um die Entwicklung einer eigenen MotoGP-Werksmaschine zu beschleunigen und den Einstieg womöglich schon für 2024 zu bewerkstelligen.
Bei Suzuki ist zu hören, man sei zu Zugeständnissen bereit gewesen, um die Vertragsstrafe bei der Dorna reduzieren zu können. Dazu kommt: Etliche renommierte japanische MotoGP-Techniker von Suzuki sind bis heute auf Arbeitssuche.
BMW wäre in der MotoGP in Zeitnot geraten. Denn das aktuelle Reglement ist nur bis Ende 2026 festgeschrieben. 2027 wird dann zu 100 Prozent mit Bio Fuel gefahren. Und Ducati wünscht sich für 2027 eine neue Motoren-Formel – mit weniger Hubraum, Hybrid-Antrieb und Energie-Rückgewinnung.
Aber angesichts von geschätzten Kosten von 40 Millionen Euro pro Saison hielt sich bei BMW Motorrad die Begeisterung für ein MotoGP-Abenteuer in Grenzen. Kawasaki lehnte von vornherein definitiv ab. Und Nischenhersteller wie MV Agusta und Fantic kamen sowie nie ernsthaft in Frage.
BMW ist auch ohne MotoGP erfolgreich
Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta räumte bereits im Mai gegenüber SPEEDWEEK.com ein, BMW sei der einzige Kandidat, der sich finanziell einen MotoGP-Teilnahme leisten könne.
Gleichzeitig war offenkundig, dass BMW auch ohne MotoGP Umsätze und Gewinne im Zweiradbereich kontinuierlich steigert – und die Gefahr des Scheiterns bei den BMW-Managern offenbar als zu groß eingeschätzt wurde.
Dabei kamen aus der automobilen BMW AG und aus der BMW M GmbH (sie feiert 2022 ihr 50-Jahr-Jubiläum!) durchaus positive Signale. Auch eine Beteiligung am MotoGP-Budget wurde in Aussicht gestellt – denn die MotoGP-Teilnahme hätte durchaus auch den Autoverkauf bei BMW beflügeln können.
Aber die sportlich interessierten BMW-Motorrad-Fans werden in der MotoGP-WM nur die Official Cars um die Strecke flitzen sehen.
Denn nach dem dritten Platz von BMW-Pilot Scott Redding in Most setzte sich bei BMW die Erkenntnis durch, man sollte vielleicht zuerst einmal die Superbike-WM gewinnen, bevor man es in der Königsklasse mit renommierten Gegnern wie Ducati, Aprilia, Honda, Yamaha und KTM aufnimmt.
In der Superbike-WM fällt wenigstens der breiten Öffentlichkeit zumindest nicht auf, wenn sich BMW weiter von Ducati, Honda, Yamaha und Kawasaki vorführen lässt und mit einem halben Dutzend Fahrer in 18 Rennen nur einen einzigen Podestplatz zustande bringt.
Und als BMW-Werkspilot Marco Melandri 2012 nahe am SBK-Titelgewinn war, wurde mitten in der Saison der Rückzug verkündet und die Weltmeisterschaft erfolgreich verspielt.
Damals lag Melandri als WM-Dritter am Ende nach 28 WM-Läufen mit sechs Siegen und fünf zweiten Plätzen mit 328 Punkten nur 29,5 Punkte hinter Weltmeister Max Biaggi (Aprilia).
Heute ist Redding als WM-Neunter bester BMW-SBK-Pilot. Er hat in 18 Rennen karge 110 Punkte eingesammelt, sein Rückstand auf WM-Leader Bautista (Ducati) beträgt respektable 188 Punkte.
Als durchschlagenden Erfolg kann man die BMW-Superbike-WM-Rückkehr vorläufig nicht bezeichnen.
Für die Teilnahme in einer Prototypen-Meisterschaft, in der jeder Hersteller seine technologischen Fähigkeiten unter Beweis stellen kann und die bei etlichen Rennen am Sonntag bis zu 100.000 Besucher anlockt, fehlt in München offenbar der Mut.
Offenbar mangelt es auch an der nötigen Leidenschaft und am Können, das BMW in den automobilen Meisterschaften von der Formel 1 bis zur DTM dank mutigen Managern wie Eberhard von Kuenheim, Jochen Neerpasch, Adolf P. Prommesberger und Dieter Stappert sowie Techniker-Legenden wie Ing. Paul Rosche und Siegerteams wie Schnitzer und Alpina seit Jahrzehnten auszeichnet.