Ducati: Was wurde an der Boxenmauer diskutiert?
Nach dem Rennen: Pecco Bagnaia und Enea Bastianini beglückwünschen sich gegenseitig
Der vorletzte MotoGP-WM-Lauf auf dem Sepang F1 Circuit in Sepang sorgte wieder für viel Gesprächsstoff, denn der Gresini-Ducati-Pilot Enea Bastianini nahm nicht viel Rücksicht auf die Titelchancen von Pecco Bagnaia und Ducati.
Selbst die TV-Zuschauer wurden Augenzeugen von hitzigen Diskussionen bei Lenovo-Ducati an der Boxenmauer zwischen General Manager Gigi Dall‘Igna, Sportdirektor Paolo Ciabatti und Teammanager Davide Tardozzi.
Nach dem Rennen durften wir eine lautstarke Diskussion zwischen Ciabatti und Bastianini-Manager Carlo Pernat beobachten, die für beide Italiener buchstäblich schweißtreibende Formen annahm.
Dass beim Ducati-Management die Köpfe rauchten, war durchaus verständlich. Denn Bastianini und Bagnaia sind schon in Le Mans aneinandergeraten, Pecco stürzte. In Misano kam es wieder zu einem heftigen Gemetzel, das Ducati-CEO Claudio Domenicali damals deutlich kritisierte. Pernat forderte danach sogar die Siegprämie für seinen Schützling Bastianini ein. Auch im Rennen von Aragón benahm sich «La Bestia» nicht sehr mannschaftsdienlich. Man kann sich ausrechnen, dass die nächstjährige Ducati-Lenovo-Fahrerpaarung Bagnaia & Bastianini viel Zündstoff birgt.
In Sepang sagte Fabio Quartararo nach dem Rennen, er habe gehofft, der lachende Dritte zu sein. «Ich habe das Duell vorne bewundert und für Enea die Daumen gedrückt», schmunzelte der Franzose.
SPEEDWEEK.com traf sich nach dem Rennen mit Paolo Ciabatti zum Interview.
Paolo, es passiert nicht sehr oft, dass Gigi Dall’Igna seinen gemütlichen Chefsessel in der Box verlässt und zur Boxenmauer kommt. Aber es gab offensichtlich dringenden Gesprächsbedarf?
Es war der Zeitpunkt im Rennen, als wir dachten, der Kampf an der Spitze sei eventuell ein bisschen zu risikoreich, wenn man bedenkt, was gerade passierte und was auf dem Spiel stand.
Wir haben also beratschlagt, welche Strategie wir wählen sollten. Denn es war zu wichtig für Pecco, nicht nur zu gewinnen, sondern auch kein unnötiges Risiko einzugehen.
Und Enea geht bekanntlich immer sehr aggressiv ans Werk. Und wir wollten einfach keine Wiederholung des Le-Mans-Unfalls sehen.
Bereits in Misano war es nach dem harten Fight im Finish zu Diskussionen mit Carlo Pernat gekommen. Habt ihr Bastianini heute irgendein verschlüsseltes Boxensignal gezeigt oder mit dem Gresini-Team geredet?
Nein, wir haben entschieden, nichts zu unternehmen, denn wenn Bezzecchi an Quartararo vorgekommen wäre, wäre es Pflicht gewesen, dass Pecco gewinnt. Bei Platz 4 von Fabio hätten wir mit Pecco die Fahrer-Weltmeisterschaft gewonnen. «Bez» kam bis auf 0,8 sec an Quartararo heran, doch dann fiel er zurück.
Deshalb haben wir beschlossen: Wir greifen nicht ein.
Was konnte Carlo Pernat zur Verteidigung von Bastianini vorbringen? Dass es bei ihm um den dritten WM-Rang gegen Aleix Espargaró geht?
Ein Fahrer-Manager versucht immer, finanziell das Maximum aus der Situation herauszuholen – zugunsten seines Fahrers.
Aber der dritte WM-Rang von Enea ist in diesem Fall nebensächlich, wenn Ducati erstmals seit 15 Jahren Fahrer-Weltmeisterschaft gewinnen kann?
Es ist wichtig, weil es Prestige bedeutet und auch Geld, weil ein Bonus damit verbunden ist.
Aber wenn eine Sache viel wichtiger ist als eine andere, muss man Prioritäten setzten.
Was erwartest du jetzt für das Finale in Valencia?
Wenn ich die WM-Situation richtig im Kopf habe: Wenn Fabio Quartararo nicht als Sieger durchs Ziel fährt, ist die WM zu unseren Gunsten entschieden. Wenn Quartararo auf Platz 2 eintrifft, ist Pecco Champion, auch wenn er punktelos bleibt.
Letztes Jahr haben wir in Valencia drei Ducati auf die ersten drei Startplätzen gebracht und im Rennen mit Bagnaia, Martin und Miller alle drei Podestplätze in Beschlag genommen.
Wir wissen, das ist eine Piste, die unseren Motorrädern und unseren Piloten liegt und nicht unbedingt Quartararo und Yamaha, der 2021 auf Platz 5 gelandet ist.
Ich denke also, wir brauchen keine Teamorder. Es reicht, wenn eine Ducati gewinnt.
Du kannst also jetzt in den nächsten zwei Wochen beruhigt schlafen?
Natürlich besser als vor der Reise nach Malaysia. Denn wir haben den Vorsprung von 14 auf 23 Punkte vergrößert.
Fabio hat jetzt die Situation, dass er in Valencia unbedingt gewinnen und hoffen muss, dass Pecco ohne Punkte heimfährt.
Mathematisch ist das möglich, wie Lin Jarvis nach dem Rennen gesagt hat.
Wir kamen 2017 mit Andrea Dovizioso mit einer ähnlichen Situation wie Fabio jetzt zum Finale – und haben den Titelfight gegen Márquez verloren.