Technik 2027: Flügel bleiben, keine Hybrid-Antriebe
Im Laufe der kommenden Saison werden WM-Promoter Dorna und das seit 30 Jahren existierende Hersteller-Bündnis Motorcycle Sports Manufacturers’ Association (MSMA) die Grundlagen für das technische Reglement für die MotoGP-Weltmeisterschaft 2027 bis 2031 vereinbaren. Bisher wurde nur festgelegt, dass 2027 von den Werken und Teams zu 100 Prozent synthetischer Treibstoff («Bio Fuel) verwendet werden muss. Hersteller wie KTM und Aprilia wollen ihr 1000-ccm-V4-Bikes sogar schon 2026 nur mit Bio Fuel antreiben.
Das System zur Entscheidungsfindung wirkt kompliziert. In der MSMA werden die Techniker und Manager von Honda, Yamaha, Ducati, Aprilia und KTM jetzt monatelang beratschlagen, in welche Richtung es gehen soll. Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta hat bereits 2022 mehrmals klargestellt, dass die fast 300 PS starken Rennmotorräder inzwischen zu schnell sind und die Kosten für die Werke und Teams auf keinen Fall steigen dürfen.
Mit 363,6 km/h hat Jorge Martin im Vorjahr in Mugello mit der Pramac-Ducati wieder einen neuen Top-Speed-Rekord aufgestellt, auch die Rundenzeiten sinken durch das erbarmungslose Wettrüsten von Jahr zu Jahr.
Die Dorna hat der MSMA beim Malaysia-GP im Oktober 2022 mit Hilfe von Corrado Cecchinelli, bei der Dorna als Director of Technology beschäftigt, bereits eine schriftliche Gedankenstütze übergeben. Die MSMA hat dann am Montag nach dem Valencia-GP erstmals darüber beraten.
Die Vorschläge der Dorna umfassen eine mögliche Reduzierung des Hubraums, eine strikte Ablehnung von Hybrid-Antrieben, ein Verbot der Rear Ride Height Devices, aber eine Beibehaltung der Winglets, weil sie sich inzwischen auch bei den sportlichen Serien-Motorrädern durchsetzen und ihnen nach sechs, sieben Jahren ohne besondere Vorkommnisse bei Kollisionen keine ernsthafte Gefahr mehr nachgesagt werden kann.
Bei der Aerodynamik soll allerdings die Entwicklung gestoppt und eingeschränkt werden, um die vielen, teuren Windkanaltests zu vermeiden.
Biense Bierma, der neue Generalsekretär der Herstellervereinigung MSMA, muss jetzt mit den Werken diverse Vorschläge diskutieren. Aber in der MSMA ist das Klima ziemlich vergiftet, seit vier Hersteller (Honda, Suzuki, Aprilia und KTM) 2019 beim Katar-GP gegen den Hinterradspoiler von Ducati und gegen den Sieg von Andrea Dovizioso protestiert haben und damit in allen Instanzen abgeblitzt sind.
Es lässt sich nicht bestreiten, dass Gigi Dall’Igna, seit dem Beginn seiner Tätigkeit in Borgo Panigale im Oktober 2013 als General Manager bei Ducati Corse innovativer und einfallsreicher war als die Kollegen aller restlichen Werke.
Das zeigte sich schon, als er das Ducati-Werksteam für 2014 kurz vor dem Saisonstart als «Open Class»-Team anmeldete, was nicht im Sinne der Vorschriften war, ihm jedoch mehr Sprit für die Rennen, mehr Motoren, mehr Tests, keine eingefrorene Motorenentwicklung und so weiter zusicherte. Damit konnte er das nicht konkurrenzfähige Desmosedici-Paket in ein besseres Licht rücken.
Im Grunde hat die Dorna das letzte Wort, wenn es um das Technik-Reglement für die MotoGP-WM geht. Nur wenn die Dorna etwas vorschlägt, was die MSMA einstimmig ablehnt, kann es nicht umgesetzt werden. Anderseits muss die Dorna beim Reglement für 2027 bis 2031 nicht zustimmen, wenn die MSMA-Mitglieder einen einstimmig gefassten Beschluss präsentieren. Die Dorna Sports S.L., seit 1992 Besitzer der kommerziellen GP-Rechte, hat also das letzte Wort.
«Wir hoffen, dass wir bis zum Jahresende 2023 Lösungen für alle technischen Vorschriften für die fünf Jahre nach 2026 auf dem Tisch haben. Wenn sie wirtschaftlich tragbar und nachhaltig sind, werden sie von der Dorna gutgeheißen», sagt Carmelo Ezpeleta.
In der Grand Prix Commission sitzen Funktionäre der Dorna, IRTA, FIM und der MSMA. Hier sind die Hersteller in der Minderheit, denn Dorna, IRTA und FIM stimmen in diesem Gremium bei jedem Agreement einstimmig ab.
Beim Technik-Reglement für die Jahre 2022 bis 2026 haben die Hersteller einstimmige Lösungen gefunden, deshalb greift die Dorna auch nicht ein. Sie hat nur durchgesetzt, dass das Front Ride Height Device nach 2022 verboten wird. Bagnaia hat es zum Beispiel 2022 bei den Rennen nie verwendet. Von den acht Ducati-Piloten setzte es nur Johann Zarco während der ganzen Saison ein.
Manche Hersteller-Vertreter sind der Meinung, sie könnten sich auch mit einer Dreiviertel-Mehrheit gegen die Vorschläge der Dorna sträuben. Aber in den Dorna-Verträgen ist ganz klar von Einstimmigkeit («unanimous decision») die Rede.
Fakt ist: Ducati-Rennchef Gigi Dall’Igna widersetzt sich meist den Ideen und Vorschlägen der anderen Werke.
Kein Wunder, denn in der Regel wollen die Konkurrenten seine Innovationen stoppen und verbannen, die passiert sind, weil der schlaue Fuchs aus Borgo Panigale das Reglement aufmerksamer studiert hat als alle andern – und jedes Jahr irgendwelche Lücken aufspürt.
Früher kamen die technischen Vorreiter eher aus Japan: So kreuzte Honda zum Beispiel 2011 mit der sündteuren Seamless-Gearbox auf, die zwar nicht dem Geist des Reglements entsprach, aber nicht explizit verboten war.
Also wurde dieses Getriebe innerhalb eines Jahres zum Standard bei allen Herstellern.
Inzwischen macht sich aber zum Beispiel bei Ducati die Gewissheit breit, dass im Hinblick auf 2027 auf gewissen Gebieten ein Konsens hergestellt werden muss. So ahnen die Italiener inzwischen, dass sie mit der Hybrid-Idee abblitzen werden, die wohl vom Ducati-Eigentümer in Deutschland forciert wurde, weil bei Audi Sport der Formel-1-Einstieg bei Sauber vorbereitet wird und viel Know-how auf diesem Gebiet verfügbar ist.
Aber die Konkurrenz ist sich einig: Hybrid-Antriebe sind für die Serien-Motorräder keine gangbare Lösung – aus Gewichts- und Platzgründen.
Doch wir dürfen davon ausgehen, dass Ducati die technische Überlegenheit der letzten Jahre noch einige Zeit ausspielen wird, denn mit vier Teams, acht Topfahrern und dem einfallsreichen Dall’Igna wird der «Vorsprung durch Technik» nicht so rasch verspielt werden.
«Da die Motorräder immer schneller werden, müssen wir uns für 2027 Einschränkungen vornehmen», erklärte Carmelo Ezpeleta im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Wir können 2027 nicht mit dem Level von 2026 beginnen. Es wird zwar erwartet, dass durch den synthetischen Treibstoff die Motorleistung um 10 Prozent reduziert wird. Ob der Hubraum von 1000 ccm reduziert wird, ist offen. Ich denke, wir sollten nicht nach noch mehr Power streben. Es gibt Werke, die für eine Hubraumreduktion sind, andere sind dagegen. Ob auf diesem Gebiet eine Lösung gefunden wird, ist offen. Wir von der Dorna haben beim Hubraum keinen konkreten Vorschlag gemacht. Aber es ist kein Geheimnis, dass wir gegen Hybrid-Antriebe in der MotoGP-Klasse sind.»