Reifendruck-Sünder: Im Rennen droht Disqualifikation
In der MotoGP-Saison 2023 werden die Reifendrücke in den Vorderreifen erstmals mit Einheits-Sensoren von LDL überwacht. Doch bei den ersten drei Grand Prix werden noch keine Strafen ausgesprochen, wenn jemand das 1,88-bar-Limit unterschreitet. Deshalb waren beim Sepang-MotoGP-Test (von 10. bis 12.2.) und beim Portimão-Probegalopp (11./12.3.) auch die Kontrolle des Reifendrucks ein wichtiges Thema.
Nach dem Jerez-GP 2022 war bekanntlich ans Tageslicht gekommen, dass einige Fahrer über den Großteil der Renndistanz das vorgeschriebene Mindestlimit von 1,88 bar am Vorderreifen fast pausenlos unterschritten hatten.
Michelin ist überzeugt, das könnte die Haltbarkeit des Reifens gefährden. Die Franzosen verlangen deshalb von den Teams und Motorradwerken eine genaue und sorgfältige Einhaltung des Mindestdrucks. Für 2022 wurden aber keine Strafen ausgesprochen, es wurde aber nach einer vernünftigen Lösung für die Saison 2023 gesucht.
«Hauptsächlich geht es jetzt darum, wie man den Reifendruck schon in der Box einstellt und wie man den Reifen konditioniert, um am Ende auf der Strecke im erlaubten Fenster zu sein», erklärte Ing. Sebastian Risse, der bei KTM Factory Racing die Aufgabe des Technical Coordinators für MotoGP erfüllt, im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Klar, wenn das Kind einmal in den Brunnen gefallen ist, kann man auf der Strecke mit dem Fahrer nur noch begrenzt etwas machen. Es geht um den Mindestdruck. Wenn der Reifendruck zu niedrig ist, haben die Michelin-Techniker Sorgen und die Sicherheit», ergänzte Risse.
«Sprechen wir zum Beispiel über das MotoGP-Qualifying», erklärte Danny Aldridge, der MotoGP Technical Director, im Exklusiv-Interview mit SPEEDWEEK.com. «Du fährst also los und musst diesen Mindestreifendruck an irgendeiner Stelle auf der Strecke erreichen. Das könnte in der ersten oder in der letzten Kurve sein, das ist irrelevant. Die Vorschrift gilt für beide Reifen. Wenn also der Vorderreifen das Limit erreicht, der Hinterreifen aber nicht, dann wird die entsprechende Runde gestrichen.»
Übrigens: Der Mindestdruck hinten wurde mit 1,7 bar festgelegt.
Die Überwachung läuft über das einheitliche Electronic Control Unit (ECU) von Magneti Marelli, alle Informationen sind verschlüsselt, aber sie werden an die offizielle Zeitnahme weitergeleitet. Bei einem Vergehen bekommt der Fahrer sofort eine Botschaft aufs Dashboard. Er weiß also, ob er in einer weiteren Quali-Runde pushen muss.
Bei den Wintertests wurden noch einige «bugs» gefunden, sie wurden großteils behoben, trotzdem bleibt der Probebetrieb für die ersten drei Grand Prix in Portimão, Termas de Río Hondo und Texas wie geplant aufrecht.
Weder bei den Tests noch bei den ersten drei Grand Prix werden Vergehen beim Reifendruck geahndet. «Bei den Tests gibt es keine Vorschriften für den Reifendruck. Wir kümmerten uns also nicht darum, mit welchen Reifendrücken gefahren wurde. Aber es war ja zum Nutzen der Teams, wenn sie Erfahrung mit dem Mindestdruck von 1,88 bar sammelten und nicht darunter blieben», meint Danny Aldridge.
Die Übermittlung der Reifendruck-Daten von den Sensoren an die Zeitnahme passiert im Quali ohne Zeitverzögerung, die Rundenzeit wird sofort in «real time» automatisch gestrichen.
«Das System funktioniert so gut, dass es auch erkennt, wenn es Probleme mit dem Sensor gibt und zum Beispiel die Daten nicht gesendet werden. Wir holen dieses Motorrad dann zur Technischen Kontrolle. Wenn der Fehler nicht am Team liegt, sondern am Sensor, wird die Runde nicht annulliert.»
Reifenlieferant Michelin legt die Parameter für den Mindestdruck fest; ein maximal erlaubter Reifendruck existiert nicht.
Paul Trevathan, Crew-Chief von Pol Espargaró (GASGAS), ist der Meinung, ein Reifendruck vorne von 2,2 bar sei bereits gefährlich, wegen der geringen Reifenauflagefläche. Es sei aber vom Fahrstil abhängig. Manche Fahrer kommen mit hohen Drücken besser zurecht als andere.
Auch in den Rennen wird es womöglich schon ab Jerez (30. April) bei Nicht-Einhaltung des 1,88-bar-Limits rigorose Strafen geben.
«Wir werden aber in den Rennen keine schwarzen Flaggen zeigen, wenn die Fahrer die Mindestanforderungen nicht einhalten. Die Übeltäter dürfen weiterfahren, aber wir werden diese Bikes in die Technical Control holen und dort nachforschen. Wenn das System und der Sensor korrekt funktioniert haben, berichten wir an den FIM MotoGP Stewards Panel, und sie beraten über die Strafe. Normal wird es dann eine Disqualifikation ausgesprochen. Aber wie gesagt: Die Strafen obliegen den Stewards», schilderte der Technical Director.
Was muss passieren, dass ein Fahrer wegen eines illegalen Reifendrucks aus der Wertung fliegt? «Es geht um den Schnitt des Reifendrucks pro Runde», betont Aldridge. «So wird entschieden, ob es gut oder schlecht war.»
Die Fahrer werden von den Teams im Dashboard mit einem grünen Licht die Message bekommen, dass die neueste Runde vom Reifendruck her in Ordnung war.
Im Vorjahr haben Ducati und Aprilia Sensoren von McLaren verwendet. Bei der Suche nach einem einheitlichen Fabrikat haben die Japaner deshalb McLaren abgelehnt, andere vertrauten auf 2D, man einigte sich auf LDL aus Frankreich. Es gab unterschiedliche Kalibrierungen und unterschiedliche Toleranzen, also bei jedem Werk andre Ergebnisse.
«Wir wollten, dass sich die Motorradwerke auf ein Sensor-Fabrikat einigen. Sie kamen aber auf keinen gemeinsamen Nenner, also haben wir die Verantwortung übernommen und der Organisator hat die Wahl getroffen.»
Und die Dorna entschied sich nach Rücksprache mit Michelin für LDL.
Übrigens: Wann die Strafen erstmals ausgesprochen werden, ist noch offen. «Wenn die Werke nach drei Grand Prix meinen, das System sei noch nicht ausgereift, werden wir mit den Strafen erst beim fünften oder sechsten Rennen beginnen, also in Le Mans oder Mugello», kündigte Danny Aldridge an.