Hailwood kämpfte gegen Agostini – und gegen die Honda
Im Jahr 1966, seiner ersten Saison auf Honda, beschwerte sich Mike Hailwood regelmäßig über die Straßenlage, das Fahrverhalten und das Handling seiner Vierzylinder-Werksmaschinen, der 350- ccm-RC173 ebenso wie der 500 ccm-RC181.
Weil Hailwoods Renn- und Rundenzeiten auf der Sechszylinder-250er mit denen vergleichbar waren, die er in den 350ccm-Grand Prix erzielte, fand Honda eine simple Lösung für eine neue 350er: Die Ingenieure bohrten die Sechszylinder-250er einfach auf 297 ccm auf und schickten sie als RC174 in der 350 ccm-Klasse an den Start.
Die RC174 hatte mehr Power als die Vierzylinder-350er und war angeblich um 20 kg leichter. Mit der neuen Maschine gewann «Mike the Bike» die ersten fünf Rennen der Saison und eroberte seinen zweiten 350 ccm-Titel. Dann konzentrierte er sich auf die Halbliter-WM mit der RC181, während Ralph Bryans den 297 ccm-Sechszylinder übernahm und über den Rest der Saison hinweg genügend Punkte für den dritten Platz in der WM einsammelte. Der 297 ccm-Sechszylinder war einzigartig.
In der Halbliterklasse begann Hailwood das Jahr mit zwei Rennen in Italien und England, die nicht zur Weltmeisterschaft zählten. Seine «Honda Racing Special» HRS hatte einen von Colin Lyster entworfenen und bei Belletti in Italien gebauten Spezialrahmen und trug Hailwood bei beiden Veranstaltungen zum Sieg.
Beim Auftakt der Halbliter-WM in Hockenheim sorgte Hailwood 1966 für Aufsehen, als er abermals mit der HRS erschien und den von ihm persönlich finanzierten Prototypen im Training einsetzte. Im Rennen steuerte er allerdings wieder die RC181 mit Honda-Rahmen. Gerüchte machten die Runde, Hailwood habe ein Telegramm von Soichiro Honda erhalten, in dem ihm der Firmenboss höchstpersönlich untersagte, die HRS bei WM-Läufen einzusetzen.
Der Gründer und Präsident von Honda war eine anerkannte Macht in Japan. Von Premierminister Eisaku Sato im Jahr 1965 persönlich als eine der wichtigsten Triebfedern für Japans steigende Exporte geehrt, war Soichiro Honda gewiss niemand, mit dem sich ein Fahrer anlegen würde.
In einem Interview mit dem amerikanischen Cycle World-Magazin vom Juni 1967 wurde Hailwood zu seinem «italienischen Rahmen» befragt. Hailwood gab zur Antwort: «Wir hatten keine Zeit, ihn weiterzuentwickeln. Das letzte Mal, als ich damit gefahren bin, war er schlechter als das Honda-Original. Wir hatten nie die Zeit, testen zu gehen.»
Und so kam es, dass die Lyster-Belletti HRS eingemottet wurde und nie wieder auf einer Rennstrecke zu sehen war.
Neuer Rahmen, alte Probleme
Weil Hailwood mit den 250 ccm- und 297 ccm-Sechszylindern so gut zurechtkam, entschied Honda, das Chassis-Layout für die RC181 von 1967 zu kopieren. Der geschlossene Rahmen der Version 1966 wurde ausgemustert, stattdessen kam ein offener Rahmen zum Einsatz, bei dem der Motor als tragendes Teil integriert war.
Umso größer war die Bestürzung der Japaner, als Hailwood nach den ersten Probefahrten mit der überholten RC181 den Daumen energisch nach unten drehte.
Was die Peinlichkeit noch verstärkte, war ein Motorschaden beim Saisonauftakt 1967 in Hockenheim, einem Rennen, das Hailwood zum Zeitpunkt des Defekts überlegen anführte. Giacomo Agostini steuerte eine hubraumstärkere 485 ccm-Version der Dreizylinder-MV Agusta und gewann das 30-Runden-Rennen mit einem Vorsprung von zwei Runden. Honda blieb punktelos. Obwohl Agostini einen Boxenstopp einlegte, um in Ruhe nachzutanken, brach «Agostini nazionale» die alten Rekorde von Jim Redman für die schnellste Runde und die Gesamt-Rennzeit mit 188,6 km/h und 180,79 km/h.
Es bestand kein Zweifel, dass Hailwood und Honda mit dem amtierenden Weltmeister aus Italien einen ernst zu nehmenden Konkurrenten hatten.
Nächster Schauplatz war die Tourist Trophy auf der Insel Man, ein Rennen, über das auch heute noch geredet wird, weil sich Agostini und Hailwood ein derart intensives und erbarmungsloses Duell lieferten. Die Honda sprang regelrecht von Bodenwelle zu Bodenwelle (und der TT-Kurs war damals um einiges holpriger als heute), während Hailwood mit aller Kraft versuchte, seine Maschine auf der Straße zu halten.
Fotografen wie Zuschauer sprangen an der Bray Hill-Bergab-Passage vom Streckenrand zurück, als sie sahen, wie furchterregend die Werks-Honda RC181 wackelte. Der frühere Verkehrspolizist Don Raynes erinnert sich, wie «Mike auf den Fußrasten stand, um nicht komplett die Kontrolle über das Bike zu verlieren».
Bei seinem Tankstopp griff Mike Hailwood nach einem Hammer und drosch den Gasgriff, der fast vom Lenkerende gerutscht war, an seinen Platz zurück.
Trotzdem und trotz des angsteinflößenden Fahrverhaltens der RC181, stellte Hailwood einen neuen Rundenrekord von 108,77 Meilen pro Stunde (175,05 km/h) auf, der acht Jahre Bestand haben sollte.
Für Agostini und MV Agusta endete das Rennen mit einer bitteren Enttäuschung: Auf der letzten Runde riss die Antriebskette des italienischen Dreizylinders. Hailwoods siegte mit einem Vorsprung von 7 min 43 sec vor P.J. Williams (Matchless).
Es spricht Bände über das Fahrkönnen und Herz von Hailwood, dass er mit der RC181 in diesem Jahr fünf Halbliter-Grand Prix gewinnen konnte. Agostini gewann die anderen fünf.
Damals zählten die jeweils sechs besten Ergebnisse eines Fahrers, was bedeutete, dass sowohl Agostini als auch Hailwood 46 Punkte von fünf Siegen und einem zweiten Platz in die Waagschale werfen konnte. Zum Zünglein an der Waage wurde am Ende die Tatsache, dass Agostini drei und Hailwood nur zwei zweite Plätze erzielt hatte. So wurde MV-Agusta-Star Agostini zum zweiten Mal als Halbliter-Champion gekrönt.
Die zweite HRS
Nach dem Saisonende ging Hailwood abermals auf Ken Sprayson zu, und diesmal willigte Sprayson ein. Über Winter entwarf und baute er einen neuen Rahmen, bei dem der Motor nicht mehr tragendes Teil war, sondern einen soliden, durchgängigen Rahmen-Unterzug aufwies.
Im Februar 1968 gab Honda den Rückzug aus allen Motorrad-WM-Serien bekannt. Allerdings hatte Hailwood einen gültigen Vertrag; Honda bezahlte ihm eine Gage von angeblich 50.000 Pfund Sterling, damit er nicht für einen anderen Hersteller antrat, und willigte ein, ihm seine Honda-Maschinen von 1967 für Rennen zu überlassen, die nicht zur Weltmeisterschaft zählten.
Hailwood setzte die neue von Sprayson entwickelte HRS bei einigen Rennen im Frühjahr 1968 in Italien ein und gewann den Klassiker in Imola, doch bei den meisten anderen Veranstaltungen, bei denen er antrat, gab er der Sechszylinder-Honda RC174 mit 297 ccm den Vorzug.
Offensichtlich war die zweite HRS nicht viel besser als die Werksmaschine. Der erfahrene Engländer John Cooper lieh sich die HRS für ein Rennen in Großbritannien aus, fand sie aber störrisch wie einen Esel. Jahre später erklärte Cooper: «Sie war schrecklich zu fahren, und trotzdem gewann Hailwood mit diesem Ding. Keine Ahnung wie!» Und das war angeblich eine bessere Version der Werksmaschine!
Hailwood: «Ich hatte Angst, das Ding zu fahren»
«Sie schien ein Eigenleben zu haben, wenn man sie wirklich ans Limit trieb», beschrieb Hailwood die Werks-Honda RC181. «Die Leute sagten immer wieder, dass die Maschine die gesamte Fahrbahnbreite brauchte, um eine Kurve zu bewältigen. Für mich fühlte es sich so an, als ob sie nicht nur beide Seiten der Straße, sondern auch noch die Bordsteine benötigte», schilderte er. «Ehrlich gesagt, ich hatte Angst, das Ding zu fahren, doch ich hatte einen Vertrag, der mich dazu zwang. Und so entschied ich mich, das Beste aus der Situation zu machen, bis sie das Motorrad verbessern würden. Nur – das hat nie stattgefunden.»
Ex-Weltmeister John Surtees, der sich zweifellos mit der Abstimmung von Rennmotorrädern auskannte, fuhr die RC181 von 1967 ein Jahrzehnt später und erklärte, der Rahmen benötige eine bessere Steuerkopf-Geometrie, Änderungen am Schwingendrehpunkt und eine bessere Hinterradfederung. Mit einigen gezielten Modifikationen, so Surtees, hätte der bestehende Honda-Rahmen von 1967 mit dem Motor als tragendem Teil deutlich besser funktionieren können.
Dass Hailwood in der Lage war, mit dieser RC181 Rennen zu gewinnen, während er parallel dazu bei den 250ern und 350ern antrat und in Ausnahmefällen in allen drei Klassen gewann, macht ihn unbestritten zu einem der Größten in diesem Sport.
Beim Grand Prix von Assen 1967 zum Beispiel absolvierte Hailwood insgesamt 439 Rennkilometer und gewann die Läufe der 250er-, 350er- und 500er-Klasse – an einem Tag.
Stanley Michael Bailey Hailwood war aus einem besonderen Holz geschnitzt.
Jetzt, mehr als ein halbes Jahrhundert später, hat Honda erneut einen besonders tapferen, risikofreudigen und talentierten Fahrer, der bereit und in der Lage ist, ein problematisches Motorrad ans Limit zu treiben.
Wie lange Marc Márquez diese Bereitschaft nach den vielen Verletzungen noch zeigen wird, bleibt allerdings die große Frage.