Marc Márquez’ großer Schritt und seine Bedeutung
Marc Márquez kehrt HRC den Rücken und verlässt seine Repsol-Honda-Crew mit Saisonende
Dass Marc Márquez bei Honda frühzeitig den Dienst quittiert und zu Ducati wechselt, ist der bedeutendste Schachzug auf dem Fahrermarkt seit Valentino Rossis mehrfachen Farbwechseln. Eine Entscheidung, die mindestens zwei brennende Fragen mit sich bringt.
Die erste Frage dreht sich um den Status quo. Riskiert Marc, einfach zu einem weiteren der schnellen Ducati-Piloten zu werden, wenn er zur größten Gang im Feld stößt? Oder ist die formidable Kombination aus Talent und Willenskraft des alternden Multi-Weltmeisters noch stark genug, um die anderen in die Nebenrolle zu degradieren? Im Februar wird er 31 Jahre alt.
Das wird sich natürlich erst mit der Zeit zeigen, aber man sollte sich davor hüten, dagegen zu wetten, dass Marc Márquez die Ducati-Truppe nicht zumindest ernsthaft ärgern wird. Jeder, der seine Karriere verfolgt hat, kann nur über seine Leistungen stauen. Sein WM-Serie – mit sechs MotoGP-Titeln zwischen 2013 und 2019 – ist Beweis genug für seine Fahrküste. Und seine schiere Entschlossenheit kam in den darauffolgenden schlechten Jahren nur noch viel mehr zur Geltung.
Das zweite Fragezeichen betrifft Honda, die erfolgreichste Marke in der Geschichte der Motorrad-WM. Was um alles in der Welt werden sie jetzt machen? Wer kann schon den Fahrer ersetzen, der sogar mehr Titel als Mick Doohan gewonnen hat?
Die Hoffnungen werden für 2024 auf Joan Mir und dem routinierten Neuzugang Johann Zarco ruhen, zwei ehemalige Weltmeister, neben Takaaki Nakagami und demjenigen, der in den möglicherweise sauren Apfel beißt und Marcs Nachfolge antritt.
Trennung nach 11 Jahren, 6 Titeln und 59 Siegen
Marcs Entscheidung, den bestehenden Vertrag mit HRC aufzulösen, geht ganz klar auf eine wachsende Ernüchterung über eine RC213V zurück, die im Vergleich zur europäischen Konkurrenz schrittweise ins Hintertreffen geraten ist. Ein Leid, das Honda mit Yamaha teilt. Ein Einbruch im Klassement und zahlreiche Stürze und Verletzungen waren die Folge davon.
Bezeichnend: Obwohl Marc Márquez in dieser Saison bereits drei Grands Prix und zwei weitere Hauptrennen verpasste, führt er mit 20 Stürzen die Crash-Wertung an. Allein auf dem Sachsenring flog er in 40 Stunden fünf Mal ab. Die Teilnahme an den Sonntag-Rennen beim Deutschland-GP und bei der Dutch TT in Assen sagte er daraufhin ab.
Seither verfolgte der 59-fache MotoGP-Sieger einen neuen Ansatz: Er gehe nicht mehr über das Limit, sondern konzentriere sich darauf, Informationen zu sammeln, erklärte er in der zweiten Saisonhälfte wiederholt. Aber Marc ist Marc und dieses Vorhaben hielt nur so lange an, bis ihm eine spezielle Strecke in Indien und das Regenwetter in Japan die Chance auf ein gutes Ergebnis boten – und er seinen ersten GP-Podestplatz seit fast einem Jahr holte.
Den größten Einfluss hatte aber vielleicht sein familiäres Umfeld. Sein jüngerer Bruder Alex beendete seine dritte und letzte MotoGP-Saison auf Honda im Vorjahr mit 21 rufschädigenden Stürzen und einem miserablen 17. WM-Rang. Für 2023 stieg er auf eine Ducati um – und stand bereits im zweiten Anlauf beim Argentinien-GP auf dem Podest. Man kann sich nur ausmalen, worüber am gemeinsamen Esstisch gesprochen wurde.
Marc Márquez wie Valentino Rossi?
Es gibt einige bemerkenswerte Präzedenzfälle, die bis in die 1950er-Jahre und zu Geoff Duke zurückreichen. Er gewann 1951 und 1952 drei Titel für Norton (2x 350 ccm, 1x 500 ccm), ließ den technisch versumpften Hersteller daraufhin links liegen und wechselte 1953 zu Gilera. Mit den Italienern feierte er dann noch drei 500-ccm-Titel in Folge.
Mike Hailwood scheiterte knapp daran, seinen vier 500-ccm-Titeln für MV Agusta nach seinem Wechsel zu Honda im Jahr 1966 weitere Triumphe hinzuzufügen. Giacomo Agostini (dessen Ankunft bei MV Hailwoods Abgang beschleunigt hatte) gelang es dann, nach seinen acht Titeln mit MV Agusta 1975 auch noch auf einer Yamaha zu gewinnen.
Der nächste Champion, der sich auf unterschiedlichen Fabrikaten krönte, war Eddie Lawson. Sein abrupter Abgang von Yamaha zu Honda im Jahr 1989 verärgerte seinen ehemaligen Arbeitgeber und brachte auch Hondas Champion von 1987, Wayne Gardner, ernsthaft in Schwierigkeiten.
Valentino Rossi ließ Honda vor der Saison 2004 sitzen, um seinen Lauf mit Yamaha fortzusetzen, ehe er ein desaströses Intermezzo bei Ducati einlegte, um im Anschluss wieder zu Yamaha zurückzukehren. Sein großer Rivale Casey Stoner gewann seinerseits den ersten Titel auf Ducati, den zweiten auf Honda.
Marc ist mit den Genannten locker auf eine Stufe zu stellen und sein Wechsel zu Ducati – selbst in ein Satellitenteam – wird die aktuellen Asse des Herstellers aus Borgo Panigale sicherlich ärgern. Aber wird er sie auch besiegen? Und könnte er mit Rossi gleichziehen und es gleich im ersten Rennen tun?
Nach meinem Ermessen, ja.