MotoGP: Bittere Pille für Stefan Bradl

Pit Beirer: Kein Karbon-Chassis für das GASGAS-Team?

Von Günther Wiesinger
Brad Binder und Jack Miller sind beim Japan-GP (1.10.) vom Stahlrahmen auf das neue Karbon-Chassis von KTM umgestiegen. Eventuell wird der Stahlrahmen künftig mit dem GASGAS-Tech3-Team weiter entwickelt.

Brad Binder und Jack Miller erfüllten zwar beim Australien-GP mit den Rängen 4 und 7 am Samstag im Volldistanz-Rennen über 27 Runden die Erwartungen von Red Bull-KTM nicht ganz. Aber die Plätze 1, 2 und 5 durch die KTM-MotoGP-Werksfahrer Binder, Miller und Pol Espargaró im Zeittraining am Freitag nötigten auch der Konkurrenz einigen Respekt ab. Aber nur Binder und Miller stand das neue Karbon-Chassis zur Verfügung. 

Das KTM Factory Racing Team glänzte beim Misano-GP mit Platz 4 durch Testfahrer und Wildcard-Pilot Dani Pedrosa, der dort überraschenderweise das neue Karbon-Chassis einsetzte, das dann beim Montag-Test in Misano auch von Binder und Miller erstmals probegefahren und für gut befunden wurde. Der Startschuss zur Entwicklung war durch den Vorstand ein Jahr vorher erfolgt.

Nach dem erfolgreichen Debüt des 38-jährigen Dani Pedrosa wurden weitere neue Karbon-Chassis in Auftrag gegeben und produziert, die aber zwei Wochen später in Indien (24. September) noch nicht einsatzbereit waren. Erst für den Japan-GP (1. Oktober) wurden per Luftfracht vier Karbon-Chassis nach Motegi befördert. Am Freitag verglichen die KTM-Asse dort noch je einen Karbon-Rahmen mit einer Stahlversion; am Samstag rückten Binder und Miller nur noch mit je zwei Karbon-KTM-Bikes aus.

Die Vorreiterrolle von KTM beim neuen Chassis-Material (die Konkurrenz setzt zur Gänze auf Alu-Monocoques) sorgte für Verwunderung, weil die Österreicher den Gitterrohrstahlrahmen in der MotoGP bisher immer als Alleinstellungsmerkmal, DNA und Religion von KTM bezeichnet haben.

Doch jetzt zeichnet sich bei KTM zumindest in der MotoGP-WM ein neues Erbgut ab. SPEEDWEEK.com erkundigte sich bei KTM-Motorsport-Direktor Pit Beirer: Hat der Stahlrahmen ausgedient?

Pit, wann wird das GASGAS Factory Team mit Pol Espargaró und Augusto Fernández mit Karbonrahmen beliefert?

Das ist im Moment nicht unsere Priorität. Für uns hat jetzt Vorrang, dieses neue Chassis im Extremfall, und MotoGP ist Extremfall, kennenzulernen.

Man hat ja seit Japan gesehen: Wenn du mitten in der Saison ein neues Chassis reinbringst, musst du es zuerst einmal abstimmen und rausfinden, was bei jeder Wetterlage und auf jeder Rennstrecke die richtigen Hebel sind, an denen man drehen muss.

Wir haben die neuen Chassis samt Ersatzteilen per Luftfracht zu den Übersee-Grand Prix eingeflogen.

Für uns ist jetzt einmal wichtig, dass Brad Binder performancemäßig das stärkste Paket zur Verfügung hat, das er haben will, weil er es am besten umsetzt.

Wir lernen ja noch dauernd dazu. In Motegi hatten wir ein Regenrennen und haben erste Aufschlüsse bekommen. Im nassen Warm-up am Sonntag auf Phillip Island konnten wir neuerlich im Regen damit fahren. In Australien waren wir auf das Regentraining schon viel besser vorbereitet.

Jack und Brad sind im verregneten Warm-up auf den Plätzen 3 und 4 gelandet; Augusto und Pol waren als Sechster und Achter mit dem Stahlrahmen nicht weit dahinter.

In der GASGAS-Tech3-Box werden wir 2023 keine Karbonrahmen sehen?

Unsere zwei Red Bull-KTM-Stammpiloten haben jetzt erst drei Grand Prix mit dem Karbon-Chassis absolviert. Wir brauchen unbedingt noch zwei oder weitere Grand Prix, bis wir das Potenzial des neuen Materials richtig einschätzen können. Dann ist die Saison weitgehend vorbei.

In der Zwischenzeit überlegen wir, ob es nicht Sinn macht, unsere zwei verschiedenen MotoGP-Marken mit unterschiedlichen Chassis-Materialien auszurüsten.

Ursprünglich war unser Ziel, mit dem Gitterrohrstahlrahmen MotoGP-Weltmeister zu werden. Wir haben mit diesem Konzept bisher sieben MotoGP-Rennen gewonnen, zwei mit Brad, fünf mit Miguel. Brad Binder ist damit 2022 WM-Sechster geworden, Pol Espargaró war 2020 schon WM-Fünfter. Und vor dem Japan-GP 2023 lag Brad mit dem Stahlchassis in der WM an vierter Position.

Wir glauben weiter an Stahl und werden weiter neue Stahlrahmen testen und entwickeln. Es ist nicht entscheidend, aus welchem Werkstoff die Rahmen bei GASGAS sein werden. Es ist gut möglich, dass wir die Entwicklung der Chassis aus Karbon und Stahl für 2024 parallel weiter vorantreiben.

80 Prozent des Startfelds vertraut auf Alu-Chassis. Alle drei Werkstoff-Konzepte sind konkurrenzfähig, die Zeiten liegen oft innerhalb einer Sekunde.

Wir bleiben innovativ und gehen bei einer unserer zwei Marken in eine andere Richtung.

Werden Pol Espargaró, Augusto Fernández oder gar Rookie Pedro Acosta beim Valencia-Test eine Karbon-Probefahrt machen dürfen?

Es ist momentan nicht unser Plan, mit aller Gewalt die neuen Chassis auch in das zweite Team zu bringen.

Wir wollen die nächsten Rennen in erster Linie nutzen, um das neue Material wirklich perfekt zu verstehen und es abzustimmen, um für die Wintertests und die kommende Saison ein sehr stabiles Paket zu haben.

Brad Binder sagt, der Karbonrahmen liefert deutlich mehr Hinterradgrip. Beim Red Bull KTM-Team gibt es also keinen Weg mehr zurück zu Stahl?

Das hat niemand behauptet. Wir haben bei den Tests ausgezeichnete Ergebnisse erreicht, Dani hat mit der Wildcard in Misano tolle Ergebnisse erzielt.

Wir schliessen nichts aus, weder nach vorne noch zurück.

Wir müssen beim Karbon-Chassis jetzt mal die Möglichkeit haben, es bei allen Wetterlagen, bei allen Temperaturen auf allen Strecken zu probieren.

Welcher Chassis-Werkstoff im KTM Factory Team 2024 verwendet wird, ist noch nicht endgültig entschieden. Doch im Moment ist die Performance von diesem Chassis eindeutig ein Sprung nach vorne.

Ergebnis MotoGP-Rennen, Phillip Island (21.10.):

1. Zarco, Ducati, 27 Rdn in 40:39,446 min
2. Bagnaia, Ducati, + 0,201 sec
3. Di Giannantonio, Ducati, + 0,477
4. Binder, KTM, + 0,816
5. Martin, Ducati, + 1,008
6. Bezzecchi, Ducati, + 8,827
7. Miller, KTM, + 9,283
8. Aleix Espargaró, Aprilia, + 9,387
9. Alex Márquez, Ducati, + 9,696
10. Bastianini, Ducati, + 12,523
11. Viñales, Aprilia, + 13,992
12. Marini, Ducati, + 17,078
13. Oliveira, Aprilia, + 19,443
14. Quartararo, Yamaha, + 20,949
15. Marc Márquez, Honda, + 21,118
16. Raúl Fernández, Aprilia, + 32,538
17. Morbidelli, Yamaha, + 37,663
18. Pol Espargaró, KTM, + 37,668
19. Nakagami, Honda, + 37,758
Sturz: Augusto Fernández, KTM
Sturz: Joan Mir, Honda
Nicht gestartet: Alex Rins, Honda

MotoGP-WM-Stand nach 31 von 39 Rennen:

1. Bagnaia, 366 Punkte. 2. Martin 339. 3. Bezzecchi 293. 4. Binder 224. 5. Zarco 187. 6. Aleix Espargaró 185. 7. Viñales 170. 8. Marini 148. 9. Miller 144. 10. Quartararo 134. 11. Alex Márquez 115. 12. Di Giannantonio 86. 13. Morbidelli 79. 14. Oliveira 76. 15. Augusto Fernández 67. 16. Marc Márquez 65. 17. Rins 54. 18. Nakagami 50. 19. Bastianini 42. 20. Raúl Fernández 39. 21. Pedrosa 32. 22. Mir 20. 23. Pol Espargaró 12. 24. Savadori 9. 25. Folger 9. 26. Bradl 8. 27. Pirro 5. 28. Petrucci 5. 29. Crutchlow 3.

Konstrukteurs-WM:

1. Ducati, 552 Punkte (Weltmeister). 2. KTM 296. 3. Aprilia 274. 4. Yamaha 154. 6. Honda 150.

Team-WM:

1. Prima Pramac Racing, 526 Punkte. 2. Mooney VR46 Racing 441. 3. Ducati Lenovo Team 418. 4. Red Bull KTM Factory Racing 368. 5. Aprilia Racing 355. 6. Monster Energy Yamaha 213. 7. Gresini Racing 201. 8. CryptoDATA RNF 119. 9. LCR Honda 110. 10. GASGAS Factory Racing Tech3, 88. 10. Repsol Honda 85.

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