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MV Agusta: Eigene Homologation für MotoGP-WM 2027?

Von Günther Wiesinger
«Ich schließe nicht aus, dass wir mit MV Agusta 2027 als eigene Marke in die MotoGP reingehen», sagt Stefan Pierer, dessen Konzern auch die Marken KTM, GASGAS und Husqvarna gehören.

Als beim Österreich-GP im August 2022 angekündigt wurde, dass das Tech3-Kundenteam von Hervé Poncharal 2023 zwar mit KTM RC16 antreten, aber für die Pierer-Mobility-Marke GASGAS werben wird, war diese eine klare Marketing-Entscheidung des österreichischen Herstellers. Denn mit dieser Maßnahme konnte ein 8,3 Mio-Euro-Budget von GASGAS für die Tech3-Truppe abgezweigt werden und dieses von Pierer wiederbelebte Fabrikat weltweit dargestellt und promotet werden – wie durch den Sieg von GASGAS-Werkspilot Sam Sunderland bei der Dakar-Rallye 2022.

In der Marken-WM schien zwar GASGAS in diesem Jahr nicht als eigene Marke auf, weil die V4-1000-ccm-Fahrzeuge baugleich mit den KTM-Bikes von Brad Binder und Jack Miller waren.

Stefan Pierer, der Vorstandsvorsitzende der Pierer Mobility AG und der KTM AG, besitzt momentan auch 25,1 Prozent an MV Agusta Motor und wird 2026 dort die Aktienmehrheit übernehmen. Er überlegt, die ruhmreiche Marke MV Agusta (38 Fahrer-WM-Titel, 37 Marken-WM-Titel) 2027 mit einer eigenen Entwicklung in die MotoGP-WM zu befördern. «Ja, für 2027 schließe ich nicht aus, dass wir mit MV Agusta als eigene Marke in die MotoGP reingehen», erklärte Stefan Pierer im Exklusiv-Interview mit SPEEDWEEK.com.

Die Techniker von IRTA und Dorna müssen irgendwann definieren, was ein Motorradwerk leisten müsste, um grünes Licht für eine eigene Homologation für einen neuen Hersteller wie MV Agusta in der «premier class» zu erhalten.

Zuerst müssten die zuständigen Techniker von Dorna und IRTA, also Corrado Cecchinelli und Danny Aldridge, einmal niederschreiben, was man als «neues Fabrikat» definieren könnte.

Im FIM-Buch findet man unter Artikel 2.4.1 einen Anhaltspunkt. Beim Motorrad müsse es sich um einen Prototyp handeln, ist da zu lesen.

Und die Mitglieder der Hersteller-Vereinigung MSMA müssten über die Zulassung einer neuen Marke selber und gemeinsam entscheiden. Die Grand Prix Commission (zusammengesetzt aus Funktionären von Dorna, IRTA und FIM) muss nachher als oberste Instanz zustimmen. Aber diese hält sich bei technischen Belangen meist an die Vorgaben der MSMA.

Beim GASGAS-Tech3-MotoGP-Rennstall setzt KTM einfach RC16-Maschinen nach einem Re-Branding unter der Bezeichnung GASGAS ein, wie es in der Moto3 von der Pierer-Gruppe auch bei Husqvarna und CFMOTO vorexerziert wird.

Dazu müssten in der MotoGP alle Komponenten identisch und baugleich sein. Die Concession-Privilegien gelten aber bei einem Fabrikat wie GASGAS nicht, weil das Motorrad als KTM eingestuft und homologiert wird und dieses Fabrikat im vorgesehenen Zeitraum zu viele Podestplätze errungen hat.

Wenn die Pierer Mobility AG eines Tages (zum Beispiel bei MV Agusta für 2027) eine separate Entwicklung bevorzugt und dadurch auch in der Konstrukteurs-WM separat bewertet werden würde, müsste sie der MSMA beweisen, dass die Marken KTM und GASGAS trotz des gemeinsamen Dachs im Pierer-Konzerns zwei völlig unterschiedliche MotoGP-Projekte darstellen und deshalb eine getrennte Homologation vorgenommen werden muss. Es müsste gegenüber der GPC sogar nachgewiesen werden, dass zwischen den beiden Fabrikaten in der MotoGP-Klasse kein Daten- und Informationsaustausch stattfindet.

«Ich würde in so einem Fall hoffen, dass der Hausverstand siegt und die ursprüngliche Philosophie und Absicht unserer Vorschriften respektiert werden», meinte ein Funktionär.

Auf jeden Fall müsste so ein Projekt zuerst von der MSMA und dann von der Grand Prix Commission abgesegnet werden. Es müsste also Unterschiede geben, zum Beispiel beim Bohrung-Hub-Verhältnis, beim Zylinderwinkel sowie auch bei gewissen Leistungsteilen. Der Hubraum wird ja 2027 bekanntlich von 1000 auf 850 ccm gesenkt.

«So wie ich das sehe, werden auch 2027 nur Vierzylinder-Motorräder mit einer definierten Bohrung an den Start gehen», sagt KTM-Motoren-Konstrukteur Ing. Kurt Trieb. «Dreizylinder kommen deshalb nicht in Frage, obwohl so ein Konzept technisch interessant wäre.»

Kurt Trieb fände eine Eigenentwicklung für MV Agusta für 2027 für technisch reizvoll. Angesichts der geopolitischen Lage, der Inflation und der hohen Zinsen und steht aber vorläufig nicht fest, ob für die Pierer Mobility AG ein MV-Agusta-Einstieg 2027 in die neue 850-ccm-MotoGP-Klasse aufgrund der technischen und wirtschaftlichen Kapazitäten finanzierbar sein wird. 

Erst einmal seit Beginn der neuen MotoGP-Viertakt-Ära 2002 wurde ein Projekt von den zuständigen Stellen gestoppt: Das Harris-WCM-Team von Bob McLean und Peter Clifford musste sein Motorrad 2003 vor dem Saisonstart in Suzuka aus der MotoGP-WM zurückziehen, weil der 990-ccm-Vierzylinder-Reihenmotor zu starke Ähnlichkeiten mit dem Yamaha-R1-Superbike-Triebwerk aufwies und nicht als Prototyp eingestuft wurde. Erst im September beim Portugal-GP wurde der Yamaha-R1-Umbau des Harris WMC-Teams als Prototyp homologiert. 

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