MotoGP: «2025 wird Marc Marquez Weltmeister»

«KTM hat den größten Sprung gemacht»

Von Werner Jessner
Wie kann in der MotoGP wieder einfacher überholt werden? Wie wird das technische Reglement verändert? Wie spannend wird 2024? Wir fragen Roland Berger, Direktor der technischen FIM-Kommission

Der Österreicher Roland Berger war jahrzehntelang in den unterschiedlichsten Führungspositionen bei Honda in Europa und genoss auch in Japan höchstes Ansehen. Ob als Testfahrer bei der Entwicklung des ersten Honda-Dakar-Bikes in den frühen 1980er-Jahren bis zum entscheidenden Impuls-Geber für Serien-Motorräder: Sehr oft war der analytische Diplom-Ingenieur und exzellente Motorradfahrer eine Schlüsselfigur hinter den Kulissen der Motorradwelt. Seine Leidenschaft galt immer dem Straßensport, seit er 1983 zum ersten Mal beruflich den Fuß in ein Fahrerlager gesetzt hatte. Schon früh dockte er bei der FIM an. Von Mick Doohan über Valentino Rossi bis zur aktuellen Generation: Berger ist bei Rennfahrern seit Jahrzehnten gleichermaßen respektiert wie beliebt und ein guter Freund vieler Stars aller Dekaden.

 

In seiner aktuellen Rolle als Direktor der technischen Kommission leitet er einerseits ein Gremium aus 14 Technikern aus aller Herren Länder und ist andererseits Chef der Techniker innerhalb der FIM, der obersten Motorradsport-Organisation. Diese Position hat er 2023 angetreten und wird sie in Summe vier Jahre lang ausüben – also so lang, bis die nächste große Reglement-Änderung ansteht.

 

Alleinstellungsmerkmal der MotoGP war: Überall und unter allen Bedingungen wird permanent überholt. Wie haben wir das verloren, und wie kriegen wir es wieder zurück?

Wie wir dort hingekommen sind? Wir haben die Leistung sehr stark gesteigert, womit wir endlich 366 km/h schnell fahren können. Bringt zwar keinem was, weil kein Zuschauer den Unterschied zwischen 340 und 360 km/h sieht, aber gut. Jetzt kommt die Aerodynamik ins Spiel, die mit dem Quadrat einher geht: Willst du doppelt so schnell fahren, musst du die vierfache Leistung haben. Auch beim Bremsen wurde Aerodynamik ein Thema. Wenn der Fahrer bei 360 km/h Anker wirft, freut er sich über mehr Anpressdruck am Vorderrad.

 

So kam es zu den vorderen Flügeln?

Genau. Zum Vorteil beim Bremsen kam jedoch ein Nachteil in der Kurve: In Schräglage drückt der Flügel das Motorrad nach außen: Es will vorn weggehen. Damit dieses Untersteuern gleichmäßig passiert, kam es zu den hinteren Flügeln. Zuvor hatten Fahrer nur eine Möglichkeit, das Schieben zur Kurven-Außenseite auszugleichen, und das war Gas – was bekanntlich nicht immer gut funktioniert hat. Jedenfalls wurden die Aerodynamik-Pakete immer besser, woraufhin letzte Jahr bei einem Pre-Season-Test ein Vorderreifen bei über 300 km/h explodiert ist. Und das braucht wirklich keiner.

 

Was war die Reaktion?

Das Ergebnis ist der aktuelle Vorderreifen mit seiner harten Karkasse, der nur ein sehr kleines Temperaturfenster hat, in dem er funktioniert. Aber was wäre die Alternative? Würdest du diese harte Karkasse weglassen und der Reifen explodiert auf der Geraden in Mugello, fliegst du bis Florenz.

 

Das heißt, Michelin wurde Opfer der Umstände? Zu schnelle Motorräder haben einen Reifen bedingt, mit dem keiner glücklich ist?

Genau. Beziehungsweise: Mit dem nur sehr wenige glücklich sind. Aber es fallen eh alle runter, auch die Ducati-Fahrer. Weltmeister wird, wer am wenigsten runterfällt. Reifen-Produktion ist ein wahnsinnig komplizierter Prozess, bei dem immer wieder etwas schief gegangen ist in der Vergangenheit. Das zieht sich durch alle Jahrzehnte. Doch zurück zur Aerodynamik: Zusätzlich soll Motorräder geben, die gezielt Verwirbelungen erzeugen, wie es einst Ferrari in der F1 vorexerziert hat.

 

Die berüchtigte dirty air.

Du kommst und kommst dem Vordermann nicht näher und steckst drei, vier Motorradlängen hinter ihm fest. Überwindest du diese Grenze jedoch, wirst du schlagartig nach vorn gesaugt. Weil das meist unmittelbar vor dem Bremspunkt passiert, wurde Überholen ziemlich trickreich. Die Kurvengeschwindigkeiten sind zwar gleich wie früher, allerdings sind die Bremspunkte wegen der Flügel später. Auch das hat das Überholen nicht vereinfacht. Das Ergebnis ist eine Serie, die technisch faszinierend ist, allerdings nicht mehr die Action von früher bietet.

 

Wie kommen wir wieder zurück?

Wir werfen die Flügel weg, oder zumindest alle, die hinter dem Tankverschluss liegen. Frontflügel haben immerhin eine gewisse Serien-Relevanz. Sie wirken ab 50 km/h, du kannst also später auf die Ampel hin bremsen, um es pointiert zu formulieren. Wir eliminieren Ride-Height-Devices. Und möglicherweise werden wir Leistung reduzieren müssen.

 

Wird aber nicht vor 2027 passieren, korrekt?

Exakt. Gerüchtehalber werden es ab dann 850 Kubik sein, das bedeutet 15% weniger Leistung und 10 bis 12 Prozent weniger Topspeed.

 

Und in den kommenden drei Jahren betreiben wir Kosmetik mit dem bestehenden Reglement, und nichts passiert punkto Spannung?

Es war zu jeder Zeit so, dass ein Hersteller hie und da einen Geniestreich gelandet hat. Dann hat es zwei, drei Jahre gedauert, bis die Konkurrenz nachgezogen hat. Klar war Ducati: 87 MotoGP-Siege, davon 14 durch Kundenteams in den letzten Jahren überlegen, aber den größten Sprung 2023 hat KTM gemacht. Es hat halt noch nicht ganz gereicht. Je mehr sich die Spitze annähert – und das wird sie – desto interessanter werden auch die Rennen werden. Denn auch die Japaner werden nicht mehr lang so «schnell» sein wie im letzten Jahr.

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