Aprilia: Aerodynamik-Patent für mehr Kurvenspeed
War der Startschuss der 10. oder der 26. März 2019? Beim Katar-GP am 10. März 2019 waren die Ducati-Rennmaschinen mit einem Spoiler vor dem Hinterrad ausgerüstet, der Abtrieb erzeugt. Wohl wissend, dass aerodynamische Bauteile an dieser Stelle verboten waren, behauptete Ducati-Rennsportchef Gigi Dall’Igna, es handle sich um ein Bauteil zur Kühlung des Hinterreifens. Das FIM-Berufungsgericht, vor dem vier Werke gegen den Entscheid der FIM-Stewards appellierten, die dieses Teil am Rennen zuließen, lehnte den Protest der Kläger am 26. März 2019 ab, erklärte den als «Spoon» bezeichneten Spoiler für zulässig und ließ seine Verwendung bei weiteren Rennen zu.
«Okay, das haben wir verstanden», kommentierte damals Aprilia-Rennleiter Massimo Rivola das Urteil. «Jetzt brauchen wir Aerodynamiker aus der Formel1!» Seither hat Aprilia auf diesem Gebiet enorme Fortschritte gemacht und gilt heute zusammen mit Ducati als führend auf diesem Gebiet.
Nun hat Aprilia kurz nach dem Patent für Heckspoiler ein zweites Patent für aerodynamisch wirksame Verkleidungs-Seitenteile bekommen, welche in großer Schräglage Abtrieb erzeugen. Diese Patente nützen Aprilia im MotoGP-Rennsport nichts. Die Konkurrenz kann sich trotz Patentschutz weiterhin von Aprilia inspirieren lassen, technische Lösungen an den eigenen Rennmaschinen ausprobieren und gegebenenfalls schnöde kopieren. Was jedoch nicht möglich ist: Diese Innovationen kommerziell nutzen, indem sie an Serienmaschinen verbaut werden.
Patentiert hat sich Aprilia die Erzeugung von Abtrieb in (heftiger) Schräglage mit speziell geformten Verkleidungs-Seitenteilen. Wenn in großer Schräglage die Verkleidungsflanke wenige Zentimeter über der Fahrbahn zu liegen kommt und in etwa parallel zu dieser verläuft, kann aerodynamisch Abtrieb erzeugt werden. Dazu muss die Verkleidung vorne breiter sein und sich zur hinteren Verkleidungskante verschlanken. Dadurch wird der Luftstrom zwischen Verkleidung und Fahrbahn beschleunigt, es entsteht ein Unterdruck und somit Abtrieb, im Automobilrennsport auch «Ground Effect» genannt: Der senkrechte Anpressdruck auf die Reifen wird erhöht, wodurch höhere Kurvengeschwindigkeiten möglich sind.
Im Autorennsport wird seit den 1970er-Jahren Abtrieb erzeugt durch (stark vereinfacht erklärt) Fahrzeugunterböden in Form eines umgekehrten Flugzeug-Flügels, was einen viel größeren Effekt hat, als wenn man einen Spoiler in Form eines umgekehrten Flügels aufs Auto montiert.
Um gleiches beim Motorrad in Kurvenfahrt – in großer Schräglage – zu nutzen, baut Aprilia klobig wirkende Verbreiterungen vorne unten an die Seitenverkleidung der MotoGP-Rennmaschinen an. «Große Schräglage» bedeutet in diesem Zusammenhang Neigungswinkel von um die 60 Grad. Wenig überraschend gibt es Vor- und Nachteile: Der Ground Effect ermöglicht höhere Kurvengeschwindigkeiten, erhöht aber den Luftwiderstand und vermindert die Höchstgeschwindigkeit auf den Geraden.
Wie schon beim Heckspoiler ermöglicht das Patent Aprilia ein Alleinstellungsmerkmal bei den Serienmotorrädern: Kein Konkurrent könnte eine ähnlich geformte Verkleidung an einem Serienmotorrad anbieten. Ob das dereinst einen Unterschied macht, sollte Aprilia eine neue Generation der RSV4 mit solchen Verkleidungen ausrüsten, wird der Markt (die Käufer) entscheiden. Schräglagen um die 60 Grad bei Geschwindigkeiten, bei denen ein Ground Effect spürbar wird, wird auf öffentlicher Straße nur ein beschränkter Personenkreis, der zudem permanenter Ausdünnung unterworfen ist, fahren können. Bei Rundstreckentrainings hingegen könnte diese Aerodynamik für versierte Fahrer vorteilhaft sein und den Fahrspaß erhöhen.
Nochmals anders sieht es in den seriennahen Rennklassen Superbike und Supersport aus: Da hätte Aprilia, sofern die entsprechenden Serienmaschinen entsprechend ausgerüstet sind, einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz, welche wegen des Patentschutzes nicht nachziehen könnte.