Mission «Innovation» für KTM-Ingenieur Felber
Als Stefan Pierer den angeschlagenen Motorrad- und Fahrradhersteller KTM 1992 übernahm, trat der Unternehmer vor eine Belegschaft von weniger als 200 Mitarbeitern und verkündete den Aufbruch in bessere Zeiten.
Heute hat die Motorsportabteilung unter Ex-Motocross-Profi Pit Beirer rund 600 Angestellte, die Pierer Mobility AG 6100. Bemerkenswert, davon arbeiten rund 5000 Menschen in Österreich für die Gruppe. 1300 Mitarbeiter kümmern sich um den Bereich «Forschung und Entwicklung». Man muss kein Analytiker sein um zu verstehen, dass hier ein extremes Unternehmensprofil entstanden ist. Das zirka ein Drittel der Belegschaft damit beschäftigt ist, neue Produkte zu realisieren und diese über weltweite Rennsportaktivitäten zu vermarkten, das dürfte in der Branche einmalig sein.
Auch wenn, bedingt durch das spektakuläre Wachstum, längst die Strukturen eines Konzerns etabliert wurden, ist bis heute eine besonders enge Verbindung zwischen Produktentwicklung und Motorsport sichtbar. Über Jahrzehnte waren die Bereiche miteinander verschmolzen. Was auch über die Produkte definiert wurde. Ein käufliches Motocross-Bike ist nun mal nicht von einem Crosser, der in Meisterschaft springen soll, zu trennen.
Ein Techniker, der seit 40 Jahren Teil dieser einmaligen Struktur ist – Wolfgang Felber. Wie ein Pendel schwingt der Salzburger Ingenieur zwischen Serien- und Rennsportwelten des Unternehmens hin und her.
Zentrum für Sonderentwicklungen
Ende 2023 wurde der rennbegeisterte Allround-Techniker von Pit Beirer mit einer neuen Aufgabe betreut. Als Leiter einer Art Untergrundeinheit widmet sich Wolfgang Felber der Rennsport-Zukunft und soll wertvolle Hinweise und innovative Vorentwicklungen leisten. Die Position des «Head of Innovations & Special Projects» innerhalb der Motorsport-Abteilung in Munderfing hat sich der 60-Jährige nicht im klassischen Sinne erarbeitet. Die Rolle formte sich als logische Konsequenz des technischen KTM-Lebenswerkes.
Als Felber Mitte der 1980er Jahre in Mattighofen anheuerte, war der junge Techniker mit Leib und Seele im Straßenrennsport aktiv. Als Privatier in der 250er-Klasse zeigte Felber mehr als Talent. Seine private Rennfahrerkarriere führte ihn mit einer Wild-card bis ins GP-Fahrerlager an den Salzburgring. Aus der Not, dass KTM reiner Offroad-Spezialist war, machte Felber eine Tugend. Er überredete den damaligen Chef ihm zwei LC4-Motoren zu leihen. Felber konstruierte ein filigranes Rohrrahmenchassis, kümmerte sich um alle Disziplinen des Renners in Eigenregie und ging damit an den Start der populären Sound-of-Singles Meisterschaft. Zwei Titel in Folge bestätigten die Qualität von Fahrer und Schrauber.
Einzylinder-Innovation vor 40 Jahren: Sound of Singles
Parallel ging es darum, den knackigen Einzylinder für den Verkauf weiterzuentwickeln. Gemeinsam mit Designer Gerald Kiska fasste Felber nach der Übernahme durch Stefan Pierer das Projekt der ersten Straßen-Duke aus.
Die erste direkte Fusion zwischen Serienentwicklung und Werksrennsport erlebte Felber als Projektleiter des ersten KTM Zweizylinder Adventure Motorrads. Die gleiche Truppe, die sich um Felber mit der Markteinführung kümmerte, realisierte das gleichnamige Dakar-Rennmotorrad, das es unter Fabrizio Meoni bis zum Sieg schaffen sollte.
Steil ging es weiter. Wolfgang Felber war Bindeglied des ersten KTM MotoGP-Projektes, bei dem die Österreicher als Motorenlieferant für Kenny Roberts agierten. Ein schwieriges Projekt mit der Erkenntnis: Entweder alles selbst und vernünftig machen – oder bleiben lassen.
XL-Projekt: Das Superbike RC8
Kaum später schürte Felber das erste reine Asphalt-Feuer im Serienbau und zündete die Idee des KTM Superbikes RC8. Bis zur Markteinführung unter der Regie von Felber sollte es bis 2008 dauern. Nochmals länger brauchte es, bis der IDM-Superbike-Titel zur Ehrenrettung des Projektes eingesackt war. Technisch musste Felber damals alle Register ziehen, um die Vierzylinder-Dominanz zu brechen. Getreu «geht nicht-gibt`s nicht» entstand ein außergewöhnlicher Renner, der bereits wichtige Lerneffekte für das noch in der Schublade liegende MotoGP-Projekt «RC16» lieferte. Mit im Superbike-Projekt waren an der Seite von Mastermind Felber auch die jungen Ingenieure Sebastian Risse und Heinz Payreder, heute tragenden Säulen der MotoGP-Technik-Mannschaft.
Offroad – Straße. Das volle Programm
Kaum war die RC8-Schlacht geschlagen, wurde Wolfgang Felber in die USA abkommandiert. Dort musste das Projekt «Supercross» auf Schiene gebracht werden. Gemeinsam mit US-Legende Roger de Coster zeigte der Österreicher auch hier sein unglaubliches Gesamtverständnis des Systems Motorrad. Unter Pilot Ryan Dungey gelang der Durchbruch im größten Offroad-Markt der Welt. Aus kommerzieller Sicht ein gewaltiger Meilenstein für KTM.
MotoGP-Chassis Entwicklung als Königsdisziplin
Nach einer weiteren Zwischenstation bei WP Suspension, der hauseigenen Struktur für Fahrwerkskomponenten, ging es wieder zurück in den Straßenrennsport. Direkt in die Höhle des Löwen. Das KTM MotoGP-Projekt lief bereits und zeigte vielversprechende Ansätze, doch es gelang noch nicht die guten Einzelzutaten zu einem funktionierenden Ganzen zu vereinen. Das vielleicht komplexeste Felber-Projekt. Parallel zu den Ingenieuren, die sich der Lösung mit Rechenmodellen näherten, verschwand Felber in seiner Gedankenkammer. Anders als die reinen Spezialisten sah und sieht Felber das gesamte Bild der MotoGP-Aufgabe mit Erfahrung und smartem Hausverstand. Was einfach klingt, ist in Wahrheit die schwierigste Aufgabe überhaupt. Die sich ohne Erfahrung aus Jahrzehnten mitten in der Materie, ob Wüste oder Asphalt, niemals meistern lässt.
Auch wenn der Techniker der alten Schule damit nur bedingt kompatibel für aktuelle Entwicklungsprozesse ist, so ist der Wert dennoch unschätzbar. Oder wie es Pit Beier offen ausspricht: «Ohne den Fewo (Felber Wolfgang) hätten wir die RC16 nicht dahin gebracht».
Und wieder ab in die Wüste
Nach der erfolgreichen Konstruktion eines neuen Chassis mit Felber-Input ist der Techniker in seinem neuen Abteil der Sonderaufgaben bereits in die nächste bedeutende Entwicklung eingetreten. Nach dem wenig befriedigenden Ergebnis der letzten Rally Dakar, bei der klar wurde, dass die KTM Rallye Maschine nicht mehr zu den Anforderungen des aktuellen Profils des Marathon-Rennens passt, klingelte das Telefon bei Felber. Aktuell brütet «Fewo» an einer neuen KTM Rallye Basis. Betrachtet man die Projekte mit Felber-Einschlag im Rückspiegel, dann stehen die Chancen für ein starkes Comeback bei der nächsten Rallye Dakar ausgezeichnet.
Das Schicksal exzellenter Allround-Techniker besteht darin, immer von einem Projekt zum nächsten geschossen zu werden. Sobald ein Feuer gelöscht ist, geht es zum nächsten Brand.
Mit der jetzigen Aufgabe als Leiter der Motorsport-Innovation hat das Schicksal einen Namen.