Neues Regelwerk – Stress hinter verschlossenen Türen
Beschlossene Sache ist ein deutlich überarbeitetes Regelwerk für die Königsklasse der Motorrad-Straßenweltmeisterschaft. Vor dem Hintergrund von drei wesentlichen Argumenten haben sich die Dorna als verantwortlicher sportlicher Ausrichter, die Vereinigung aller GP-Teams (IRTA – unter dem Vorsitz von Hervè Poncharal) sowie der Verband der Hersteller (Motorcycle Sport Manufacturers Association) MSMA auf diese Maßnahme zum Beginn der Saison 2027 verständigt.
Als Hauptargument wird die Sicherheit ins Feld geführt. Man sieht vor allem bei der Entwicklung der Höchstgeschwindigkeit (in Richtung 370 km/h) und den damit verbundenen kritischen aerodynamischen Rahmenbedingungen Handlungsbedarf.
Außerdem sollen die ausufernden Kosten in der Entwicklung eingebremst werden. Denn selbst bei dem stabilen aktuellen Regelwerk gehen gewaltige Budgets in die konstante Weiterentwicklung und Testteams. Ein nicht unwesentlicher Faktor spielen die in den letzten Jahren eingeführten Assistenzsysteme, allen voran die Regelung der dynamischen Fahrhöhe. Gleiches gilt für die immer komplexeren Aero-Packages, die mittlerweile in Kooperation mit wissenschaftlich arbeitenden Formel-1-Kapazitäten (KTM/Red Bull) abgearbeitet werden.
Dritter Punkt ist das sportliche Spektakel. Denn unter allen Umständen soll verhindert werden, dass die MotoGP der Zukunft in triste Formate verfällt. Nicht zuletzt durch den verlautbarten Übernahme-Deal durch die Liberty Media Group, wird ein Großteil dieser Verantwortung auf der Vermarktungsseite liegen.
Die Gespräche zum Gesamtregelwerk laufen hinter streng verschlossenen Türen ab. Eine zentrale Rolle bei den Gesprächen spielt der Cheftechniker der Dorna, Corrado Cecchinelli («Director of Technology»). Auf eine schriftliche Anfrage zum Status quo antwortete der ehemalige Ducati Corse Ingenieur mit freundlicher Zurückhaltung und der Bitte um Geduld. «Solange keine offiziellen Einigungen erzielt sind, können keine Mitteilungen an die Öffentlichkeit gehen», bat Cecchinelli um Verständnis.
Ein in der Öffentlichkeit zumindest in Bezug auf das zukünftige Regelwerk noch gar nicht erschienener Faktor ist die sogenannte «Development Freeze» Vereinbarung. Also, eine gemeinsame Übereinkunft darüber, den Entwicklungsprozess für einen gewissen Zeitraum auszusetzen. Bekannt ist, dass aktuell unter den involvierten fünf Herstellern noch Uneinigkeit zu diesem wichtigen Punkt herrscht.
Denn zu einem grundsätzlichen Einverständnis über neue technische Formeln für 2027 kam es nur unter der Voraussetzung, die technische Weiterentwicklung der jetzt bestehenden Motorräder in den Jahren 2025/26 zu unterbinden. Eine permanente Weiterentwicklung der aktuellen Renner plus die Entwicklung einer neuen Motorengeneration mit maximal 850ccm inklusiven komplett neuem Gesamtfahrzeug, das wäre aus Sicht der kosten kritischeren Strukturen unverhältnismäßig bis untragbar.
Bekannt ist, Ducati, KTM und Aprilia hatten das Einfrieren der gültigen Homologation bis Ende 2027 zur Bedingung gemacht und damit die Majorität innerhalb des Herstellerverbandes erreicht. Honda und Yamaha vertreten eine andere Sicht. Für die japanischen Hersteller wäre ein verordneter Entwicklungsstopp gleichzusetzen mit einer garantierten sportlichen Nullnummer bis 2027. Denn, dass die beiden Giganten aus Asien im Laufe dieser Saison bereits den technologischen Schlüssel zur Konkurrenzfähigkeit finden, ist nicht realistisch.
Bekannt ist auch: Nach der Einigung aller Hersteller für ein neues Regelwerk unter beschriebener Voraussetzung wechselte Aprilia wieder die Seite. In Noale vertritt man nun auch die Ansicht, dass eine Weiterentwicklung der bestehenden Motorräder auch in den nächsten beiden Jahren unumgänglich sei. Diese unerwartete Bewegung hat dazu geführt, dass die Verhandlungskarten noch einmal neu ausgelegt werden. Hinter dem kühlen Begriff «Development Freeze» verbirgt sich also in Wahrheit eine heiße Debatte. Damit ist auch erklärt, warum sich eine gemeinsame Mitteilung aller Instanzen hinzieht.
Trotz langfristigem Bekenntnis aller jetzt involvierten Parteien und der Möglichkeit über ein clever umgebautes Regelwerk auch noch weitere Hersteller in die MotoGP zu ziehen, ist die Situation angespannt. Die Zeit drückt. Eine komplett neue MotoGP-Generation in weniger als zwei Jahren umzusetzen, das dürfte selbst für etablierte Werkssport-Abteilungen unrealistisch sein. Erst recht, wenn das Einfrieren der aktuellen Entwicklungen verhindert wird und an mehreren Projekten parallel gearbeitet werden muss.
Nicht nur die Piloten der MotoGP, auch deren Manager müssen jetzt richtig Gas geben. Eine vernünftige Lösung im Schulterschluss noch in den nächsten Wochen muss das Ziel sein.