Toprak Razgatlioglu in der MotoGP: Wie reagiert BMW?
Superbike-WM-Leader Toprak Razgatlioglu
Toprak Razgatlioglus Manager Kenan Sofuoglu hat am 21. Juni für viel Aufregung gesorgt, als er mitteilte, dass sein Schützling zum Ende dieser Saison die Superbike-WM verlassen und ab 2025 MotoGP fahren wolle.
Laut BMW und Sofuoglu hat der Superbike-WM-Leader einen Zweijahresvertrag bis Ende 2025; gäbe es eine Ausstiegsklausel für MotoGP, würden die beiden Parteien die Laufzeit kaum derart betonen.
Nur grenzenlose Optimisten dürften erwartet haben, dass die Kombination aus Toprak und der BMW M1000RR so hervorragend funktioniert: Der 27-Jährige hat die Hälfte der ersten zwölf Rennen des Jahres gewonnen, zuletzt alle drei an einem Wochenende in Misano. Mit neun Podestplätzen und 179 Punkten hat der WM-Führende 21 Zähler Vorsprung auf seinen nächsten Verfolger, Superbike-Rookie Nicolo Bulega (Aruba.it Ducati).
«Es läuft sehr, sehr, sehr gut mit BMW, dieses Kapitel bringt uns auf ein anderes Level», sagte Razgatlioglus Manager Kenan Sofuoglu gegenüber SPEEDWEEK.com. «Es gibt viel Interesse im MotoGP-Paddock an Toprak, bereits für nächstes Jahr. Ich habe BMW bereits informiert, dass wir die Superbike-WM zum Ende dieses Jahres verlassen und in die MotoGP wechseln wollen. Ich habe ihnen erklärt, dass das der Wunsch von Toprak ist. Wir wissen aber noch nicht genau, wie es laufen wird, wir müssen eine Einigung mit BMW erzielen. Dabei geht es auch um die Zukunft, wir alle wissen, dass BMW in die MotoGP-WM einsteigen will.»
Nach der Saison 2022 zog sich Suzuki aus der MotoGP-Weltmeisterschaft zurück, seither sind mit Aprilia, Ducati, KTM, Honda und Yamaha nur noch fünf Hersteller dabei. Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta sagte wiederholt, dass die beiden Suzuki-Plätze erst dann wieder vergeben werden, wenn ein zusätzliches Motorradwerk einsteigt.
2027 bekommt die MotoGP ein neues technisches Reglement. Markanteste Änderungen sind die Reduktion des Hubraums von 1000 auf 850 ccm, das Verbot von Hilfen wie der Startvorrichtung und das höhenverstellbare Fahrwerk, auch die ausufernde Aerodynamik wird eingedämmt.
«Wenn alle bei null anfangen, ist der Zeitpunkt zum Einsteigen», sagte Markus Flasch, seit 1. November 2023 Leiter von BMW Motorrad, vergangenen März zu SPEEDWEEK.com. «Jede so große Entscheidung wird in einem Unternehmen wie BMW breit getragen, die Vorbereitung muss entsprechend sorgfältig gemacht und begründet werden.»
Selbst wenn BMW 2027 in die MotoGP-WM einsteigt, ist das für Toprak womöglich zu spät. Der 45-fache Laufsieger wird am 16. Oktober 28 Jahre alt. Beim Saisonbeginn 2027 hat er die 30 bereits hinter sich – und wer weiß, wo er sportlich dann steht.
Sofuoglu weiß das, deshalb will er den Wechselwunsch seines Stars bereits für 2025 verwirklichen. Während des Misano-Wochenendes war zu hören, dass Razgatlioglu ein Angebot der Honda Racing Corporation für die MotoGP habe. Im Werksteam von Yamaha ist neben Fabio Quartararo auch noch ein Platz frei.
Für BMW ist Toprak der Heilsbringer. Verliert die Premiummarke dieses Fahrgenie, fällt für die Weiß-Blauen die Sonne vom Himmel. Doch Beispiele, dass selbst wasserdichte Verträge manchmal das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt sind, gibt es zur Genüge. In jüngerer Vergangenheit sind uns die Vertragsauflösungen von Marc Marquez und Honda sowie Jonathan Rea und Kawasaki in lebhafter Erinnerung geblieben. Beide Multiweltmeister wollten einen Markenwechsel, obwohl sie vertraglich noch ein Jahr gebunden waren. Reisende soll man nicht aufhalten, lautet eine Redewendung – Honda und Kawasaki akzeptierten die Begierde ihrer Champions. Schließlich wünscht sich kein Hersteller einen Fahrer, der lieber woanders wäre.
Sofuoglu hat in den vergangenen Jahren unterstrichen, dass für Razgatlioglu in der MotoGP nur ein Werksteam in Frage kommt. Sofern er seine Meinung nicht geändert hat und jetzt auch starke Satellitenteams in Betracht zieht, bleiben für Toprak nur noch die strauchelnden japanischen Hersteller Honda und Yamaha. Denn die Türen bei Aprilia, Ducati und KTM sind zu.
Manch aufmerksamer Beobachter der MotoGP-WM wird sich fragen, weshalb sich Razgatlioglu, abgesehen vom guten Zahltag, eine Honda antun sollte? Superstar Marc Marquez hat sich auf der RC213V die Gesundheit ruiniert und ist nach der Saison 2023 zu Ducati geflüchtet. Der beste Honda-Fahrer Joan Mir liegt nach 14 MotoGP-Rennen in dieser Saison mit erbärmlichen 13 Punkten auf dem 18. WM-Rang.
An Selbstbewusstsein hat es Sofuoglu und Razgatlioglu nie gemangelt. Als Toprak zur Saison 2020 von Kawasaki zu Yamaha wechselte, hatten die Blauen seit 2009 mit Ben Spies keinen Superbike-WM-Titel gewonnen. Razgatlioglu schaffte das im zweiten Jahr – während seiner vier Saisons bei Yamaha war er der Einzige, der Siege einfuhr.
Bei der Unterschrift für BMW im Mai 2023 war die Verblüffung ob der Wahl noch um ein Vielfaches größer, denn der deutsche Hersteller gewann die seriennahe Motorrad-Weltmeisterschaft noch nie und war in den vergangenen zehn Jahren auch kein Titelanwärter.
Jetzt führt Toprak die Gesamtwertung an, solche Leistungen geben natürlich Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Doch das allein wird nicht reichen, um Honda aus der Finsternis und ins Licht zu führen.
Dafür braucht es eine Richtung, wie sie Yamaha eingeschlagen hat. Dort wurde erkannt, dass die Entscheidungswege und Reaktionszeiten kürzer werden müssen. Mit Max Bartolini wurde ein Italiener zum Technischen Leiter gemacht, für die Aerodynamik holte sich Yamaha Unterstützung bei Automobil-Chassishersteller Dallara und auch bei den Elektronikern wurde aufgestockt. Experten im Paddock gehen davon aus, dass Yamaha der Anschluss an die europäischen Werke deutlich früher gelingen wird als Honda.
Bevor Toprak und sein Manager entscheiden, mit welchem Hersteller sie in der MotoGP arbeiten wollen, müssen sie erst BMW zur Freigabe bewegen.