Kouichi Tsuji und Yamahas Way of Racing
Der Großteil der MotoGP-Fans haben bereits von HRC-Boss Shuhei Nakamoto oder von Ducatis ehemaligem Chefingenieur Filippo Preziosi gehört, aber wer kennt den Namen des Chefingenieurs von Yamaha? Wir reden hier über den Mann, der für das Bike verantwortlich ist, mit dem zwei der letzten vier MotoGP-Titel gewonnen wurden: Kouichi Tsuji, Chefingenieur des MotoGP-Projekts von Yamaha
Das ist nicht wirklich etwas Neues. Die Diskretion und die fehlende Prominenz der Yamaha-Ingenieure sind so typisch für den Hersteller wie ihre exzellenten Chassis. Masao Furusawa bildet vielleicht die Ausnahme, denn er holte Valentino Rossi zu Yamaha und schaffte es gemeinsam mit dem italienischen Superstar, die Marke, nach einigen Jahren voller enttäuschender Resultate, wieder an die Spitze der Königsklasse zu führen. Doch Furusawa trat zurück und seitdem dient kein neuer Name als Aushängeschild für die Ingenieur-Crew von Yamaha. Dabei muss man bedenken, dass dieses Team zusammen mit Jorge Lorenzo 2010 und 2012 zwei der letzten vier MotoGP-Titel holte.
Vor einigen Wochen stellten wir eine Anfrage, um mit Kouichi Tsuji, dem derzeitigen MotoGP-Projektleiter, zu sprechen. Im Gegensatz zum Vorgehen bei Honda, war diese Anfrage extrem einfach, denn nur wenige Stunden später saßen wir dem japanischen Ingenieur gegenüber. Obwohl er zunächst etwas verunsichert war, welche Fragen wohl gestellt werden würden, entspannte sich Tsuji schnell und am Ende hatten wir mehr eine gute Unterhaltung als ein Interview. Im Gegensatz zu der Vorgehensweise bei Honda ließen uns die Pressechefs allein. Also kontrollierte uns niemand aus dem Hintergrund, so wie es sein sollte.
Der Grund für unser Gespräch mit dem leitenden Ingenieur der M1 war die Frage, was sich bei den Bikes zwischen 2012 und 2013 verändert hat. Während der zweiten Hälfte der letzten Saison hatte sich Jorge Lorenzo mehrmals über Stabilitätsprobleme beim Anbremsen beklagt. Diese Situation machte es dem Spanier unmöglich, in den Bremszonen gegen die Honda RCV anzukommen. Da klar war, dass der neue Bridgestone-Vorderreifen im Vergleich zu 2012, als Lorenzo seinen zweiten Titel auf der M1 holte, nicht verändert wurde, wusste ich, dass im Bereich dieses Defizits Veränderungen vorgenommen wurden.
Diese Modifikationen hatten Einfluss auf einen Bereich, der zuvor keinen Grund zur Klage gab. Das ist eine sehr typische Situation im Rennsport, denn die Verbesserung einer Charakteristik des Bikes kann einen anderen Teil verschlechtern, der zuvor gut funktionierte oder zumindest kein Problem darstellte. Zu dieser Vermutung befragte ich Kouichi Tsuji und bekam eine unerwartete Antwort: «Wir haben mit dieser Beschwerde unserer Fahrer 2013 gerechnet. Honda hatte die Saison zuvor mit einem besseren Bike abgeschlossen als wir. Wir wussten, dass sich unsere Fahrer beklagen werden, wenn die Gegner ihr Bike über den Winter nochmals verbessern können.»
Nach einer kurzen Pause präzisierte Tsuji seine Antwort: «2012 war das erste Jahr der 1000-ccm-MotoGP-Maschinen. Wenn man die Rundenzeiten mit denen der zuletzt verwendeten 800-ccm-Maschinen verglich, war der Unterschied gering. Es handelte sich um weniger als zehn Prozent. Wenn man jedoch die Jahre 2012 und 2013 vergleicht, sieht man, dass sich die Rundenzeiten stark verändert haben. Das bedeutet… Hmm, wie soll ich das erklären… Die Verbesserung der Rundenzeiten bedeutet auch immer, dass mehr Druck auf die Reifen ausgeübt wird. Aufgrund der allgemeinen Verbesserung der Performance 2013, war die Stabilität unseres Bikes beim Bremsen nicht so gut wie in der vorherigen Saison.»
Bremsen, die Schwachstelle der M1
Die Annahme, dass sich die Bremsstabilität der M1 verschlechtert hat, weil die Ingenieure im Winter 2012 an der Maschine herumgebastelt haben, ist also falsch. «Die Daten zeigen, dass der Unterschied beim Bremsen zwischen 2012 und 2013 nicht besonders groß ist. Ich kann natürlich nur von unserer Maschine sprechen. Derselbe Vergleich würde bei Honda wahrscheinlich ganz anders ausfallen. Sie haben sich sehr verbessert.»
Nach dieser Aussage scheint die Lösung, wie die Yamaha-Techniker wieder mehr Konkurrenzfähigkeit erlangen, einfach: «Wenn wir uns bei Yamaha darauf konzentrieren das Bike in den Bremszonen besser zu machen, dann können wir das sicher ohne Probleme bewerkstelligen. Wir können eine Maschine konstruieren, die beim Anbremsen perfekt ist, aber wenn wir das tun, dann verschlechtern sich andere Bereiche wie etwa die Beschleunigung.»
«Dazu muss ich etwas erklären: 2013 haben wir uns darauf konzentriert, eine Maschine zu bauen, die es unseren Fahrern ermöglicht, gute Rundenzeiten zu fahren und für dieses Set-up mussten wir etwas von unserer Bremseffizienz opfern. Wenn es darum geht, schnelle Rundenzeiten zu erzielen, ist die Bremsphase sicher wichtig, aber bei Jorges fließendem Fahrstil mit sehr hohem Kurvenspeed, ist die Beschleunigung sehr wichtig. Jorges Rundenzeiten entstehen zweifellos aus der Kombination zweier Prozesse, Bremsen und Beschleunigen, aber in diesem Fall… Naja eigentlich ist es bei jedem und immer so: Die Zeiten hängen viel mehr von der Beschleunigung ab als von der Bremsphase. Ich gebe ein Beispiel, das vieles verständlicher macht: Ben Spies. Ben hat extrem hart gebremst, aber wie gut waren seine Rundenzeiten? Bremsen ist sicherlich auch in der heutigen Zeit wichtig in der MotoGP-Klasse, aber konstant schnell zu sein und eine effektive Beschleunigung zu haben, ist viel wichtiger. Die Bremse braucht man, um andere Fahrer zu überholen, und nicht um eine gute Rundenzeit zu fahren.»
Die Theorie, dass man sich zwischen Bremsen und Beschleunigen entscheiden muss, wie es Tsuji erklärt, könnte richtig sein, wenn es nicht die RCV von Honda gäbe. In den Händen von Márquez und Pedrosa zeigten die HRC-Bikes in der letzten Saison, dass beide Dinge auf einem unglaublichen Niveau vereint werden können. Gut, die 2012er-Maschine hatte echte Probleme mit der Stabilität in der Bremsphase, was von Dani Pedrosa mehrmals bemängelt wurde. 2013 gewann Márquez mit einem Bike die Meisterschaft, mit dem man nicht nur später bremsen konnte, sondern auch viel tiefer hinein. Marc und Dani zeigten, dass sie bis zum Scheitelpunkt auf der Bremse bleiben konnten. «Weil sie einen geringeren Kurvenspeed fahren», weiß Tsuji. «Unsere Fahrer könnten unsere Maschine auch auf diese Weise fahren. Wenn ich Jorge bitten würde, wie mit einer Honda zu fahren, dann könnte er das. Das ist kein Problem, aber die Rundenzeiten wären langsamer als mit der derzeitigen Yamaha.»
Der Yamaha-Weg
«Yamaha ist in der Lage ein Motorrad nach dem Prinzip von Honda zu bauen, aber das wird nicht passieren. Denn in unserer 50-jährigen Renngeschichte haben wir das nie getan. Honda hätte andersherum dasselbe Problem. Es würde nicht funktionieren, denn Honda baut einfach eine andere Art von Motorrädern.»
Tsuji bestätigt damit die Rivalität der beiden größten japanischen Hersteller. Rennfans wissen, dass Honda schon immer starke Motoren baut während Yamaha durch Stabilität und ein Chassis mit gutem Handling glänzt. Auch die jüngste Vergangenheit gibt Tsuji recht. Vor HRC-Leader Shuhei Nakamoto leitete Satoru Horike die Rennabteilung von Honda. Mit ihm wurde erstmals seit vielen Jahren ein Chassis-Ingenieur zum Kopf der Rennabteilung, die normalerweise von Motorexperten geleitet wurde. Horike versuchte, einige Dinge zu ändern und dem Chassis Priorität über die pure Motorenleistung einzuräumen. Mit anderen Worten hat er versucht, eine Honda-Yamaha zu bauen. Das war während der 800-ccm-Ära. Wenn man die Geschichte betrachtet, sieht man, dass Honda zu dieser Zeit keinen Titel holte…fast keinen. Honda Motor musste Nakamoto von ihrem Formel-1-Projekt abziehen, um die Situation zu retten. Einer seiner ersten Sätze lautete etwa: «Honda muss tun, was wir am besten können. Wir hatten immer das schnellste Motorrad. Das erlaubte uns, auf der Geraden zu überholen.» Dies bedeutete das Aus des Chassis-Abenteuers und HRC kehrte zur Philosophie der puren Performance zurück. Horike wurde versetzt, um sich um Honda Thailand zu kümmern.
Die Unterschiede in Ansprüchen und Philosophie zwischen Honda und Yamaha enden jedoch nicht bei der Technik. Die früheren HRC-Ingenieure vertraten meist die Meinung, dass ihre Maschinen klar über dem Beitrag des Fahrers zum Erfolg stehen. Diese Einstellung war einer der Gründe, warum Rossi Honda Ende 2003 verließ und zu Yamaha wechselte. Dort hat man eine andere Meinung. «Der Fahrer ist immer der entscheidende Faktor für den Sieg. Sie tun immer ihr Bestes, wenn sie auf ihrer Maschine sitzen. Sie passen sich an das Motorrad an, das sie fahren. Zudem sind die Fahrer sehr wichtig für die Entwicklung der Maschine.» Diese Aussage hat nichts mit der Einstellung von Honda zu tun, obwohl man anmerken muss, dass sich ihre Haltung in den letzten Jahren offenkundig änderte.
Lorenzos M1
Unerwarteter Weise brachte uns Tsujis letzter Kommentar, wie wichtig Fahrer für die Entwicklungsarbeit sind, zu einem Punkt, der ganz oben auf meiner Liste stand: Valentino Rossis Leistung nach seiner Rückkehr zu Yamaha. Der italienische Weltmeister hatte damit gerechnet, dass sein Wechsel zu Yamaha und zur M1, die ihm seine letzten Titel bescherte, die Rückkehr auf die Siegerstraße bedeuten würde. Doch er traf auf ein Bike, das sich nicht wie seine M1 von 2009 oder 2010 fahren ließ. Tsuji erklärt sehr höflich, warum das passierte, aber er sendet auch eine klare Botschaft. «Von 2004 bis 2009 haben wir das Bike für Valentino entwickelt. 2010 verletzte er sich und Jorge holte den Titel. 2010 und 2011 haben wir das Bike nach Jorges Wünschen modifiziert. Valentinos Situation in diesem Jahr ist dieselbe, die Lorenzo vorfand, was er zu Yamaha kam. Damals passte die M1 auch nicht zu seinem Fahrstil, denn es war Valentinos Bike. Er musste sich anpassen… und am Ende siegte er.»
«Für uns ist es schwierig eine Maschine für Valentino zu bauen, denn das ist eine Frage der Ressourcen. Wenn wir ihm eine M1 von 2009 gegeben hätten, denn hätte er niemals die Ergebnisse von 2013 erreicht. Wenn man mich fragt, wie Jorges Bike ist und wie Valentinos M1 war, dann muss ich sagen, dass ich es nicht weiß. Diese Maschinen sind immer ein Resultat der Entwicklungsarbeit und an irgendeinem Punkt werden sie dann zu ‹Valentinos Bike› und ‹Jorges Bike›. Als Rossi ein Yamaha-Fahrer war, haben wir ‹sein Bike› gebaut. In den folgenden Jahren war Jorge unser Fahrer, was uns zu ‹Jorges Bike› führte.» Man kann das lauter sagen, aber nicht deutlicher machen.
Zu Yamahas großem Problem 2013, der Bremsstabilität, fragte ich Tsuji-san wie die Zahlen aussehen. Ich wusste, dass ein Yamaha-Ingenieur sicher viele Daten im Kopf hat und ich lag richtig: «Die Bremswege haben sich stark verändert, da aus dem 800-ccm-Maschinen wieder 1000-ccm-Bikes wurden. Der Unterschied beim Topspeed liegt in Motegi beispielsweise bei 14 km/h, das verlängerte den Bremsweg um elf Meter. Ich spreche hier vom Unterschied zwischen 2010 und 2011. Von 2012 auf 2013 hat sich nicht viel verändert. Der Unterschied liegt je nach Strecke zwischen einem und zwei Metern.»
Die M1 für 2014
Die technischen Regeln für 2014 bringen einige Veränderungen. Die wichtigste ist wohl die Begrenzung der Motorenzahl von sechs auf fünf pro Saison. Auf dem Papier sieht dies nach einer Herausforderung für Yamaha aus, weil die Bikes aus Iwata mehr unter der limitierten Motorenanzahl litten als die Gegner. Tsuji verneint jedoch, dass dies ein Problem sein wird. «Die Reduktion von sechs auf fünf Motoren ist kein großer Unterschied. Wir haben die Motoren immer so eingeteilt, dass sie ein Rennen weniger verwendet wurden, als ihre Lebenserwartung war. Wir haben die sechs Motoren also bereits so konstruiert als hätten wir nur fünf zur Verfügung. Nun werden wir Motoren bauen, die so gebaut sind, als ob wir nur vier verwenden könnten.»
In einigen Tagen beginnt mit den Testfahrten in Sepang die neue Saison. Über den Winter haben die Yamaha-Ingenieure sich nicht nur auf die Verbesserung der Bremsstabilität konzentriert, sondern auch auf die neue Kraftstoffbegrenzung, die 2014 in Kraft tritt. «Ja, wir haben uns auf diese zwei Bereiche konzentriert, aber das war natürlich nicht alles. Was die Entwicklung in der Vorsaison betrifft, ist nun sehr klar, wo wir im Hinblick auf das Set-up ansetzen müssen. Das ist der Mittelpunkt unserer Entwicklungsmöglichkeiten. Wir können also in zwei Richtungen gehen. Wenn unsere Fahrer nach mehr Front- oder Hinterradgrip verlangen, dann haben wir einen Spielraum. Probleme mit der Kraftstoffregelung? Im Moment sehen wir kein Problem. Gut, wenn ein Rennen bei ziemlich niedrigen Temperaturen gefahren wird und der Druck wächst, dann wird der Verbrauch höher, aber das werden wir sehen…»
Die Yamaha-Philosophie
Die Ansätze von Honda und Yamaha sind komplett unterschiedlich. Honda benutzt die Rennabteilung HRC als Trainingsplattform für ihre jungen Ingenieure, um ihre Ideen und Fähigkeiten zu erproben, natürlich stets unter dem wachsamen Auge von erfahrenen Ingenieuren. Yamaha sieht den Rennsport als ein Kräftemessen mit anderen. Diese unterschiedlichen Ansätze führen zu zwei oder fast drei verschiedenen Situationen.
Eins: Da HRC als Trainingsabteilung junger Ingenieure dient, ist die Fluktuation natürlich riesig. Der durchschnittliche Aufenthalt dort überschreitet selten vier Jahre. Es ist die Zeit für junge Ingenieure ihre Ideen zu entwickeln und dem Honda Motor Management ihr Wissen zu zeigen. Im Gegensatz dazu kennt man die Renningenieure von Yamaha ‹ein Leben lang›. Einige arbeiteten schon während der 500-ccm-Zweitakt-Ära dort!
Zwei: Diese Herangehensweisen machen aus HRC eine Abteilung mit neuen Ideen und liefert Verbesserung von Dingen, die bereits bestens funktionieren. Hondas enormer technischer Background und die finanziellen Ressourcen erlauben ihnen, die einzige Marke zu sein, die mehrere Projekte parallel entwickelt… Yamaha entwickelt im Grunde nur dann, wenn es die Rennergebnisse verlangen. Wenn man gewinnt oder zumindest nahe dran ist, dann ist das Produkt auf der Strecke gut genug. Wenn Honda etwas ‹erfindet›, dann beginnt Yamaha zu arbeiten. Das aktuellste Beispiel ist hierbei das Seamless-Getriebe.
Drei: Die dritte Folge der Unterschiedlichen Ansätze ist die Einstellung der Ingenieure. Bei Honda stand die Ingenieursleistung immer über den Fähigkeiten des Fahrers. Die Haltung «du gewinnst dank unseres Bikes und nicht weil du der Beste bist», führte dazu, dass Rossi Honda verließ. Bei Yamaha fand der Italiener ein anderes Verhältnis zwischen Fahrern und Ingenieuren vor. Um fair zu sein, muss man sagen, dass sich Hondas Einstellung in den letzten Jahren verbessert hat. Fahrer sind nicht mehr nur «Personen, die vorschriftsmäßig auf meiner Maschine sitzen müssen.»