MotoGP: Neuer Yamaha-Motor zu stark

KTM-Chef Stefan Pierer: «Wir fahren 2017 MotoGP»

Von Günther Wiesinger
KTM kehrt 2017 in die MotoGP-WM zurück. In der Rennabteilung in Munderfing wird bereits an der V4-1000-ccm-Maschine namens RC16 gearbeitet.

Jeder halbwegs aufgeweckte GP-Berichterstatter konnte sich bereits im Mai an den fünf Fingern einer Hand ausrechnen, dass KTM spätestens 2017 in die MotoGP-WM zurückkehren wird.

SPEEDWEEK.com traf heute Vormittag den KTM-Vorstandsvorsitzenden Stefan Pierer im Hauptsitz der Cross Industries AG in der Edisonstrasse 1 in Wels/Oberösterreich zum Exklusiv-Interview.

Bei dieser Gelegenheit bestätigte Stefan Pierer erstmals offiziell den MotoGP-Einstieg von KTM mit einer 1000-ccm-V4-Maschine. «Wenn 2016 das neue Reglement mit der Einheits-Elektronik wirksam wird, wenn Suzuki und Aprilia zurückkehren, dann müssen auch wir von KTM irgendwann vor das Zelt treten und sagen: Wir fahren in der Königsklasse mit», stellte der erfolgreiche Konzernchef fest, der schon 2002 vor dem KTM-Debüt in der 125er-WM erklärte: «Es muss mehr Orange ins GP-Fahrerlager.»

KTM reüssiert seit Jahren mit dem Slogan «Ready to race». Der Motorsport bildet eine Grundlage des Erfolgs: Bis Ende 2013 wurden 241 Weltmeistertitel gewonnen.

KTM hat in den letzten zwei Jahren die Moto3-WM dominiert und führt jetzt mit Jack Miller die Tabelle an. Bis zum Catalunya-GP 2014 wurden seit Aragón 2012 nicht weniger als 27 WM-Rennen in Serie von KTM gewonnen. Die Österreicher hofften, dass die 600-ccm-Einheitsmotoren 2016 aus der Moto2-WM verschwinden würden, doch Dorna, FIM und IRTA werden an diesem System festhalten.

Im vergangenen Dezember betonten Stefan Pierer und Designer Gerald Kiska noch, KTM werde in absehbarer Zeit keine Motorräder mit mehr als zwei Zylindern auf den Markt bringen.

Herr Pierer, wie ist es zu diesem Meinungsumschwung gekommen?

Es ist ja bekannt, dass die Sicherheitsdiskussion in der Motorradindustrie und in jedem einzelnen europäischen Land irrsinnig zunimmt.
Durch das schöne Wetter und die vielen tödlichen Unfälle im vergangenen Frühjahr haben sich diese Diskussionen verstärkt. Die Hersteller sind massiv unter Druck. Bei der EU in Brüssel wird überlegt, ob man bestimmte Leistungsbeschränkungen einführen soll. Es gibt sogar Überlegungen, die so genannten Superbikes überhaupt zu verbieten. Das wird offen diskutiert.
Wir haben natürlich bei KTM in unserer Produktpalette neben dem jetzt wirklich super erfolgreichen Segment Adventure/Superduke noch ein altes, angegrautes Modell, das ist die RC8, die einen Nachfolger braucht.
Alle fragten: Was ist jetzt? Wann kommt er?
Also haben wir beschlossen: Ja, wir machen einen Nachfolger, er wird RC16 heissen.
Wir übernehmen als Hersteller die Verantwortung und sagen: So etwas gehört nicht mehr auf die Strasse. Alles was jenseits von 200 PS ist, hat im öffentlichen Verkehr nichts verloren.
Wir machen ein neues Superbike. Und das Pflichtenheft ist relativ einfach, es entspricht dem MotoGP-Reglement von 2016, also 1000 ccm.
Aber die KTM RC16 wird für jeden Interessenten käuflich sein. Damit ist bei uns das Serienprojekt schon gestartet.

Und wie sollen die Einsätze in der MotoGP-WM abgewickelt werden?

Mit dem neuen Reglement wird in der MotoGP eine ähnliche Situation entstehen, wie wir sie jetzt in der Moto3-WM vorfinden. Ich finde, das wird dann eine faire Auseinandersetzung.
Ich glaube, was die Themen Motor, Fahrwerk und Mechanik betrifft, können wir mithalten. Das haben wir in der Moto3 bewiesen. Die MotoGP ist für uns der logische nächste Schritt. Und der Markt wartet darauf.
Wir möchten unser Konzept auch den normalen Konsumenten anbieten, also den Racing-for-Fun-Piloten.

Wie sieht der Zeitplan aus?

Wir werden im Mai 2015 den V4-Motor auf dem Prüfstand haben. Das erste Roll-out des RC16-Modells ist für Herbst 2015 geplant. 2016 werden wir das ganze Jahr zur Finalentwicklung nützen. Ende 2016 wird es zur Verfügung stehen. Eventuell werden 2016 im Herbst bereits erste Wildcard-Rennen bestritten, das ist unsere Zeitleiste. Für 2016 brauchen wir dann einen schnellen Testfahrer.
Im Hause KTM haben wir unsere Pläne bereits kommuniziert. In den Medien bisher nicht.
Es ist ein Serienprojekt, aber nur mehr für geschlossene Rennstrecken, nicht mehr für Strassenzulassung.
Ich gehe davon aus, dass sich einige MotoGP-Teams melden werden, die 2017 mit unseren Motorrädern die WM bestreiten wollen. Wir werden wie in der Moto3 Gitterrohrstahlrahmen bauen. Wir glauben, dass er auch in der MotoGP überlegen ist. Wir werden auch unsere hauseigene WP Suspension zum Einsatz bringen, mit der wir jetzt schon in der Moto2-WM gewonnen haben. Für 2015 wird voraussichtlich auch Marc VDS Racing mit Rabat und Kallio auf WP umsteigen, es haben bereits Tests stattgefunden.

Mit welchen Stückzahlen kann man bei so einem Serienprojekt rechnen?

Das wissen wir selber noch nicht genau. In der Moto3 kommen 70 bis 80 Maschinen im Jahr zusammen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir bis zu 100 RC16-Exemplare im Jahr verkaufen könnten.
Es gibt viele Freaks. Vielleicht finden sich auch ein paar hundert Käufer. Wir wollen einen extrem guten Preis anbieten.
Wie unterschiedlich die Spezifikationen für die MotoGP-Werksmaschinen und die RC16 für die Hobbyfahrer sein werden, haben wir noch nicht definiert.

In welcher Grössenordnung werden die Preise für die käuflichen RC16 liegen?

So ein käufliches Rennmotorrad für «closed course racing» darf maximal 150.000 bis 200.000 Euro kosten. Es wird für Hobbyfahrer genau so tauglich sein wie für Profis.
Bei den homologierten Superbikes werden ja die Auflagen immer grösser. Euro 4 und so weiter. Diese ganzen Geschichten sind so kontraproduktiv fürs Rennfahren.
Wenn du das alles demontierst, hast du ein Motorrad, das nach fünf Runden kaputt ist.

In der MotoGP wird KTM kein Werksteam bilden, sondern nur Motorräder verkaufen?

Ja, wir werden ähnlich vorgehen wie in der Moto3. Wir suchen uns interessierte Teams.

Mit welchen Materialkosten muss ein KTM-Kundenteam 2017 für einen Fahrer rechnen? Ein Honda-Kundenteam wie LCR braucht heute 3 bis 3,5 Millionen an Materialkosten pro Fahrer und Saison.

Ich glaube, die Dorna will, dass die Kosten 2016 bei einer Million liegen. das wird unser Ziel sein. Aber wir haben die Kosten bisher nicht kalkuliert. Aber unsere bewährte Mannschaft ist schon mit dem Design beschäftigt. Ing. Kurt Trieb, der den Moto3-Motor gebaut hat, wird den V4-Motor konstruieren.

Die erste MotoGP-Teilnahme von KTM 2005 ist gescheitert. Der Motor war zu giftig, die Elektronik entsprach den Anforderungen nicht, das Team Roberts hatte keine Sponsoren und mit Byrne und McWilliams nicht die stärksten Fahrer. Welche Lehren wurden aus diesem gescheiterten Projekt gezogen?

Kurt Trieb und viele unserer Ingenieure haben mittlerweile viel gelernt. Spitzenleistung ist im Motorradsport nicht alles. Die Fahrbarkeit ist das Thema, man bewegt sich viel im Teillastbereich.
Damals hat auch die Teamstruktur nicht gepasst, wir waren noch unerfahren. Wir haben später in der IDM Superbike mit der alten RC8 bewiesen, dass wir die Fahrbarkeit inzwischen im Griff haben. Das sind jetzt unsere Stärken. Motorseitig haben wir in den letzten zehn Jahren viel gelernt.
Wir werden aber als Werk nicht selber in die MotoGP-WM hineingehen, sondern wir möchten mit seriösen Teams kooperieren, wie wir es in der Moto3-WM machen. Natürlich würden wir uns gern ein Team als Entwicklungspartner suchen, wie wir es mit Aki Ajo in der Moto3 gemacht haben. Das ist dann eine Art inoffizielles Werksteam, wo vielelicht sogar ein Fahrer das Material kostenlos erhält. Doch wir werden allen Teams identisches Material liefern, auch das haben wir in der Moto3 vorexerziert. Sonst wäre Maverick Viñales 2013 nicht in einem Kundenteam wie Calvo Weltmeister geworden.
Auch in diesem Jahr liefern wir dem Sky-Team von Valentino Rossi für Fenati identisches Material .
Wir werden auch in der MotoGP-WM alle Teams bestmöglich und gleichwertig unterstützen.

Könnte Stefan Bradl dann 2017 Teil des KTM-MotoGP-Projekts werden?

Klar. Deutschland ist der wichtigste Markt in Europa. Und wir brauchen 2016 auch einen schnellen Testfahrer, der die Benchmark vorgibt. Wenn er Honda-Erfahrung hat, umso besser.

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