MV Agusta: Erst MotoGP-Traum, jetzt stockt Produktion
Wie sich die Rennabteilung von MV Agusta finanziert, ist vielen ein Rätsel
Die ruhmreiche italienische Motorradmarke MV Agusta hat zwar im Jahr 2015 nur rund 10.000 Motorräder verkauft, der Umsatz soll 150 Millionen Euro betragen haben. Trotzdem beteiligt sich MV Agusta werkseitig mit der F4RR an der Superbike- und mit der F3 an der Supersport-WM.
Und im Oktober sprachen Firmenchef Giovanni Castiglioni und sein damals mutmaßlich neuer Teamprinzipal Giovanni Cuzari (Forward-Teambesitzer) von einem Einstieg in die MotoGP-WM 2016 oder zumindest 2017.
Und sogar die Einheits-Motoren für die Moto2-WM 2019 wollte Castiglioni liefern – auf Basis der 675-ccm-Dreizylinder-F3-Supersport-Triebwerke mit Kassettengetriebe.
Aber jetzt erreichen uns unerfreuliche Nachrichten aus Italien. Wer sich Zutritt zum MV Agusta-Werk verschaffen wolle, stehe vor versperrten Toren, berichten einige Besucher. Von offenen Rechnungen ist wieder einmal die Rede, Gläubiger berichten, sie würden seit Monaten vertröstet, manche Zulieferfirmen liefern nichts mehr – deshalb musste die Produktion offenbar vorübergehend stillgelegt werden. Sie ist auf jeden Fall ins Stocken geraten.
Das ist in den letzten 20 Jahren bei MV Agusta gefühlt schon fünfmal auf ähnliche Weise passiert, unter wechselnden Besitzern.
Die Werksteams in der SBK und SSP werden vorläufig trotzdem weiter betrieben. Wie sie finanziert werden, ist so manchem Insider rätselhaft.
Noch vor wenigen Wochen besuchte Giovanni Castiglioni einige Engineeringfirmen in Europa, um sich Vorstellungen über ein MotoGP-Budget und einen Zeitplan für die Königsklasse machen zu können.
MV Agusta ist Ende 1975 werkseitig aus den WM-Klassen 350 und 500 ccm ausgestiegen. 1974 gelangen den Viertakt-MV-Agusta-Stars Phil Read und Gianfranco Bonera in der 500er-WM noch die Ränge 1 und 2 vor den Zweitakt-Yamaha-Werkspiloten Teuvo Länsivuori und Giacomo Agostini. Aber «Ago nazionale» gewann 1976 mit einem privaten MV-Motorrad noch den 500er-GP auf dem Nürburgring.
Heute vertröstet Castiglioni manche Gläubiger. Es seien «Umstrukturierungen» im Gange, ist zu hören.
AMG Mercedes hat sich im Oktober 2014 mit 25 Prozent an MV Agusta beteiligt. Bisher dürfte sich diese Investition nicht gerade als lukrativ erwiesen haben.
Dabei gilt MV Agusta als ruhmreiche Traditionsmarke mit einem unbezahlbaren Bekanntheitsgrad. Nicht weniger als 38 Fahrer-WM-Titel und 37 Komnstrukteurs-WM-Titel hat MV Agusta in den GP-Klassen 125, 250, 350 und 500 ccm gewonnen.
Domenico Agusta, der Sohn des Flugzeugherstellers Giovanni Agusta, ging 1945 unter die Motorradfabrikanten. Der Markenname lautete ursprünglich Meccanica Verghera Agusta, das steht für mechanischer Betrieb in Verghera. Bis 1980 wurden MV Agusta-Motorräder hergestellt, ehe die Brüder und Cagiva-Besitzer Claudio und Gianfranco Castiglioni den Markennamen MV Agusta 1992 aufkauften.
Im Juli 2008 meldete Harley-Davidson die Übernahme der MV-Gruppe für rund 70 Millionen Euro. Doch das sollte ein gehöriges Verlustgeschäft werden. Denn im Sommer 2010 kaufte Claudio Castiglioni MV Agusta für einen symbolischen US-Dollar wieder zurück. Ein Jahr später erlag Claudio Castiglioni im Alter von 65 Jahren einem Krebsleiden.
Einen schweren Schlag hatte MV Agusta bereits Jahre vorher hinnehmen müssen: Designchef Massimo Tamburini, der auch die F4 zeichnete, verließ Ende 2008 das Entwicklungszentrum CRC (Centro Ricerche Cagiva) von Cagiva und MV Agusta.