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Tom Lüthi: Nach 10 mageren Jahren zum grossen Triumph

Kolumne von Günther Wiesinger
Katar-Sieger und WM-Leader Tom Lüthi

Katar-Sieger und WM-Leader Tom Lüthi

Seit dem 125-ccm-WM-Titelgewinn 2005 erlebte Tom Lüthi viele Rückschläge. Jetzt ist er Moto2-WM-Leader – und hat mit fast 30 Jahren vielleicht sogar eine MotoGP-Zukunft vor sich.

Seit dem verheerenden Unfall von Pierre Levegh (Mercedes) beim 24h-Rennen von Le Mans am 11. Juni 1955, bei dem 83 Zuschauer starben, sind Motorsport-Rundstreckenrennen in der Schweiz verboten.

Es existiert hier auch keine Rennstrecke, sehr wohl aber ein Formel-1-Team namens Sauber.

Und während zum Beispiel in Spanien Milch und Honig fliessen, was den Motorradrennsport betrifft – es gibt dort mit Jerez, Barcelona, Aragón und Valencia gleich vier Grand Prix und zehn weitere namhafte Rennstrecken von Almeria über Cartagena bis Alcarraz, Monteblanco und Guadix – so sorgen die eidgenössischen Kraftradfahrer aus dem Land der Uhren und der Schokolade seit Jahren immer wieder für erstaunliche Erfolge.

Noch im Vorjahr stellte die Schweiz ein Fünf-Fahrer-Kontingent (Aegerter, Lüthi, Krummenacher, Mulhauser und Raffin) in der Moto2-WM, da brauchten sich die Mitteleuropäer hinter den Spaniern und Italienern nicht zu verstecken.

Und jetzt?

Jetzt führen mit Tom Lüthi (Moto2) und Randy Krummenacher (Supersport-WM) sogar zwei Schweizer in zwei der fünf namhaftesten «Motorcycle Road Racing World Championships».

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.

Das ist ungefähr so, als würde ein Niederländer, Tunesier oder Malaysier den Ski-Weltcup dominieren.

Lüthi und Krummi sind mit 29 und 26 Jahren nicht mehr die Jüngsten.

Und es gibt etliche weitere Gemeinsamkeiten.

Sie eroberten schon mit 14 Jahren die deutschen Rennstrecken, denn daheim standen nur Motocross oder Bergrennen zur Auswahl. Sie dominierten also die Gehschule namens ADAC Junior-Cup. Krummi machte sich dafür sogar ein Jahr älter, denn er war noch keine 14 Jahre alt.

Mit den Sponsoren sah es nicht so rosig aus, aber nach den ersten IDM-Erfolgen wurde Elit-Teambesitzer Daniel M. Epp auf Lüthi aufmerksam und Rechtsanwalt Dr. Robert Siegrist auf Randy Krummenacher, so wurden die Wege in die 125er-WM geebnet.

Lüthi und Krummi: Talent und frühe Erfolge

Tom Lüthi kam schon mit 15 Jahren im Jahr 2002 zu den ersten WM-Einsätzen, sein Talent war offenkundig, beim dritten oder vierten Rennen im Regen von Rio stürmte er auf Platz 3 vor. Bis ihn der jugendliche Übermut vom Motorrad riss.

Randy Krummenacher bildete in der IDM 2006 einen Teil des Red Bull KTM-Junior-Teams in der deutschen 125-ccm-Meisterschaft, im selben Jahr debütierte er in Donington bereits in der 125er-WM als Ersatz für den verletzten Julián Simón. 2007 stand er beim Barcelona-GP bereits als Dritter erstmals auf dem Podest.

Tom Lüthi hatte inzwischen 2005 die 125er-WM gewonnen, Krummi galt in der Schweiz als sein legitimer Nachfolger als Weltmeister.
Doch daraus wurde nichts.

Randy nutzte im KTM-Werksteam die grosse Chance nicht, er fuhr später zum falschen Zeitpunkt im falschen Team und auf dem falschen Fabrikat, liess aber sein aussergewöhnliches Können immer wieder aufblitzen.

«Ich war in der ersten Moto2-Saison 2011 nach dem Deutschland-GP WM-Sechster», erinnert sich der Zürcher Oberländer.

Doch es gab Stürze, Verletzungen, Managerwechsel, falsche Personalentscheidungen beim Crew-Chief, es kam zu Lebensmittelvergiftungen, Anzeichen von Burn-out und etliche Teamwechsel, zum Teil vom Regen in die Traufe. Der Druck wurde grösser, die Erfolge wurden kleiner.

Nach dem Brünn-GP entschied sich Krummenacher für die Flucht nach vorne, er führt jetzt im Puccetti-Kawasaki-Team die Supersport-WM nach zwei Rennen (erster Platz und vierter Platz) mit elf Punkten Vorsprung an.

Auch Tom Lüthi, er verliess die 125er-WM Ende 2006 und fuhr dann zwei Jahre lang in der 250er-WM, seither in der Moto2. In der 250er-WM hätten sich Tom und sein Team wahrscheinlich 2007 für Honda und Techniker Sepp Schlögl entscheiden sollen. Die Kombination Werks-Aprilia RSA 250 und Crew-Chief Mauro Noccioli harmonierte nicht mit dem jungen Schweizer. Die drei 250er-Jahre mit den WM-Rängen 8, 11 und 7 verliefen über weite Strecken ernüchternd und enttäuschend.

Lüthi fuhr in der Moto2-WM 2010 auf Moriwaki, danach vier Jahre auf Suter, als die Konkurrenz längst auf Kalex dominierte.

Der Umstieg von Suter (man erhoffte den Effekt von «Swissness») auf Kalex erfolgte ein, zwei Jahre zu spät. Tom gewann zwar 2011 in Sepang, 2012 in Le Mans und 2014 in Motegi und Valencia, aber der Titel lag nie in Reichweite, schon gar nicht 2013, als sich Tom Lüthi beim Valencia-Test im Februar den rechten Ellbogen derart zertrümmerte, dass die Fortsetzung der Karriere wochenlang in Gefahr war.

In beispielhafter Zähigkeit arbeitete sich Tom Lüthi 2013 wieder an die Weltspitze heran.

Er beendete die Moto2-WM seit 2010 auf den Gesamträngen 4, 5, 4, 6, 4 und 5, aber er stad in der Schweiz teilweise im Schatten von Domi Aegerter, der 2014 den GP von Deutschland gewann und in der WM besser abschnitt als Tom.

Inzwischen fahren die beiden Berner im selben Team, Tom hat das besser verkraftet als sein Landsmann und sich im Herbst dessen langjährigen Crew-Chief Gilles Bigot geangelt.

MotoGP: Die Schweizer als Exoten

Tom Lüthi gilt als begnadeter Motorraffahrer. Eigentlich müsste er schon seit fünf Jahren in der MotoGP-WM fahren... Aber für die Werke ist der Schweizer Markt zu klein, für die grossen Sponsoren auch, es gibt keinen Heim-GP, die TV-Rechte bringen der Dorna in der Schweiz kaum Geld ein.

Die Schweizer sind Exoten in der Welt des grossen Motorradsports. Dabei wurde Tom punkto MotoGP schon mit BMW in Zusammenhang gebracht, mit Honda, mit Suzuki, mit Tech3-Yamaha, mit Ilmor, für 2015 mit Aspar-Martinez-Honda, aber es kam nie zu wirklich handfesten Angeboten.

Erst jetzt wurde ein erster Schritt gemacht: Tom Lüthi hat bei KTM für sechs Tage als MotoGP-Testfahrer unterschieben.

«Lieber in der Moto2 um Siege fighten als in der MotoGP-WM auf Platz 13 landen», lautete lange Zeit die Devise von Tom Lüthi und Manager Dani Epp.

Als vor zwei Jahren in der MotoGP-WM der Jugendwahn ausbrach und Teenager wie Miller, Rins und Vinales gefragt waren, versandete für Tom die Chance auf einen Platz in einem konkurrenzfähigen MotoGP-Rennstall.

Bei Johann Zarco (er ist 25 Jahre alt und fährt 2017 bei Suzuki) und Tito Rabat (er kam mit fast 27 Jahren in die MotoGP) hat sich aber gezeigt, dass man auch als Routinier noch in die Königsklasse aufsteigen kann, wenn die Performance stimmt.

Tom Lüthi ist verlässlich, bodenständig, professionell, korrekt und pünktlich, ein Schweizer, wie er im Buche steht. Dazu noch ausgesprochen rüstig für einen Haudegen, der 217 GP-Einsätze, elf GP-Siege errungen und 42 Podestplätze gemeistert hat.

Tom zählt zu den populärsten Schweizer Sommersportlern. Erstaunlich, wie sich der ehemalige Bergbauernbub (im Stall des Elternhauses standen zehn Kühe) zu einer zielstrebigen Persönlichkeit gemausert hat, die auch mal auf den Tisch haut, wenn es dem Erfolg dienlich ist.

Klar, wir haben erst ein Moto2-Rennen der Saison 2016 gesehen. Aber Johann Zarco hat seine Überlegenheit von 2015 eingebüsst. Das könnte auch daran liegen, dass er nicht mehr so viel testen kann wie im Vorjahr, denn es stehen pro Fahrer nur noch zehn Testtage zur Verfügung.

Tom Lüthi absolviert seine zehnte WM-Saison in der Mittelgewichtsklasse. Erstmals ist er in dieser Kategorie WM-Leader.

Die nächsten Monate versprechen Spannung. Es geht um zwei Fragen: Kann der Routinier elf Jahre nach dem 125er-WM-Titelgewinn als erster Schweizer die Moto2-WM gewinnen?

Und kann ein 30-Jähriger noch mit brauchbarem Material in jene Klasse einsteigen, in der Casey Stoner mit 27 Jahren als zweifacher Weltmeister zurückgetreten ist?

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