Pit Beirer: «Wir haben bei KTM eine Luxus-Situation»
In der Motocross- und Supercross-Szene häufen sich die Verletzungen. Auch KTM war 2019 stark betroffen: Tony Cairoli, Jeffrey Herlings und zuletzt Jorge Prado fielen wochenlang und teilweise sogar monatelang aus. Sind die Strecken inzwischen zu gefährlich und zu anspruchsvoll geworden? Müssen die Streckenbauer einen Schritt zurückmachen und einen Teil des Spektakels und der Attraktivität zugunsten der Sicherheit opfern?
Von Pit Beirer, 250-ccm-Motocross-Vizeweltmeister 1999 hinter Bolley und viermal WM-Dritter (1997, 1998, 2000 und 2002), ist bei dieser Frage zuerst einmal ein tiefes Seufzen zu hören. «In unseren Sportdisziplinen fährt ein gewisses Risiko mit», sagt er dann. «Dass sich bei uns 2019 beide MXGP-Topfahrer verletzt haben, erst immer Winter wieder zurückgekommen sind und sich dann noch Jorge Prado verletzt hat, war sicher für uns nicht schön. Aber damit muss man im Motocross-Sport rechnen. Prado hat Mitte Dezember einen Trainingsunfall gehabt. Er ist einen Sprung mit 25-Meter-Distanz gesprungen. Es hat angefangen zu regnen, deshalb ist ihm vor dem Absprung das Hinterrad weggerutscht. Wer den Motocross-Sport liebt, der fährt schon immer steile Abhänge runter und bewältigt brutale Sprungdistanzen. Ja, der Sport wird schneller. Er wird vielleicht einen Tick zu schnell, weil die Motorräder auch immer besser werden und der Grenzbereich immer weiter rausgeschoben wird. Wenn etwas schiefgeht, hast du eine sehr hohe Geschwindigkeit drauf. Leider Gottes gehören Verletzungen zum Motorsport dazu. Das wissen wir alle. So realistisch müssen wir sein.»
Pit Beirer, seit fast 15 Jahren Motorsport-Direktor bei KTM und seit einem Sturz beim Bulgarien-GP 2004 im Rollstuhl: «Wir haben bei KTM die einzigartige Situation, dass wir mit Tony Cairoli einen neunfachen Weltmeister haben, von dem wir eigentlich schon vor drei Jahren damit gerechnet haben, dass er mit 30 aufhört. Damals dachten wir, es sei sein letzter Vertrag. Inzwischen wurde er zweimal verlängert. Jetzt hat sich Tony eine Vertragsverlängerung gewünscht, dabei ist er für 2020 sowieso noch unter Vertrag. Dann haben wir den Jeffrey Herlings, der wie ein Schnellzug in dieser Liga daher gekommen ist. Für uns war schon lange klar, dass der Jeffrey der Nachfolger von Tony werden kann. Wir dachten, wenn Tony aufhört, haben wir Herlings als Nummer 1 in der MXGP. Und dann kommt Prado nach... Jetzt haben wir die verrückte Situation, dass Tony mit seinen 34 Jahren immer noch ein absoluter Siegfahrer ist. Dazu haben wir Jeffrey Herlings, der unser aktuellster Siegfahrer ist. Und dann haben wir Jorge Prado, der mit 19 Jahren zweimal MX2-Weltmeister ist und aufsteigen MUSS. Wir haben also drei Spitzenfahrer im Red Bull-Team, was natürlich nie so geplant war. Aber es gilt jetzt, auch diese Situation zu managen. Denn es wird für das Team sicher eine große psychologische Aufgabe, drei Weltmeister unter einem Dach ordentlich zu beruhigen und zu betreuen.»
Im Husqvarna-Team ist dazu noch Pauls Jonass unter Vertrag, der 2017 auf KTM MX2-Weltmeister wurde. «Außerdem haben wir noch Arminas Jasikonis, wir sind also auch bei Husqvarna gut aufgestellt», freut sich Beirer. Jonass landete in seinem Rookie-Jahr in der MXGP-Klasse auf Gesamtrang 6 und damit einen Platz vor Jasikonis. «Es ist eine Luxus-Situation, die wir in der Cross-WM haben. Aber die Verletzungen der Fahrer zeigen uns halt auch, wie schnell du wieder weg sein kannst von der Bildfläche. Wir haben 2019 mit Cairoli und Herlings auf dem Papier das stärkste Team gehabt. Aber als sich Cairoli und Herlings verletzt haben, ist Tim Gajser Weltmeister geworden.»
In der MX2-WM-Klasse tritt KTM 2020 mit Tom Vialle auf, der im Vorjahr als Rookie WM-Vierter wurde und in Uddevalla/Schweden seinen ersten GP-Sieg feierte. «Das war eigentlich unglaublich. Und wir haben René Hofer als einheimischen Werksfahrer. Er ist der erste Österreicher im Red Bull KTM-Werksteam seit Robert Jonas 2002.» Übrigens: Robert Jonas ist heute als Motorsportchef bei Husqvarna tätig.
In der amerikanischen Supercross-Szene führt der aktuelle Champion Cooper Webb die KTM-Mannschaft an. «Anderseits haben wir bei Husqvarna Jason Anderson als Nummer 1, den Champion von 2018. Auf der anderen Seite haben wir Zach Osborne, der vor zwei Jahren 250er-Champion war und inzwischen aufgestiegen ist. Im Grunde haben wir da drei Siegfahrer am Start.»