Tim Gajser (Honda): Die Nerven liegen blank!
Tim Gajser gewann nach furioser Aufholjagd den Großen Preis von Lettland
Die MXGP-WM 2016 ist spannend wie selten zuvor. Während KTM-Werksfahrer Jeffrey Herlings in der MX2-Klasse seine Fahrerkollegen aus einer anderen Liga in Grund und Boden fährt, rempelt sich Tim Gajser (Honda) in einer sensationellen Aufholjagd von außerhalb der Top-20 in Kegums zum Grand-Prix-Sieg.
Eine sagenhafte Leistung des slowenischen MXGP-Rookies.
Keine Frage: Gajser ist die schillernde Figur der MXGP-Szene! Keine Runde, ohne dass man schon beim Zuschauen Adrenalinstöße bekommt. Quersteher, Kicker, Abflüge, Rempeleien, rüde Ausbremsmanöver, wilde Scrubs...
Gajser ist ein wahrer Entertainer auf der Strecke. Er mischt die Szene auf.
Der Slowene erinnert mich an Marc Marquez, der zu Beginn seiner Moto-GP-Karriere all seine Schutzengel auf eine harte Bewährungsprobe stellte und dessen wilde Abflüge immer wieder für heftige Diskussionen sorgten.
So sorgten auch die Manöver von Tim Gajser unter den Lesern für heiße Diskussionen. Tatsache ist: Mit Evgeny Bobryshev (HRC) haben Gajsers Aktionen nun ein erstes reales Opfer gefordert. Gajsers 'highsider' im zweiten Lauf von Kegums hat die Podiums- oder Sieges-Chancen von Max Nagl zunichte gemacht.
Verhält sich der Slowene unsportlich?
Darauf eine pauschale Antwort zu geben, wäre zu einfach. Tatsache ist: Jedes Überholmanöver erfordert ein gewisses Maß an 'Überlegenheitsgefühl' dem Konkurrenten gegenüber. Ohne den nötigen 'Killerinstinkt' wird sich auf höchstem sportlichen Niveau niemand durchsetzen können.
Die Frage ist nur: Wie hoch darf ein Sportler seine Risikobereitschaft auf Kosten Anderer ausleben? Gajsers Aktion gegen Tommy Searle war grenzwertig: Beide rasten Lenker an Lenker auf den Absprung eines langen Tables zu, als Gajser in die Spur von Searle wechselt und der Brite gerade noch neben dem Absprunghügel einen Notausgang findet. Ein Manöver, das für beide fatale Folgen hätte haben können.
Und dennoch: Spurwechsel sind im Motocross per se nicht verboten!
Als Gajser kurz vor Schluss des zweiten Laufes Max Nagl erreichte, verriet die Körpersprache des Deutschen größte Alarmbereitschaft. Entsprechend verlief auch die folgende Aktion: Gajser fährt Nagl, den er ja zu Beginn des Rennens durch seinen eigenen Crash mit zu Boden gerissen hatte, direkt vors Vorderrad. Man sieht bei dieser Aktion gedanklich förmlich eine Sprechblase des Honda-Piloten aufblitzen: «Mach dich aus dem Weg, hier komme ich!»
Nagl ist bekanntlich kein Rüpel auf der Strecke - er zeigte bei seiner eigenen Aufholjagd, dass man in Kegums auch sauber überholen kann. Manch anderer Fahrer würde aber nach solch einer Attacke, wie die von Gajser gegen Nagl, rasch eine Antwort auf der Strecke finden.
Aber Selbstjustiz darf nicht das Mittel der Stunde werden!
Insgesamt muss man feststellen, dass in diesem Jahr der Ton auf der Strecke wesentlich rauher geworden ist. Auch Febvre fuhr in Kegums heftig die Ellenbogen aus, als er an Cairoli vorbei in Führung ging. Cairoli seinerseits versuchte im ersten Lauf, Nagl durch einen Spurwechsel aufzuhalten.
Im Falle Gajsers ist es jugendliche Unbekümmertheit. Bis jetzt gingen seine Aktionen gut.
Aber hoffentlich bleiben seine Schutzengel standhaft. Die Grenzen sind, wie der Fall Bobryshev zeigt, schon ausgelotet. Es braucht nun wirklich keine weiteren Opfer!
Es ist gut, dass mit Gajser frischer Wind in die WM kommt. Ein Privatier, der das Feld der Werksfahrer so richtig aufmischt und sich gerade anschickt, als Rookie die WM-Führung zu übernehmen, das ist Klasse für den Sport!
Die Unbekümmertheit, die der junge Gajser den eingesessenen Werksfahrern gegenüber an den Tag legt, macht ihn sympathisch. Der 19-Jährige ist kein Rüpel. Er ist ein unbekümmerter Heißsporn. Diese Unbekümmertheit sollte aber nicht in ungezügelte Respektlosigkeit kippen. Motocross ist ohnehin gefährlich genug! Man sollte das Schicksal nicht zusätzlich fordern.
Im Video können Sie einige Szenen noch einmal anschauen. Was ist Ihre Meinung zum Thema? Diskutieren Sie mit!