Angus Heidecke (KTM): Ein Privatier in der WM
Seinen Lebensunterhalt verdient WM-Pilot Angus Heidecke mit einem Autohandel
Wie ist es möglich, als Nicht-Profi in der Königsdisziplin des Motocross zu bestehen? Angus Heidecke weiß, wovon er redet.
Bist du der einzige Nicht-Profi in der MXGP-WM?
«Hundertprozentig: Ja.»
Was waren deine Ziele in diesem Jahr?
«In der WM die Top-15 zu erreichen. Die WM ist aber deutlich stärker geworden als letztes Jahr. Deshalb freue ich mich über jeden WM-Punkt. Selbst der Zwanzigste in der WM hat einen Profi-Vertrag. Ich habe hier aber meinen Job mit dem Autohandel.»
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem Sarholz-Team?
«Sarholz ermöglicht mir einige WM-Rennen und ich bekomme das Material, das ich dafür brauche. Ich wäre natürlich gerne wieder Profi. Aber es funktioniert im Moment leider nicht. Bei Kalli-Racing war ich Profi. Aber komischerweise bin ich erst nach der Kalli-Ära wirklich schneller geworden. Ich weiß selber nicht, woran das gelegen hat.»
Promoter Youthstream verlangt für jede Rennteilnahme vom Fahrer eine Antrittsgebühr. Wie kannst du diese als Privatfahrer aufbringen?
«Das geht nur mit Sponsoren. Als Fahrer hat man die Wahl: Entweder für jedes Rennen 1000,- € zu bezahlen oder für die gesamte Saison 10.000,- €, Bezahlt man für die gesamte Saison und verletzt sich im ersten Rennen, ist das Geld verbrannt.»
Kannst du dich an dein erstes WM-Rennen erinnern?
«Ja, das war 2009 im Talkessel. Damals bin ich mit den Rängen 17 und 20 zweimal in die Punkte gefahren. Ich fuhr für das Pfeil-Kawasaki-Team und Ken Roczen hat dieses Rennen gewonnen.»
Hattest du ähnliche Ambitionen wie Kenny, der schon immer der weltbeste Motocrosser sein wollte?
«Ich wollte schon auch in der WM vorn dabei sein.»
Was war dein bestes WM-Ergebnis?
«Letztes Jahr in Assen war ich bis zwei Runden vor Schluss auf Rang 10. Aber dann hat mein Körper gesagt, bis hierher und nicht weiter und ich bin auf 13 zurückgefallen.»
Liegt Dir Hartboden besser als Sand?
«Ich fahre beides gern.»
Hast du dein Einsatzmotorrad hier in Bitterfeld?
«Das steht bei meinem Mechaniker Frank Michel in Crimmitschau, der das auch nur neben seinem Job als Fuhrparkleiter für mich macht - also auch kein Profi in diesem Sinne, dass er damit Geld verdient. Er ist nicht nur mein Mechaniker, sondern auch mein Freund. Ich habe hier noch mein Trainings-Motorrad.»
Ist die DM für dich noch ein Thema?
«Ich will nicht mehr zurück. Ich habe zwar noch keinen richtigen Plan, wie es im nächsten Jahr weitergeht. Die WM ist ein hartes und teures Pflaster. Aber es geht auch nicht so weiter, dass ich als Nicht-Profi bestehen soll und gute Ergebnisse einfahre. Alle anderen WM-Fahrer trainieren drei- bis viermal pro Woche auf dem Motorrad und ich bin froh, wenn ich einmal pro Woche trainieren kann.»
Dein Mechaniker wohnt weit weg. Wer bereitet deine Trainingsmaschine vor?
«Das mache ich alles selber. Ich habe ja auch früher mal Zweiradmechaniker gelernt.»
Auch das Reifenwechseln?
«Das kriege ich schon noch hin.»
Ist das immer so gewesen? In der heutigen Generation machen das meist die Väter?
«Mein Vater hat mir auch immer geholfen, aber die Basisarbeit musste ich auch stets selber leisten.»
Du bist also technisch voll im Bilde?
«Nein, das würde ich so nicht sagen. Zum Beispiel kenne ich mich mit dem Fahrwerk nicht besonders gut aus.»
Deine beiden Teamkollegen Dennis Ullrich und Harry Kullas sind im Gegensatz zu Dir Vollprofis?
«Ja, sie machen nichts anderes.»
Du stehst mit ihnen zusammen unter dem Sarholz-Zelt. Profitiert ihr technisch voneinander?
«Es kommt darauf an, ob der Teamkollege etwas preisgeben möchte.» (lacht)
Gibt es gemeinsame Trainings-Programme?
«Das scheint mir das generelle Problem in Deutschland zu sein. Die leistungsfähigen Fahrer trainieren nicht zusammen. Ich trainiere leider immer alleine. Viele WM-Piloten trainieren gemeinsam in Belgien und profitieren so voneinander. Das passiert hier gar nicht.»
Wichtig sind immer die Starts. Wie kannst du diese allein trainieren?
«Ich habe für das Start-Training ein selbst-fallendes Startgatter.»
Hast du einen Trainer?
«Hier unterstützt mich der ADAC Sachsen. Ich trainiere mit Jürgen Künzel, der früher in der Supermoto-WM ganz vorn dabei war, also selbst ein erfahrener Racer ist.»
Trainierst du auch Supermoto?
«Nein. Ich bin aber ein Jahr lang Supermoto gefahren. Ich bin beim KTM-Red-Bull-Cup bei einigen Rennen Zweiter geworden. Mir fehlen beim Supermoto einfach die Sprünge.»
Wie oft wechselt ein 'Privatier' an einem WM-Wochenende die Reifen?
«Ich bekomme zu jedem Rennen einen Satz neue Reifen. Abhängig davon, wie hart die Strecke ist, bekomme ich für den zweiten Lauf einen neuen Reifen. Im Sand ist das aber nicht notwendig, da komme ich mit einem Reifensatz aus. Maximal verbrauche ich an einem WM-Wochenende 3 Reifen, zwei hintere und einen vorderen.»
Du fährst kein Werks-Bike. Ist dein Motorrad Serie?
«Wir haben das Glück, von KTM sehr hochwertige Gabeln zu bekommen. Fahrwerksseitig sind unsere Bikes schon noch eine Ecke besser als die Serien-Bikes.»
Ist dein Trainings-Bike mit dem Einsatz-Motorrad identisch?
«Ja, das geht nicht anders. du kannst mit einem guten Chassis schneller in die Kurven heranfahren. Und das kannst du nicht mit einem anderen Fahrwerk üben. Dazu brauchst du das Wettkampfmaterial, sonst kommst du nicht an deine Grenzen.»
Verwendest du eine Luftgabel?
«Nein, eine Federgabel. Die Luftgabeln sind nach meiner Meinung noch nicht ausgereift. Ich denke auch, dass manche Werksteams heute noch etwas anderes eingebaut haben, als sie draußen dranschreiben.»
Du meinst, dass 'Air' dransteht, aber innen eine Feder ist?
«Ja. Es kann sich niemand einen Ausfall leisten. Die großen Teams wechseln nach 2-3- Rennen den kompletten Rahmen. Die Motoren werden maximal zweimal gefahren.»
Welches Budget muss man heute als WM-Pilot aufbringen?
«Für eine WM-Saison kann man gut mit 100.000,- € rechnen. Für Motorsport ist das immer noch günstig, wenn man es beispielsweise mit Moto-GP vergleicht, wo ein Getriebe 400.000,- kostet.»
Wird das Sarholz-Team auch direkt von KTM unterstützt?
«Ja, die Zusammenarbeit ist sehr gut. Das Team bekommt vom Werk eine sehr gute fachliche Unterstützung.»
Wie schätzt du als Privatier die Unterschiede der einzelnen Hersteller ein?
«Die Unterschiede sind gering und häufig Geschmackssache. Die Yamaha geht im oberen Drehzahlbereich gut, die Stärken von KTM und Kawasaki liegen im unteren Drehzahlbereich. Der Rest hängt vom Fahrer ab.»
Hast du Vorbilder?
«Mein Vorbild war und ist Antonio Cairoli.»
Verfolgst du die US-Rennen?
«Nicht intensiv. Ich schaue aber schon, wo Kenny ist.»
Wäre USA für dich ein Thema?
«Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Wenn alles gepasst hätte, hätte ich die Überseerennen in Charlotte und Glen Helen fahren können.»
Was war das schönste Erlebnis in deiner Karriere?
... lange Pause: «Es ist alles schön. Ein besonders schönes Erlebnis war das Rennen in Tensfeld 2014, wo ich bei über 35 Grad einen ADAC-MX-Masters-Lauf gewonnen habe.»
Die drei Sarholz-Piloten Ullrich, Kullas und Heidecke liegen bei WM-Läufen meistens sehr dicht beieinander, während ein Max Nagl 10 bis 15 Plätze weiter vorn agiert, als wäre er wirklich auf einem anderen Level. Bei MX-Masters-Rennen erscheinen diese Unterschiede und Abstände kleiner. Woran liegt das?
«Das dürfte in erster Linie an den Strecken liegen. Die WM-Strecken sind viel kaputter und viel tiefer ausgefahren.»
Aber die kaputten Strecken scheinen dir besser zu liegen?
«Ja, das stimmt, ich mag es eher kaputt als glatt.»
Das heißt, die glatteren amerikanischen Strecken wären dann gar nicht so dein Fall?
«Wobei diese Strecken ja auch schneller und weitläufiger sind. Das finde ich schon auch gut.»
Wie sieht dein Tagesrhythmus aus?
«Mein Tag beginnt hier im Autohaus um 9 Uhr. Wenn wenig los ist, gehe ich vormittags auch mal spontan trainieren, zum Beispiel Laufen oder Radfahren. Fahrradfahren mache ich meistens abends gemeinsam mit meinem Vater. Mein Vater versucht immer, zumindest am Sonntag beim Rennen zu sein. Ansonsten mache ich am Montag Regenerationstraining. Idealerweise früh eine halbe Stunde und abends eine halbe Stunde. Aber das schaffe ich neben dem Job oft nicht. Dann laufe ich eine Stunde am Stück. Am Dienstag gehe ich Schwimmen oder Fahrradfahren und am Mittwoch kommt das Fahrtraining auf dem Motorrad. Manchmal komme ich erst am Donnerstag zum Fahren. manchmal klappt es auch gar nicht. Und am Donnerstag oder spätestens Freitag geht es dann zu den Rennen. Als wir nach Spanien gefahren sind, habe ich während der Fahrt hinten auf dem Transporter auf dem Rad trainiert.»
Ich bin etwas überrascht, dass du in deinem Hauptberuf einen Autohandel betreibst, wäre es nicht naheliegender gewesen, dass du etwas mit Motorrädern machst?
«Autos werden immer gebraucht. Motorräder sind eher Luxusartikel.»