Scott Redding: Sind Gegner für Gerloff nur Objekte?
Ducati-Star Scott Redding
Wie sich Garrett Gerloff in seinem ersten WM-Jahr 2020 in der Weltspitze etabliert hat, ringt uns viel Achtung ab. Doch der Texaner balanciert am Limit, öfter geht er darüber hinaus. Inzwischen war er dreimal in Aktionen verwickelt, die das Rennen anderer Toppiloten ruiniert haben.
Im Oktober 2020 sah Gerloff in Magny-Cours in der ersten Kurve eine Lücke wo keine war, und beförderte Tom Sykes und Eugene Laverty ins Kiesbett. Die BMW-Piloten kamen von den Startplätzen 1 und 2, ihr restliches Wochenende war demoliert.
Die identische Aktion erlebten wir am vergangenen Sonntag im zweiten Hauptrennen in Assen, als Gerloff in der ersten Kurve den Führenden Toprak Razgatlioglu abräumte, der wie der Amerikaner bei Yamaha unter Vertrag steht.
In Estoril krachte Gerloff Ende Mai Ducati-Werksfahrer Michael Ruben Rinaldi vor Kurve 6 ins Heck, beide Fahrer stürzten spektakulär. Eine Woche davor wollte er sich in Aragon innen am Führenden Jonathan Rea vorbeipressen, doch da war kein Platz. Glück für Rea: Er pflügte ohne negativen Einfluss auf sein Ergebnis durchs Kiesbett, während Gerloff stürzte und trotzdem Siebter wurde.
«Als Garrett mich auf dem Weg zur ersten Kurve überholte, dachte ich nur, dass er nicht zu spät bremsen sollte», meinte Redding zu dem Unfall in Assen. «Ich war spät auf der Bremse und hatte Zweifel, dass ich es schaffe. Er bremste später als ich, das konnte niemals gutgehen. Danach fragte ich mich, was zum Teufel er da tut. Er riskiert alles in der ersten Kurve. Ist er dabei, um Rennen zu gewinnen? Oder will er die erste Kurve gewinnen? So etwas ist schlicht nicht notwendig, damit setzt er alle anderen einer Gefahr aus. Ich mag so etwas nicht. In der letzten Kurve, okay, da dürfen auch mal die Lenker aneinander krachen. Aber mit so einer Aktion in der ersten Kurve gibst du nicht mal dir selbst eine Chance, das kostet dich das Rennen. Und unglücklicherweise gibt es auch noch einen Leidtragenden.»
«Wenn ich als Führender in die erste Kurve einbiege, hoffe ich jedes Mal, dass bloß keiner von hinten kommt», ergänzte der Engländer. «So sollte Rennsport nicht sein, aber so ist er. Wir sind Weltklassefahrer und müssen uns fragen, ob wir es durch die erste Kurve schaffen – das ist wie in Moto3. Aber wir fahren große Motorräder. Einige haben ein schlechtes Wochenende und wollen so einen großen Schritt nach vorne machen, dafür pokern sie. So ein Poker geht aber nicht immer auf. Einige Fahrer sollten manchmal etwas mehr mitdenken, ich bin auch nicht überaggressiv in die erste Kurve hinein. Wenn ich in einer dominierenden Position bin, dann fahre ich zu. Aber ich mag es nicht, wenn die Leute von hinten angeschossen kommen.»
Nach jedem Vorfall wurde Gerloff ins Gebet genommen, in Aragon, Estoril und Assen zeigte er auch jeweils ehrliche Reue und entschuldigte sich öffentlich. Doch inzwischen fürchten sich die Gegner vor seiner nächsten Harakiri-Aktion.
«Für mich ist das eine Frage des Respekts», betonte Redding. «Ich respektiere jeden, mit dem ich Rennen fahre. Ich kenne die Gefahren dieses Sports, ich weiß nicht, ob das andere auch tun. So eine Aktion zeugt nicht von Respekt, da steckt keine menschliche Emotion dahinter. Mir ist bewusst, dass Menschen auf diesen Motorrädern sitzen. Ich frage mich, ob solche Fahrer die Gegner als Menschen oder als Objekte sehen. Deshalb mag ich es, mit Jonathan Rea zu fahren, er hat dasselbe Verständnis wie ich. Er fährt hart, aber immer mit Respekt. Toprak fehlt dieser Respekt ab und zu. Gerloff hat keinen Respekt. Ich verurteile sie nicht, weil sie schlechte Fahrer sind, sie sind erstaunliche Piloten. Das Problem ist, was bei solchen Aktionen rauskommen kann. Sie müssen ruhiger werden. Aber wie macht man das? Sie bekommen Strafen, lernen aber nichts daraus.»
Der Vizeweltmeister weiter: «Ich mag Gerloff, wir kommen sehr gut miteinander aus. Aber wenn er den Helm aufzieht, frage ich mich öfter, was er da tut. Er riskiert viel. Im ersten Jahr kann man das noch hinnehmen, da war er ein Rookie. Aber in seinem zweiten Jahr hat er mehr angestellt als letztes Jahr, und die Saison ist erst zur Hälfte gelaufen. Wir sollten schauen, dass wir alle durch die erste Kurve kommen, dann können wir Rennen fahren. Punkte bekommt man erst nach 21 Runden, nicht in Kurve 1. Klar kann man dort etwas gutmachen. Das steht aber in keinem Verhältnis zu dem, was man verlieren kann. Ich scheue vor keinem guten Kampf zurück, ich liebe das. Aber ich versuche, immer sauber zu fahren und Respekt zu zeigen. Rennunfälle können passieren. Aber wenn immer die Gleichen darin verwickelt sind, sollten sie darüber nachdenken.»