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Sofuoglu erteilte Can Öncü eine Lektion fürs Leben

Von Stephan Moosbrugger
Can Öncü (li.) und Kenan Sofuoglu

Can Öncü (li.) und Kenan Sofuoglu

Junge Motorradsport-Talente müssen stets gute Leistungen zeigen, um voranzukommen. Dass er ein privilegiertes Leben führt, musste Supersport-Ass Can Öncü (Kawasaki) erst klargemacht werden.

Die Karriere von Motorradsport-Talenten beginnt bereits im Kindesalter. Familien investieren viel Zeit und Geld, um ihre Träume zu verwirklichen, damit die Sprösslinge vielleicht einmal in die Fußstapfen ihrer Helden wie Valentino Rossi oder Jonathan Rea treten können.

Eine der schwierigsten Zeiten in ihrer Entwicklung erfahren Nachwuchsrennfahrer an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Prioritäten verschieben sich, neben der Rennstrecke sind auf einmal andere Dinge interessant – wie Partys feiern oder neue Hobbys. Die Konsequenz daraus: die Leistungen stagnieren oder verschlechtern sich sogar.

Einer, der diese Erfahrung letztes Jahr gemacht hat, ist Supersport-WM-Fahrer Can Öncü (Kawasaki). Er galt als eines der vielversprechendsten Talente im Motorradsport. 2018 gewann er den Red Bull Rookies Cup, trat am Saisonende mit einer Wildcard beim Valencia-GP in der Moto3-WM an und wurde mit 15 Jahren und 115 Tagen der jüngste Sieger. Für die folgende Saison wurde Öncü im KTM-Werksteam von Aki Ajo untergebracht, blieb mit Gesamtrang 31 aber weit hinter den Erwartungen.

Sein Manager Kenan Sofuoglu, der auch Superbike-Ass Toprak Razgatlioglu (Yamaha) betreut, transferierte Öncü für 2020 in die Supersport-WM, wo er seither für das Kawasaki-Team von Manuel Puccetti fährt. Der ursprüngliche Plan von Sofuoglu sah vor, dass Öncü spätestens im dritten Jahr Champion wird und dann in die Superbike-WM aufsteigt.

Die Saison 2022 beendete Öncü auf dem dritten Gesamtrang, hinter dem Yamaha-Duo Dominique Aegerter und Lorenzo Baldassarri. Im vergangenen Jahr erlebte der 19-Jährige eine schwierige Phase – von Estoril Ende Mai bis Barcelona Ende September hat er es nicht aufs Podium geschafft.

Als Hauptproblem für die schlechten Leistungen von Öncü machte Mentor Sofuoglu fehlende Motivation aus. Der fünffache Supersport-Weltmeister hatte damals sogar verlauten lassen, dass er mit Öncü nicht weitermachen würde, wenn dessen Resultate nicht besser werden und er seine Einstellung nicht ändert. Auch Kawasaki verlor immer mehr das Interesse am einstigen Talent. «Wenn ein sehr talentierter 19-Jähriger langsamer statt schneller wird, dann sind ihm andere Dinge wichtiger als sein Beruf und er hat nicht verstanden, wie dieser funktioniert. Mit 18 oder 19 muss man an seinen Aufgaben wachsen und immer schneller werden. Can wird aber immer langsamer», kritisierte Sofuoglu damals.

Um dem Nachwuchstalent zu zeigen, welch privilegiertes Leben er als Motorradrennfahrer führt und wo sein Fokus liegen sollte, hat Sofuoglu seinem Schützling 2022 den Urlaub in der Sommerpause gestrichen und ihn zum Arbeiten verdonnert.

«Wir hatten schlechte Ergebnisse und haben kein gutes Set-up gefunden», schilderte Öncü beim Treffen mit SPEEDWEEK.com. «Das wirkte sich auf meine Motivation aus. Danach bin ich mit Kenan zusammengesessen. Er ist wie ein großer Bruder für mich und nicht nur mein Manager. Als er jung war, hatte auch er schwierige Zeiten und hat immer einen Weg zurückgefunden. Er wollte mir das auch beibringen. Gleich am Montag, nachdem wir Ende Juli das letzte Rennen vor der Sommerpause hatten, habe ich begonnen zu arbeiten. Ich habe eine Woche lang in einem Lokal Gästen Tee serviert. Die ersten Tage habe ich mir gedacht, ‚warum mache ich so etwas? Ich fahre in der Weltmeisterschaft, fahre gute Ergebnisse ein, in der Moto3 habe ich einen Rekord geschafft und ich komme hierher und jeder sagt zu mir, bring mir einen Tee.‘ Nach drei Tagen verstand ich es und ich dachte mir, ‚weshalb beschwere ich mich?‘ Jeder andere tut das, um Geld zu verdienen. Und ich mache das nur eine Woche lang, um zu lernen, wie das richtige Leben funktioniert. Nach dieser Woche habe ich verstanden, dass dieses Leben wirklich hart und mein Job richtig schön ist.»

Die Lektion war für Öncü nach dieser Woche aber nicht vorbei: «Danach habe ich einen Monat lang auf einer Baustelle gearbeitet. Du arbeitest von 7 Uhr morgens bis 6 Uhr abends, das ist wirklich hart. Das öffnete mir die Augen. Ich gehe trainieren, fahre Motorrad, genieße den Tag. Ich fahre Rennen in all diesen Ländern und genieße das Leben.»

Diese lehrreiche Erfahrung hat sich in guten Ergebnissen im Herbst 2022 niedergeschlagen. Öncü hat auch das Vertrauen in seine Kawasaki wiedergefunden. Und er weiß jetzt, dass sein Traum in diesem hart umkämpften Umfeld schnell vorbei sein kann, wenn er die geforderten Resultate nicht einfährt: «Vor der Sommerpause habe ich Kawasaki nicht viel zugetraut und nicht mehr an uns geglaubt. Nach diesen Jobs im Sommer sagte ich zu mir, ‚wenn ich jeden Tag zwölf Stunden arbeiten kann, dann können wir es auch wieder aufs Podium schaffen. Du hast diese Chance nur einmal im Leben. Wenn du nicht gut bist, wird niemand mehr zu dir hallo sagen. Aber wenn du gut bist, grinst dich jeder an.‘ Das ist die Realität des Jobs als Motorradrennfahrer.»

Wäre Öncü heute in einer anderen Situation, wenn er das früher verstanden hätte? «Ich bin jetzt 19 Jahre alt. Wenn ich diese Fehler nicht begangen hätte, dann hätte ich sie später gemacht. Ich habe sie gemacht, als ich jung war. Jetzt kann ich mich mehr auf das Wesentliche konzentrieren.»

In der laufenden Saison 2023 hat Öncü in Mandalika sein erstes Rennen in der Supersport-WM gewonnen und gehörte zu den Titelkandidaten. Dann wurde er in Assen von Yari Montella (Barni Ducati) abgeschossen und ist seither verletzt. Er hat sich mehrfach den linken Arm gebrochen, dabei wurde ein Nerv beschädigt und Lähmungen traten auf.


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