Über Zhou Guanyu
Ma Qing Hua war 2012 der erste Chinese, der an einem Formel-1-GP-Wochenende teilnahm (Freitagtraining für das Hispania Racing Team in Monza). Der grosse Durchbruch kam nie, nach Formel-E-Rennen 2016 bis 2018 verschwand Hua in der Versenkung.
Ho Pin Tung war 2010 Teil der Renault-Nachwuchsförderung. Tung fuhr 2003 in der asiatischen Formel BMW und wurde überlegener Meister (10 Siege in 14 Rennen, 13 Mal auf dem Podest). Als Belohnung für seinen Titelgewinn durfte er einen Williams testen – als erster Chinese in einem Formel-1-Renner. Weil Ho-Pin jedoch nicht in China geboren wurde, erachteten ihn viele Chinesen nicht als echten Landsmann. Tung schaffte den internationalen Durchbruch ebenfalls nicht und fuhr zuletzt jahrelang im asiatischen Porsche Carrera Cup sowie in den Asian Le Mans Series.
Guanyu Zhou aus Shanghai ist ein anderes Kaliber. Jahrelang wurde der Chinese gezielt gefördert, ab 2014 als Nachwuchsfahrer von Ferrari. Die Italiener waren letztlich nicht restlos überzeugt und entliessen ihn 2018 aus der Förderung, Renault sagte «merci» und unterstützt den Chinesen seit 2019.
Dabei hatte Zhou in allen Nachwuchsserien als Sieger überzeugt: in der italienischen Formel 4 des Jahres 2015 (Gesamtzweiter), in den Toyota Racing Series 2016, in der europäischen Formel 3 (2016 bis 2018).
Renault setzte Zhou wiederholt in den GP-Renner und förderte den Schritt in die Formel 2. 2021 wurde Zhou Gesamtdritter, aber längst war klar – Renault, nunmehr unter der Bezeichnung Alpine in der Königsklasse, hat ein Luxusproblem. Die Franzosen wusste nicht, wohin mit ihren Nachwuchsfahrern.
Daher wurden die Weichen gestellt, damit aus einem Alpine-Reservisten Zhou ein Alfa Romeo-GP-Pilot Zhou wird. Guanyu wurde in seinem ersten Grand Prix auf Anhieb Zehnter und eroberte einen WM-Punkte, später legte er als Achter in Montreal und erneut Zehnter in Monza nach. Damit wurde der WM-18.
Aber weltweite Schlagzeilen machte Zhou mit einem spektakulärem Unfall beim britischen Grand Prix in Silverstone. Alfa Romeo-Teammanager Beat Zehnder über den Unfall: «Zhou machte einen ganz normalen Start und blieb auf seiner Seite. Latifi erspähte eine Lücke und stach zwischen Russell und Zhou durch.»
Hinter Latifi lag AlphaTauri-Fahrer Pierre Gasly, der in die gleiche Lücke stiess. Zehnder weiter: «Russell begann, diese Lücke zu schliessen, das Auto bewegte sich leicht nach links, es kam zu einer Berührung zwischen ihm und Gasly. Dadurch begann sich der Mercedes zu drehen, in den Weg von Zhou.»
Der Alfa Romeo des Chinesen wurde ausgehebelt und rutschte gut 200 Meter weit, kopfüber, funkenschlagend über den Asphalt, dann ins Kiesbett, wo sich der Wagen erneut überschlug und dann zum Entsetzen der Fans über die Reifenstapel katapultiert, zum Glück aber von einem Fangzaun gebremst wurde.
Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte dieser Fangzaun das fast 800 Kilogramm schwere Rennauto nicht gehalten. Der Wagen flog hoch genug, um mitten in der Tribüne zu landen!
Der Wagen mähte einen Lautsprechermasten nieder und blieb eingeklemmt zwischen Zaun und Leitschiene hinter den Reifenstapeln liegen. Das machte es Formel-1-Arzt Dr. Ian Roberts und seinem Team so schwer, zum Piloten zu gelangen.
Beat Zehnder: «Die Entscheidung, die Formel-1-Autos Anfang 2018 mit dem Kopfschutz Halo auszurüsten, war goldrichtig.»
Guanyu Zhou: «Es war ein ziemlich übler Unfall, und ich bin froh, dass ich okay bin. Die Arbeit der Streckenposten und des medizinischen Teams war fantastisch. Ich bin auch der Arbeit der FIA und der Formel 1 in Sachen Sicherheit dankbar. Der Halo hat mich heute gerettet, dessen bin ich mir ganz sicher.»
Tatsächlich zeigen Bilder: Der Halo rettete Zhou gleich mehrfach – beim Überschlag, beim Dahinrutschen auf dem Asphalt, beim Einschlag, als der Wagen zwischen Zaun und Leitschiene eingeklemmt wurde. Der Titanbügel schützte Zhou vor den Kanten der Leitplanken-Stützpfeiler.
Zhou über seinen Höllenritt: «Zunächst spürte ich einen Schlag, ich wusste nicht mal, wer mich berührt hatte. Als der Überschlag begann, nahm ich meine Hände vom Lenkrad. Denn ich wusste, früher oder später werde ich wo einschlagen, und dann kannst ganz leicht ein verletztes Handgelenk zuziehen.»
«Dann rutschte ich eine ziemlich lange Zeit kopfüber auf dem Asphalt und ich merkte – das Auto wird nicht langsamer, also wird der Einschlag ziemlich übel sein. Ich versuchte, mich im Auto so klein als möglich zu machen. Ich versuchte, meine Hände und Arme so nahe am Körper zu halten wie möglich, damit sie beim kommenden Aufschlag nicht unkontrolliert herumgeschlagen werden.»
«Als der Wagen liegenblieb, wusste ich nicht, wo ich war. Ich spürte Flüssigkeit an meinem Bein, und mir war nicht klar – ist das mein Blut oder kommt das vom Auto?»
«Der Motor lief noch immer! Also schaltete ich das Triebwerk aus. Meine grösste Angst war Feuer. Ich war mir noch immer nicht ganz bewusst, wie seltsam eingeklemmt mein Auto liegt, aber ich wusste: Wenn es zu brennen beginnt, dann wird es ganz schwierig, schnell aus dem Wagen zu kommen.»
«Wo der Wagen wirklich lag, das merkte ich erst später, als ich Bilder vom Unfall sah.»
Wie kam Zhou aus dem Wagen? «Sagen wir, ich schlängelte mich aus dem Wagen, die Streckenposten und das medizinische Personal halfen mir. Der erste Streckenposten am Wagen sprach mich an, ob alles okay sei, und ich zeigte ihm den Daumen hoch. Daraufhin zeigte er oben auch den Daumen hoch.»
«Mir ist klar, dass ich riesiges Glück hatte. Der Halo hat mein Leben gerettet. Am Montag nach dem Rennen fühlte ich mich ein wenig steif, mit einigen Prellungen. Aber heute fühle ich mich ganz normal.»
Guanyu sagt: «Am schlimmsten fand ich nach dem Crash, dass meine ganze Familie da war. Meine Mutter begleitet mich oft, aber mein Vater und meine Schwester sind nur selten vor Ort. Und sie mussten das alles durchleben. Es tut mir leid, dass ich ihnen so viel Angst gemacht habe.»
Wie verbrachte der Chinese den Sonntagabend nach dem Horror-Unfall? Guanyu beginnt zu lachen: «Ich bin falsch abgebogen und stand auf der M1 in einem Stau. Es war ein wenig bizarr – von einem Highspeed-Crash mit einem Formel-1-Rennwagen zum Stillstand mit Tausenden von Fans in einen Stau.»
2023 errang Zhou WM-Schlussrang 18, dank dreier neunter Ränge in Australien, Spanien und Katar. 2024 war der Chinese der einzige Fahrer von Sauber, der punkten konnte – als Neunter erneut in Katar. Aber zu diesem Zeitpunkt wusste er längst, dass seine Zeit bei Sauber ablaufen würde. Audi hatte keine Lust, ihm einen neuen Vertrag zu geben.
Niemanden im Fahrerlager wundert das: Zhou wirkte über weite Strecken der Saison lustlos, bisweilen überfordert, und dass er einige Male schneller war als sein Stallgefährte Valtteri Bottas, war unterm Strich auch keine Hilfe.
Für Zhou blieb Rang 8 in Kanada 2022 das beste Ergebnis seiner Formel-1-Karriere. Oder doch nicht? Seit der Verkündung des Einstiegw von Cadillac bzw. General Motors bzw. Andretti für 2026 wird Zhous Name immer wieder mit dem elften Team der Formel 1 in Verbindung gebracht.
Schon im Herbst 2024 deutete sich an – der Weg von Zhou könnte zurück zu Ferrari führen. Vor dem GP-Wochenende von Katar sagte der einzige chinesische Grand-Prix-Pilot: «Verhandlungen mit mehreren Teams laufen, und Ferrari hat grosses Interesse an mir. Wir prüfen derzeit, welche Möglichkeiten uns offenstehen.»
Am 5. Februar 2025 wurde von Ferrari die Rückkehr von Zhou bestätigt.
Ferrari brauchte einen neuen Reservisten, denn der langjährige Fahrer Robert Shwartzman sucht sein Glück 2025 in der IndyCar-Serie. Zhou ist in Maranello nun zweiter Reservist ironischerweise neben jenem Piloten, der für den Chinesen bei Sauber gehen musste – Antonio Giovinazzi. Der nimmt auch 2025 an Langstreckenrennen teil und steht nicht immer zur Verfügung.