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Estland: Ford hofft auf Aufschwung Ost

Von Toni Hoffmann
Rallye-Weltmeisterschaft setzt die seit März unterbrochene Saison mit einem umfassend überarbeiteten Kalender am kommenden Wochenende in Estland fort

M-Sport Ford schickt drei Fiesta WRC für Esapekka Lappi/Janne Ferm, Teemu Suninen/ Jarmo Lehtinen und Gus Greensmith/Elliott Edmondson anden Start. 17 Hochgeschwindigkeits-Wertungsprüfungen über insgesamt 234 Kilometer, gespickt mit zahlreichen Sprungkuppen

Nahezu sechs Monate hat die Zwangspause angedauert, jetzt beginnen sich auch in der Rallye-Weltmeisterschaft die vier angetriebenen Räder endlich wieder zu drehen: Wenn am kommenden Wochenende das Team M-Sport Ford mit gleich drei Fiesta WRC bei der WM-Rallye Estland an den Start geht, dann kehrt für die weltbesten Schotterakrobaten ein stückweit die Normalität zurück. Obwohl vieles anders sein wird: Die Corona-Pandemie wirkt sich auch auf den Rallye-Sport aus. Sie hat zum Einen den WM-Kalender auf den Kopf gestellt. Klassiker wie die Rallye Finnland, die Rallye Deutschland oder die Wales-Rallye Großbritannien wurden abgesagt, neue Events rückten nach. So wie ab Freitagabend die Rallye Estland in der Heimat des aktuellen Champions Ott Tänak, die Rallye Türkei am letzten September-Wochenende oder auch die «Ypern» im Rallye-begeisterten Belgien, die im November ihr Debüt als WM-Lauf feiert. Auf der anderen Seite musste auch das Veranstaltungskonzept angepasst werden, um eine Weiterverbreitung des Virus zu verhindern. Alle Teams arbeiten im Service-Park strikt getrennt voneinander in Gruppen, nach einer Auftakt-Wertungsprüfung (WP) konzentriert sich das Rallye-Geschehen auf nur noch zwei Tage und die vorgesehene Gesamtdistanz der 17 WP sank von über 300 auf knapp 234 Kilometer. Dem wilden Quertreiben auf den Pisten rund um die pittoreske 100.000-Einwohner-Universitätsstadt Tartu, die sich 2024 als Kulturhauptstadt Europas präsentieren wird, dürfen nicht mehr als 16.000 Zuschauer beiwohnen - ein harter Schlag für die begeisterten Rallye-Fans aus dem nördlichsten der drei Baltenstaaten. Estland ist übrigens das 33. Land, in dem die Rallye-WM seit 1973 gastiert.

Der Charakter der Rallye Estland ähnelt sehr dem «Großen Preis von Finnland», wie der WM-Lauf im benachbarten Land der 1000 Seen scherzhaft auch genannt wird: Sehr schnelle Schotterpassagen führen durch dichte Waldgebiete und über anmutig modellierte Sprungkuppen, auf denen die rund 380 PS starken Turbo-Allradler von Esapekka Lappi/Janne Ferm, Teemu Suninen/Jarmo Lehtinen und Gus Greensmith/Elliott Edmondson immer wieder zu respektablen Flugeinlagen abheben. Viele Streckenabschnitte sind nicht einsehbar, was einem funktionierenden Aufschrieb - mit dem der Copilot seinen Fahrer über den weiteren Streckenverlauf informiert - nochmals größere Bedeutung verleiht. Zumal nur einige Teilnehmer, von Lokalmatadoren mal abgesehen, nennenswerte Erfahrungen mit dieser Veranstaltung vorweisen können. Anmerkung am Rande: 27 der insgesamt  59 genannten Rallye-Fahrzeuge stammen von Ford, darunter auch fünf der insgesamt 13 World Rally Cars.

«Großartig, dass es endlich wieder losgeht», zeigt sich M-Sport-Teamchef Richard Millener erleichtert. «Ich habe die Action so sehr vermisst, dass ich vergangene Woche bei unserer Veranstaltung, M-Sport Return to Rally Stages' in Greystoke selbst ins Lenkrad gegriffen habe! Das hat viel Spaß gemacht, auch wenn mir dies wieder vor Augen geführt hat, auf welchem enorm hohem Niveau unsere Fahrer ihre Autos bewegen. Die Rallye Estland dient als Blaupause für künftige Rallye-WM-Läufe. Die Organisatoren haben einen fantastischen Job gemacht, um eine sichere und erfolgreiche Durchführung zu garantieren. Leider konnten wir im Vorfeld nicht so ausführlich testen wie andere Teams, dennoch fühlen sich unsere drei Fahrzeugbesatzungen gut vorbereitet."

Für Esapekka Lappi stellt die Rallye Estland bekanntes Terrain dar: Der Finne war im Vorjahr bereits bei dem Probelauf am Start, mit dem sich die Veranstaltung für die Aufnahme in den WM-Kalender beworben hat. Dabei gelang dem Finnen der Sprung aufs Podium. Fremd sind ihm die Prüfungen auch deswegen nicht, da sie jenen in seinem Heimatland sehr ähneln. Anfang August hat der 29-Jährige zudem die Louna-Eesti Ralli mit einem privaten Fiesta WRC bestritten. Darauf will er zusammen mit Beifahrer Janne Ferm nun aufbauen.

«Das war eine ganz schön lange Unterbrechung für uns», betont Lappi. «Ich kann es kaum erwarten, wieder am Steuer der Topversion des Fiesta World Rally Car von M-Sport zu sitzen. Die Strecken in Estland sind wirklich schön und vergleichbar mit denen bei uns in Finnland. Mitunter geht es hier sogar noch schneller zu - das ist also eine ziemliche Vollgasveranstaltung! Leider konnten wir nicht so viel testen wie andere. Umso wichtiger war es, dass ich mich im Vorfeld bei einer kleineren Rallye in Estland schon einmal etwas eingeschossen habe. Jetzt kommt es darauf an, möglichst schnell wieder Bestform zu erreichen.»

Für Teemu Suninen ist die Rallye Estland so etwas wie ein Heimspiel: Der 26-Jährige wohnt seit kurzem in dem Baltenstaat. Zum Aufwärmen nach der langen Pause hat sich der Finne ans Steuer eines Ford Fiesta R2 gesetzt und ebenfalls die Rallye Louna-Eesti bestritten sowie einen Tag lang mit dem Fiesta WRC in Greystoke getestet.

«Während des Lockdowns habe ich viel im Rallye-Simulator gesessen und mir so die Zeit vertrieben», verrät der Youngster. «Aber jetzt bin ich bereit, wieder mit dem echten WRC auf die Strecken zu gehen. Die lokale Veranstaltung mit dem Fiesta R5 war eine gute Erfahrung, denn ich habe diesen Einsatz komplett selbst organisiert. Dabei wurde mir wieder klar, wie groß der Aufwand ist, den M-Sport hinter den
WM-Kulissen betreibt - unglaublich, an wie viele Dinge gedacht werden muss! Die Prüfungen hier in Estland sind richtig schnell.»

Der 23-Jährige Nachwuchsfahrer Guy Greensmith aus Manchester setzt in Estland seine erste volle Rallye-WM-Saison in der WRC-Klasse fort - und muss als Neuling dabei einmal mehr mit fehlender Streckenkenntnis kämpfen. Entmutigen lässt sich Greensmith davon nicht. Bei einem zweitägigen Test mit dem Fiesta WRC in Greystoke konnte der Brite seine Reflexe entstauben und sich wieder an das enorme Tempo mit dem Turbo-Allradler gewöhnen.

«Ich hatte fast schon vergessen, wie viel Spaß es bringt, bei diesem Auto das ,laute' Pedal voll durchzudrücken», grinst Greensmith. «In Estland kommt es für mich und meinen Beifahrer Elliott Edmondson in erster Linie darauf an, weiter dazuzulernen. Die Rallye ist für mich neu und ich habe gehört, dass die Prüfungen wirklich unglaublich sein sollen. Wir werden uns ganz auf uns selbst konzentrieren und einfach versuchen, uns von WP zu WP zu steigern.»

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