Rovanperä: 2022 das Jahr des jüngsten Weltmeisters
Kurze Rückblende: Am Sonntag, 2. Oktober 2022, schreibt ein junger Finne im neuseeländischen Auckland beim drittletzten Lauf zur Rallye-Weltmeisterschaft auf der anderen Seite der Erdkugel Geschichte. Mit seinem sechsten Saisonsieg im Toyota GR Yaris Rally1 und seinem achten Gesamttriumph krönt sich Kalle Rovanperä beim drittletzten Saisonlauf in Neuseeland einen Tag nach seinem 22. Geburtstag zum jüngsten Weltmeister aller Zeiten.
Doch wer ist dieser Rallye-Überflieger aus Jyväskylä?
Red Bull hat seinen Weg nachgezeichnet. Als Sohn von Harri Rovanperä, der 2001 im Werks-Peugeot 206 WRC in Schweden seinen einzigen WM-Sieg erzielte, wuchs Kalle Rovanperä quasi am Steuer eines Rallyeautos auf. Sein Talent hat er von seinem Vater Harri geerbt. Rovanperä fuhr bereits im zarten Alter von 3 Jahren mit Motorrad und Buggy durch die Gegend. Mit 6 Jahren lernte er Autofahren, und mit 8 Jahren pflügte er mit von seinem Vater speziell umgebauten Fahrzeugen durch die finnischen Wälder.
Schneller Lerner: Die Kindheit von Kalle Rovanperä
So wie Max Verstappen von seinem Vater Jos gefördert wurde und bereits als Kind stundenlang Trainingsrunden absolvierte, wuchs Rovanperä damit auf, mit Powerslides über den Kies zu gleiten und ein Gefühl für das Gaspedal zu bekommen.
Es dauert Jahre, bis ein Rallyefahrer die Fähigkeit entwickelt, mit 200 km/h über Asphalt, Schotter und Eis zu fahren. Der Rekord, den Rovanperä als jüngster WRC-Weltmeister brechen könnte, wurde 1995 von Colin McRae aufgestellt, als der Schotte 27 Jahre alt war. Zum Vergleich: Die beiden erfolgreichsten Piloten aller Zeiten, Sébastien Loeb und Sébastien Ogier, gewannen ihre erste Meisterschaft erst mit 30 bzw. 29 Jahren.
Zum Fahren geboren
Rallyefahrer müssen ein tiefes Verständnis für ihr Fahrzeug, den Untergrund und die Streckenführung haben. Wie ein Formel-1-Pilot müssen sie außerdem genaues Feedback geben können, um die Mechaniker des Teams dabei zu unterstützen, das Auto genau auf ihre Bedürfnisse einzustellen. Der große Unterschied zur Formel 1 ist, dass eine F1-Strecke fast immer konstant bleibt, während Rallyepiloten bei jedem Wetter auf festen, schlammigen, staubigen oder gefrorenen Oberflächen fahren und ständig auf wechselnde Verhältnisse durch andere Fahrer reagieren müssen. Dank seines frühen Starts begann Rovanperä mit der Entwicklung dieser außergewöhnlichen Fähigkeiten noch bevor die meisten von uns Fahrrad fahren konnten.
Sein Vater Harri
Der Vater von Kalle Rovanperä, Harri "Rovis" Rovanperä, fuhr zwischen 1993 und 2006 in der WRC für SEAT, Peugeot, Mitsubishi und das von Red Bull unterstützte Team von Skoda. Harri war bekannt für seine herausragenden Fähigkeiten auf Schotter.
«Er war mein erster Mentor. Er hat mir beigebracht, dass das Auto ein Lenkrad, ein Gaspedal und eine Kupplung hat. Dann hat er mir gesagt, ich solle einfach losfahren», sagt Rovanperä. Sein Vater war aber nicht der einzige, der Kalle sportlich betreute und förderte. Harri holte auch Freunde von ihm zur Hilfe, wie zum Beispiel seinen ehemaligen Co-Piloten Risto Pietiläinen.
Seine Mutter Tiina
Wie die Mutter von Max Verstappen, Sophie Kumpen, weiß auch Rovanperäs Mutter Tiina, dass vieles vom außergewöhnlichen Talent ihres Sohnes von ihr stammt.
«Konzentrationsfähigkeit zu erlernen ist extrem schwierig. Entweder wird man damit geboren oder nicht», sagte sie der finnischen Tageszeitung Ilta-Sanomat. «Kalle lässt sich von äußeren Einflüssen nicht aus der Ruhe bringen und ist in der Lage, auf Dinge schnell zu reagieren.»
Als Mutter eines Rallyefahrers macht sich Tiina natürlich auch Sorgen um ihren Sohn. «Mittlerweile kommt sie besser damit klar, aber ich weiß, dass sie sich während der Rallyes Sorgen um mich macht. Ich betreibe Motorsport. Da kann alles passieren», meint Rovanperä.
Die Entdeckung von Kalle Rovanperä
Die rutschigen Straßen Finnlands und die Gelassenheit unter Druck sind wohl die zwei wichtigsten Zutaten, die große Fahrer wie die F1-Weltmeister Kimi Raïkkönen, Mika Häkkinen und Keke Rosberg hervorgebracht haben. In der Welt des Rallyesports ist die Liste noch viel länger: Marcus Grönholm, Tommi Mäkinen, Juha Kankkunen und viele andere stammen aus Finnland.
Aufgewachsen in Puuppola, etwas außerhalb von Jyväskylä, Austragungsstätte der Rallye Finnland, wurde Rovanperä bereits früh entdeckt. Zunächst durch einen YouTube-Clip aus dem Jahr 2009, der den begabten Achtjährigen am Steuer eines Toyota Starlet zeigte, als er gerade durch verschneite Wälder raste. Der Clip ging damals im WRC-Fahrerlager viral.
Puuppola selbst ist eine Brutstätte für Rallye-Talente und die Heimat von Tommi Mäkinen, der Rovanperä bei Toyota Gazoo Racing unter Vertrag nahm, und Timo Jouhki - dem legendären Fahrermanager, der die Karrieren von Mäkinen, Kankkunen und einem gewissen Harri Rovanperä lenkte. Kalle Rovanperä managt er, seit Kalle 16 Jahre alt ist.
Rovanperä und die ersten Titel
Mit 12 Jahren war Rovanperä ready-to-race! Das einzige Problem war nur, dass man in Europa einen Führerschein braucht, um bei einer Rallye zu fahren. Überall, außer in Lettland. Deshalb machte sich der Youngster auf nach Lettland, um dort bei Rallye-Sprintrennen mitzufahren. Zwischen den Etappen setzte sich Risto hinter das Steuer des Skoda Fabia S2000.
Im Alter von 15 Jahren wurde Rovanperä R2-Meister in Lettland. Im Jahr darauf krönte er sich im Cockpit des leistungsstärkeren Skoda Fabia R5 zum jüngsten nationalen Rallye-Champion der Welt. 2017 konnte er diesen Titel verteidigen. In diesem Jahr nahm er auch an der italienischen Rallye-Meisterschaft teil und gewann zwei Rallyes in der finnischen Rallye-Meisterschaft.
Endlich Rennlizenz
Am 2. Oktober 2017, einen Tag nach seinem 17. Geburtstag, bestand Rovanperä wenig überraschend seine Fahrprüfung und konnte nun endlich auf der Weltbühne antreten.
Nur drei Wochen später nahm er mit dem M-Sport-Team von Malcolm Wilson an der Rallye von Großbritannien teil, wo er erstmals mit seinem Co-Piloten Jonne Halttunen fuhr. Bei der letzten Rallye der Saison in Australien wurde Rovanperä zum jüngsten Fahrer, der eine WRC2-Etappe gewann.
Mit Vollgas in die WRC2 und auf die Weltbühne
2018 verpflichtete Skoda Rovanperä als Werksfahrer für die WRC2 mit Halttunen an seiner Seite. Die erste Saison war hart für den Rookie, immerhin musste er sich nun gegen erfahrene Profis wie Jan Kopecky und Pontus Tidemand beweisen. Bei seinem zweiten Anlauf in Argentinien übernahm der junge Finne sogar die Führung, schied dann aber am letzten Tag spektakulär aus. Bei 160 km/h verlor in einer engen Linkskurve die Kontrolle über das Auto, segelte von der Straße und landete auf dem Dach eines geparkten Autos neben der Strecke. «Es war ein schwerer Crash und es war ganz klar mein Fehler. Ein bitteres Ende für eine eigentlich gute Rallye!»
Aber Rovanperä kehrte schon bald zurück und holte in Großbritannien und Spanien zwei Siege, was schließlich Platz 3 in der Fahrerwertung bedeutete. 2019 krönte sich der Finne zum jüngsten WRC-Titelsieger, als er den ersten WRC2-Pro-Titel holte und die Konkurrenz mit fünf Siegen, darunter erneut bei der Rallye GB und sein erster Sieg bei der Rallye Finnland, buchstäblich überrumpelte.
Rovanperä setzt neue WRC-Maßstäbe
Im Jahr 2020 gab Rovanperä mit Toyota sein Debüt in der Königsklasse und ging sofort auf Rekordjagd: Er wurde zum jüngsten WRC-Piloten aller Zeiten und bei seinem erst zweiten Rennen in Schweden wurde er zum jüngsten Piloten, der es in der Geschichte der WRC aufs Podium schaffte, mit exakt 19 Jahren und 139 Tagen.
In seiner ersten Saison bekam er es mit der absoluten Weltspitze zu tun, was seine Leistungen noch beeindruckender macht. Rovanperä war Teamkollege von Sébastien Ogier und Rallye-Sieger Elfyn Evans. Im Hyundai-Team stand er an der Seite von Ott Tänak und Thierry Neuville, sowie Sébastien Loeb und Dani Sordo. Leider wurde die Saison durch die Pandemie unterbrochen und auf sieben Runden begrenzt.
Der erste WRC-Sieg
Mit Jari-Matti Latvala, der Mäkinen als Teamchef bei Toyota ablöste, begann die Saison 2021 vielversprechend mit einem zweiten Platz bei der Arctic Rallye in Rovaniemi.
Bei der Rallye Estland gelang Rovanperä dann der endgültige Durchbruch! Tänak gab, wie schon in Rovaniemi, das Tempo vor und wollte um jeden Preis auf heimischem Boden gewinnen, doch nach einer Reihe von Reifenschäden musste er aufgeben. Rovanperä nutzte die Chance und übernahm die Führung. Mit all seinem Geschick musste er sich gegen die Attacken vom angriffslustigen Craig Breen zur Wehr setzen, um schließlich seinen ersten Sieg in der WRC zu erobern.
Mit diesem Sieg wurde Rovanperä der jüngste Rallye-Sieger (20 Jahre und 290 Tage) in der Geschichte der WRC. «Es war eine schwierige Saison und es ist einfach wunderschön, dass ich hier in Estland meinen ersten Sieg feiern darf», sagte Rovanperä.
Aber der Überflieger aus Finnland war noch nicht fertig: Mit seinem Triumph bei der Rallye Griechenland setzte er noch einen drauf und beendete die Saison schließlich als Gesamtvierter.
Sein bisher bester WRC-Sieg
In der 50. Saison der Rallye-WM wurde eine neue Generation von Rallye-Autos vorgestellt und eingeführt, die Rally1-Autos mit Hybridantrieb, die preiswerter und umweltfreundlicher sind. Bei der Rallye Monte Carlo feierte Sébastien Loeb noch einen weiteren Sieg, ehe Rovanperä seinem Namen alle Ehre machte und es Vater Harri mit einem Sieg in Schweden gleichtat.
Noch beeindruckender war jedoch der Triumph in Kroatien bei extrem schwierigen Bedingungen. «Für mich ist das Kalles beste Leistung aller Zeiten», meinte Jari-Matti Latvala.
Bei Regen und Nebel führte Rovanperä bis zum Sonntagnachmittag das Feld an, als er bei sintflutartigem Regen auf den falschen Reifen unterwegs war. Tänak übernahm die Führung mit 1,5 Sekunden Vorsprung vor der verbleibenden Power Stage, die auf mit einer dicken Schlammschicht bedeckten Straßen ausgetragen werden sollte. «Wir wussten, dass Ott die besseren Reifen für die Verhältnisse hatte», sagte Jari-Matti Latvala. «Ich habe dann durchgerechnet, wie viele Punkte wir an Hyundai verlieren würden. Als die ersten Zwischenzeiten von Kalle auf dem Bildschirm erschienen, waren wir alle verblüfft. Niemand hatte eine Erklärung dafür, wie er so schnell sein konnte. Es war ein Wunder! Das Tempo war so hoch. Wie konnte er das mit den harten Reifen schaffen? Irgendwie hat er es jedenfalls geschafft und die Etappe tatsächlich gewonnen.»
Der Finne war aber nicht nur pfeilschnell, sondern zeigte auch Reife und Coolness unter Druck. Nach den Siegen in Schweden und Kroatien gewann Rovanperä auch in Portugal, Kenia, Estland und holte mit seinem sechsten Saisonsieg in Neuseeland seine erste WM-Krone, und die erste nach 30 Jahren nach Finnland (2002: Marcus Grönholm) wieder.
2023 wartet eine neue Herausforderung auf ihn – die Titelverteidigung.
Quelle: Red Bull