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Vor 40 Jahren: Riccardo Paletti stirbt in Montreal

Von Mathias Brunner
Vor 40 Jahren verlor der junge Italiener Riccardo Paletti nach einem Startunfall beim Kanada-GP in Montreal sein Leben. Das Traurige daran: Er wollte zu diesem Zeitpunkt gar nicht in einem Formel-1-Rennwagen sitzen.

Montreal 2022 ist für mich kein Rennen wie jedes andere: Vor vierzig Jahren sah ich in der kanadischen Stadt meinen ersten Formel-1-Grand Prix. Es war eine traurige Premiere, denn Kanada 1982 war jenes Rennen, in welchem der junge Osella-Fahrer Riccardo Paletti ums Leben kam. Der Mailänder Unternehmers-Sohn wurde nicht einmal 24 Jahre alt.

Die Formel 1 ist ein einziges atemloses Vorwärts-Taumeln, da verfliegt die Zeit ziemlich schnell, auch für einen Berichterstatter. Sind es wirklich schon 40 Jahre her, dass ich aus Montreal von meinem ersten Grand Prix berichtet habe? Kaum zu glauben.

Normalerweise mag ich meinen Platz als Chronist, mein Ego braucht kein Scheinwerferlicht, aber heute erlaube ich mir mal, auch über mich selber zu schreiben, denn 520 Formel-1-Läufe in vierzig Jahren, das hat schon was.

Nach Abschluss einer Wirtschaftsschule machte ich mich auf die Socken nach Nordamerika, ausgerüstet mit einem asthmatischen Mini-Van, einer Reiseschreibmaschine, die aus dem Museum zu kommen schien, und dem Enthusiasmus der Jugend.

Ich besuchte alle möglichen Formen von nordamerikanischem Rennsport: CART (heute IndyCar) in Cleveland, NASCAR in Pocono, die Formel 1 in Montreal, CanAm in Mosport und Dragster in Englishtown.

Als Formel-1-Debütant in Montreal dachte ich: Gut, wo stelle ich mich beim Start hin? Hm, vielleicht kurz nach dem Start links an der Leitschiene, dann kann ich zusehen, wie die Fahrer Positionskämpfe zeigen, auf dem Weg zur ersten Kurve.

Unglaublich: Niemand hat einen damals daran gehindert, sich gleich an der Piste zu positionieren. Das wäre heute undenkbar. Zumal nur eine kniehohe Leitschiene vor den heranschiessenden Rennwagen schützte.

Was dann passierte: Didier Pironi blieb mit dem Ferrari auf der Pole-Position wie angeklebt stehen, der junge Riccardo Paletti war so auf die richtigen Schaltzeitpunkte konzentriert, dass er auf seinen Drehzahlmesser hinunterschaute statt auf die Bahn vor sich und prompt Pironi ins Heck knallte.

Der Osella des Italieners kam wenige Meter vor mir zum Stehen, der Italiener hing leblos in den Gurten.

Dann brach Feuer aus.

Die Streckenposten hüllten den Wagen in Löschstaub. Aber das Feuer loderte mehrfach erneut hoch. Eine schwarze Rauchsäule bildete sich.

Inzwischen näherte sich die Mutter von Paletti, es war wie in einer italienischen Oper, nur eben grauenvolle Realität, «Riccardo! Riccardo!» schrie sie und traf Anstalten, über die niedrige Leitschiene zu steigen und sich in die Flammen zu stürzen.

Teamchef Enzo Osella musste sie davonzerren.

Paletti verblutete vor unseren Augen, seine Aorta war gerissen, wie die Ärzte später feststellten. Dazu hatte er sich schwere Beinbrüche zugezogen.

Wie in Trance ging ich danach mit Piloten sprechen, bis der Start erneut freigegeben wurde. Es war das Rennen, als in der Dämmerung Nelson Piquet den ersten Sieg für Brabham-BMW errang.

Als ich am Abend in meinen Mini-Van zurückkehrte, Geld für ein Hotelzimmer hatte ich nicht, dachte ich: «Also wenn das die Formel 1 ist, dann weiss ich nicht, ob ich das aushalte.»

Was mich beim Verlust von Riccardo Paletti immer besonders berührt hat: Eigentlich wollte der Mailänder 1982 überhaupt nicht in der Formel 1 antreten.

Paletti stammte aus einer wohlhabenden Familie: Immobilien, Bau-Unternehmen, sein Vater Arietto war zudem italienischer Importeur der japanischen Unterhaltungs-Elektronikfirma Pioneer.

An Geld mangelte es Paletti nie, der übrigens ein überaus begabter Allround-Sportler war: italienischer Karate-Jugendmeister, Mitglied der italienischen Ski-Nationalmannschaft.

In Sachen Motorsport war Paletti ein Spätzünder, der von einem erfolgreichen Vater vorangetrieben wurde: Debüt 1978 in der Formel Ford, Formel 3 im Jahre 1979, 1980 und 1981 Formel 2 (Rang 3 in Thruxton/England) als Highlight, dann kam Paletti mit Pioneer-Geld bei Enzo Osella in der Formel 1 unter.

Riccardo war das alles zu forsch: Er sprach davon, dass er lieber in der Formel 2 geblieben wäre, um dazu zu lernen. Aber sein Vater war überzeugt davon, dass sich sein Sprössling durchsetzen würde.

Es kam, wie es kommen musste: Als Stallgefährte des erfahrenen Jean-Pierre Jarier war Paletti in der Weltspitze überfordert.

Nicht qualifiziert in Argentinien, nicht vorqualifiziert in Brasilien, nicht qualifiziert in Long Beach, erster Grand Prix in Imola, aber ausgefallen, nicht vorqualifiziert in Belgien, nicht vorqualifiziert in Monaco.

In Detroit war Paletti schnell genug, um es zu schaffen, aber dann explodierte im Wagen von Jarier während des Aufwärmtrainings der Feuerlöscher, der Franzose übernahm als Nummer 1 das Auto von Paletti. Dann der Unfall in Montreal.

Die Formel 1 stand unter Schock, denn nur etwas mehr als einen Monat davor war Ferrari-Star Gilles Villeneuve in Zolder (Belgien) ums Leben gekommen.

Heute heisst die Rennstrecke in Montreal ihm zu Ehren «Circuit Gilles Villeneuve». Und auch Riccardo Paletti wurde auf diese Weise geehrt: Seit 1983 heisst das Autodromo von Varano in der Provinz Parma «Autodromo Riccardo Paletti».

Riccardo Paletti liegt auf dem Hauptfriedhof von Mailand begraben.


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