40 Jahre Formel 1: So hat sich der Sport verändert
Im Laufe von 40 Jahren gab es so manche überraschende Begegnung
Mein erster Grand Prix-Besuch als Berichterstatter war Montreal 1982. 520 WM-Läufe später stehen wir erneut vor dem Grossen Preis von Kanada, und manchmal muss ich mich kneifen, wie die vergangenen vierzig Jahre verflogen sind.
Der Sport hat sich in diesen vier Jahrzehnten komplett verändert. Es gab in den 1980er-Jahren viel weniger Journalisten in der Formel 1, die Piloten waren zugänglicher. Es gab keinen Mediendelegierten weit und breit. Du bist zu einem Piloten gegangen, hast ihm eine Frage gestellt und Antwort erhalten, das war’s. Es gab keine Ausflüchte und kein PR-Gewäsch.
Einmal hat es am Osella von Christian Danner den Alfa-Turbomotor zerrissen, es hat gebrannt, und die Teile sind nur so aus dem Heck des Rennwagens auf die Fahrbahn gepurzelt.
Ich bin in die Box runter und habe einen Mechaniker gefragt: «Was war los?» Der Italiener, ohne mit der Wimper zu zucken: «Ölverlust.» – «Ölverlust? Spinnst du? Ich habe doch gesehen, wie es den Motor zerfetzt hat.» – «Na dann komm mal mit.»
Der Schrauber hob mit schwieligen Händen die Motorverkleidung vom Wagen, im Block klaffte ein faustgrosses Loch, aus dem Schmierstoff sickerte. «Siehst du? Ölverlust …»
Heute würde ein Journalist keinen Fuss in eine Box setzen, geschweige denn eine solche Antwort erhalten.
Es gab keine voll vernetzten Pressezentren mit Dutzenden von Schirmen. Du hast dich in eine strategisch günstige Kurve gestellt und eine Rundentabelle geführt. Du hast aufgeschrieben, wenn ein Fahrer verdächtig spät aufgetaucht ist oder auf einmal fehlte. Später bist du ins Fahrerlager gestapft und hast in Gesprächen mit den Piloten gewissermassen das Rennen rekonstruiert.
In Monaco habe ich abgesehen von der GP-Berichterstattung jahrelang über das Formel-3-Rennen geschrieben. Das Fahrerlager war zwei Kilometer vom Mediensaal entfernt. Es gab keine Busse. Dafür hatten alle Fahrer Zeit, um mit dir zu reden. Dann bist zu zurück in den Presseraum (in einer Tiefgarage, so weit zum Glamour der Formel 1), hast dich hingesetzt und denn Rennbericht geschrieben. Es wurde spät, der letzte Zug Richtung Menton war längst abgefahren. Kein Taxi weit und breit. Also bin ich losmarschiert, in der Hoffnung, dass mich ein Kollege sieht und mitnimmt. Mein Lebensretter war der Schweizer Journalist und Buchautor Adriano Cimarosti.
Technische Wunderwerke
Wir haben ein Gerät wie den Telefax wie ein Weltwunder bestaunt (heute würde ein Teenager sagen: «Was ist Telefax?»), später kamen die Urgrossväter der heutigen Laptops, wie ein Olivetti, dessen Display aus nur fünf Zeilen bestand, oder ein Tandy 200. Die Texte wurden per Akustik-Koppler übermittelt, der Hörer dazu tief in die Kopplerschalen gepresst, und wenn einer im Raum während der Übertragung gehustet hat, ist die Verbindung zusammengebrochen. Du bist als Journalist auch zusammengebrochen. Die Übermittlung heute ist dagegen das reinste Kinderspiel.
Ich mag keine Menschen, die ständig von der guten alten Zeit faseln. An der alten Zeit war nicht alles gut. Doch die Fahrer waren echte Kerle und keine schmächtigen Teenager, die Angst vor dem eigenen Schatten zu haben scheinen und wie geklont wirken. Die Piloten hatten Zeit, ihr Tag war nicht so durchgetaktet wie heute.
Der Begriff der politischen Korrektheit war in weiter Ferne, und entsprechend haben sich die Fahrer verhalten. Es gab mehr Vertrauen zwischen Piloten und Journalisten. Es gab keine Handys, also auch keine verwackelten Filmchen von Fahrern, die am Abend die Sau rauslassen. Natürlich schlugen die GP-Stars unfassbar über die Stränge, aber ihr Privatleben blieb privat. Hat sich einer zugeschüttet oder ist mit zwei Schönheiten ins Hotel abgehauen, wurde das zur Kenntnis genommen, aber nicht thematisiert.
Grosse Rennfahrer
Als Kind habe ich die Schweizer Piloten Jo Siffert und Clay Regazzoni verehrt. Ich staunte über den Scharfsinn von Niki Lauda und über seine Offenheit. Ich hörte gebannt Ayrton Senna zu, wenn er uns gewissermassen mit ins Auto nahm und berichtete, was da draussen passiert.
Ich schätzte den Schalk von Gerhard Berger. Ich bewunderte die Hingabe von Michael Schumacher. Ich mochte den trockenen Humor von Mika Häkkinen und die Leidenschaft von Fernando Alonso. Ich darf mich glücklich schätzen, einige der ganz Grossen auf der Rennstrecke erlebt zu haben: Lauda und Prost, Senna und Schumacher, Hamilton und Alonso und Vettel. Mit der nächsten Generation und Piloten wie Verstappen, Leclerc, Russell, Norris und Piastri ist die Königsklasse für die Zukunft bestens aufgestellt.
Da fällt mir eine Geschichte mit Niki Lauda ein.
Bei einem modernen Formel-1-Wintertest tauchen die Fahrer meist nur noch zu Gruppengesprächen auf, argwöhnlisch bewacht von einem Mediendelegierten. Gespräche werden aufgezeichnet, Zeitfenster werden auf die Sekunde genau eingehalten. Kaum ein Pilot, der gegen diese Entmündigung mal aufmucken würde. Die meisten Lenkrad-Artisten scheinen froh zu sein, sich wieder im Renntransporter verkriechen zu können, wenn diese Pflichtübungen absolviert sind.
Damals ging das ungefähr so: War eben ein Motor hochgegangen oder ein Getriebe zerbröselt (beides kam damals ziemlich häufig vor), dann zuckte der Fahrer mit den Achseln und stellte sich an die Boxenmauer – um den Gegnern bei der Arbeit zuzuschauen oder um mit einem Kollegen zu tratschen, der ebenfalls Zwangspause hatte. Die Fahrer waren offen, nahbar, normal, kein Medienverhinderer weit und breit.
Mein toller Plan als Reporter-Grünschnabel Anfang der 1980er Jahre bestand darin, bei einem Wintertest in Le Castellet (Südfrankreich) mit Niki Lauda und Alain Prost zu sprechen.
Der zweifache Champion Lauda in seiner zweiten Formel-1-Karriere, nun mit McLaren, und der aufstrebende Renault-Pilot aus Frankreich, ohne Zweifel ein kommender Weltmeister. Als Alain – ganz offensichtlich nicht übertrieben beschäftigt – bei der Box herumstand, näherte ich mich zaghaft.
Ich stellte mich vor und fragte höflich, wann er vielleicht fünf oder zehn Minuten für mich hätte. In seinem nasalen Frenglisch antwortete Prost, nachdem er mich von oben bis unten gemustert hatte, so als wäre ich im Taucheranzug in die Oper gekommen: «Ich bin derzeit überaus beschäftigt. Ich habe gleich ein ganz wichtiges Meeting mit meinen Technikern. Schauen Sie doch später nochmals vorbei.»
Gut, dachte ich, ganz offensichtlich hat Monsieur Prost Wichtigeres zu tun als mit einem ihm unbekannten, jungen Berichterstatter zu sprechen, das verstehe ich. Ich fragte bei McLaren nach Niki Lauda, aber niemand schien zu wissen, wo der Österreicher steckte.
Ich machte einen kleinen Rundgang und kam dreissig Minuten später um die Ecke geboten, als ich Prost bei seiner wichtigen Sitzung ertappte: Er spielte unter der Markise des Renault-Campers (merke: keine Motorhomes damals) mit seinem Kumpels Karten. Ich war sehr enttäuscht und machte innerlich eine kleine Notiz punkto Charakter.
Kurz darauf kam Niki Lauda herbei. Ich versuchte mein Glück erneut. Antwort des Wieners: «Nun, ich muss jetzt in die Box, um am Wagen etwas zu prüfen, aber kommen Sie doch in dreissig Minuten nochmals vorbei.»
Das kam mir bekannt vor, aber ich war nach zwanzig Minuten zurück, immerhin bin ich Schweizer. Lauda trat auf die Sekunde pünktlich aus der Box, winkte mich herüber, und da waren wir wieder beim Camper, allerdings nicht unter Renault-Gelb, sondern unter Weiss-Rot von McLaren.
Wir setzten uns, jemand von McLaren bot ein Mineralwasser an, und ich war hin und weg, mit welcher Geduld und Ausführlichkeit Niki Lauda meine Fragen beantwortete.
Lauda war komplett offen, tiefgründig, humorvoll, zwischendurch streute er eine Anekdote ein. Was zehn Minuten hätten werden sollen, wurde eine Stunde.
Alain Prost von Renault gegenüber schaute ab und an von seinen Karten hoch, milde irritiert.
Ich habe nie vergessen, wie viel Zeit sich ein Formel-1-Weltmeister für einen jungen Mann nahm. So etwas wäre heute undenkbar.