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24h Le Mans: Garage Nummer 56

Von Yörn Pugmeister
Ein 47jähriger Franzose ohne Hände und ohne Füsse hat sich schier Unmögliches vorgenommen: er will in Le Mans das anspruchsvollste 24h- Rennen der Welt in einem offenen, 300 km/h schnellen Sportwagen bestreiten.

Längs eines Renntransporters geht es zwischen Reifen in die Boxe Nr.56. Drinnen sitzt der Mann. Beide Beine bis auf die Oberschenkel amputiert, mit einem kurzen, rechten Armstumpf. Man streckt ihm die Hand, er reicht seinen linken Unterarm-Stumpf zum Umfassen. «Ca va?», fragt Frédéric Sausset. Man weiss nicht recht, wie man sich verhalten soll. Fred hilft, ungefragt: «Ich möchte, dass man mich wie eine ganz normale Person betrachtet, wenn man mit mir spricht, ganz ohne Mitleid.» Nicht ganz einfach, zugegeben.

Der Auslöser
Als Lückenfüller zwischen einem Bürogebäude und fünf neuen Garagen entstand 2010 jene Boxe Nr.56, in die der Veranstalter ACO stets besonders innovative Teams mit neuen Techniken und futuristischen Konzepten einzuladen gedachte. So brach anno 2012 der unselige Nissan Deltawing von ihr aus auf. Zwei Jahre später startete dort auch der glücklose Nissan-Zeod RC zu seiner einzigen Runde mit Elektroantrieb – beim Warmup. Der für 2013 eingeplante Green GT mit Wasserstoff-Antrieb passte schon lange vor dem Rennen. «Wir müssen die Boxe 56 nicht zwingend besetzen», so ACO Sportdirektor Vincent Beaumesnil. «Eingeladene müssen den Prinzipien und den Zielen des ACO entsprechen.»

Die Herausforderung
Frédéric Sausset, Mann mit vier amputierten Gliedmassen, entspricht diesen Vorgaben offenbar, irgendwie, obwohl er in einem höchst konservativen LMP2 antritt. Aber allein die Tatsache, dass ein Schwerst- Gehandicapter sich dem 24h-Wahnsinn, selbst wenn er ausser Konkurrenz fährt, aussetzen will, ist höchst innovativ. Abgesehen von den neuartigen Techniken im Auto, die einen solchen Einsatz erst ermöglichen. Nicht zu vergessen die Geschichte der 'Herausforderung SRT 41', wie das Team seinen Einsatz nennt, an sich.
2012 müssen dem Textil-Kaufmann Sausset nach einer bakteriologischen Erkrankung grosse Teile seiner Gliedmassen entfernt werden. Obwohl er vielleicht als Junge vom Rennfahren träumte, ohne es vor 2015 je praktiziert zu haben, will er danach in Le Mans dabei sein, trotz seiner Handikaps. «Ich brauchte etwas Unglaubliches, um mich zu motivieren, um nicht wie ein Gemüse vor dem Fernseher zu hängen.»
Freund Christophe Tinseau aus seiner Heimatstadt Blois und Jean- Bernard Bouvet, beide mit Le Mans-Erfahrung, werden ihm dabei helfen. Man tut sich zusammen mit OAK-Racing und präpariert einen Morgan. Mit einem geplanten Budget von drei Millionen Euro – die weitgehend von einer Masse Kleinspender stammen – kann der Traum der drei Freunde realisiert werden

Die Vorbereitungen
Ab 2013 widmet sich Frédéric seiner körperliche Ertüchtigung – und absolviert viele, viele Tests und Rennen der VdeV- Langstrecken-Rennserie auf diversen Strecken mit dem Prototyp, der für seine Bedürfnisse modifiziert werden kann: er lenkt mit seinen linken Armstumpf, der in einer Glasfiber-Manschette steckt. «Die Dreiviertel-Lenkradumdrehung, zu der ich fähig bin, reicht auch, um ein ausbrechendes Auto zu fangen», Frédéric ist positiv. Gas gibt er von seinem Sitz aus mit dem linken Beinstumpf, die Bremsverstärker-Anlage spricht er mit dem rechten an. Vier, fünf Stunden am Stück kann er fahren, in Le Mans sollen es nur drei sein. Über permanent eingeschalteten Funk wird ihn seine Boxe überwachen - und ihn zum Fahrerwechsel reinholen. «Fahrerwechsel samt Umbau des Autos dauern 3,5 bis 4 Minuten», so sein Gefährte Tinseau. Fred ist bisweilen fast euphorisch: «Wenn ich fahre, dann entkomme ich meinem Körper, dann fliege ich, vergesse viele Dinge.»

Die Bedenken
FIA und ACO gaben dem Gehandicapten grünes Licht für seine doch höchst aufwendige Demonstration von Selbstvertrauen und Selbstbestätigung. Und: der ACO glänzte auf in einer menschlich wirkenden Grosstat, die vielen der übrigen 177 Rennfahrer eher leichtfertig erscheint, als durchaus gefährlicher PR–Gag. Aber: die Sausset-Truppe zeigte dem ACO und der FIA samt dessen Ärzte-Team, dass Frédéric dank eines pneumatischen Hebemanövers seines Sitzes das Auto aus eigener Kraft in weniger als die geforderten 12 Sekunden verlassen kann. Dass er in der Lage ist, seine vier Notblinker und das Fernlicht sogar mit dem Rest seines rechten Arms auszulösen. Dass er Rundenzeiten um wenig über vier Minuten fahren kann.

Fred macht es einem nicht ganz einfach, sich zu verabschieden, ein paar Stunden vor dem Rennen. Er streckt seinen linken Unterarm aus, deutet rechts mit Vorbeugen der Schulter eine Umarmung an. «Ich versuche, mich zu akzeptieren, man muss auch mich akzeptieren.»

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