Dr. Helmut Mander: Im Pop-Kadett zu über 100 Siegen
Es war an einem Freitag, Mitte April 1974. Helmut Manders berühmter Pop-Kadett stand auf dem Hof des Marburger Opel-Händlers. Und wollte nicht anspringen.
Mander hatte vor, ehe die anvisierte Berg-Europameisterschaft in Angriff genommen werden sollte, einen Probe-Galopp mit seinem 200-PS-Tourenwagen zu absolvieren. Das Ziel war ein Bergrennen unweit von Lüttich, Couse de Cote de Fléron.
Der Motor war über den Winter einer Generalüberholung unterzogen worden, das schon mehrfach schlimm deformierte Blechkeid ausgebügelt und stadtfein gemacht, und das Fahrwerk hatte auch noch die eine und andere Finesse erfahren.
Mander war gerade im Begriff, seinen Renner mit einigen Helfern auf den Transporthänger zu manövrieren. Aber der verflixte Motor sprang nicht an. Motorhaube auf, die üblichen Fehlerquellen kontrolliert, Startversuch, nichts. Die Prozedur wurde mehrfach durchgespielt. Das Ergebnis war und blieb immer das gleiche. Der Kadett wollte nicht.
Mittlerweile standen alle Mechaniker um den sonst so schnellen Opel herum, doch kein noch so guter Rat schuf Abhilfe. Schließlich entschied Mander, von Natur aus mit gesundem Optimismus gesegnet, jetzt erst einmal aufzuladen und Richtung Belgien davonzutuckern.
Wie gewohnt schlängelte sich Mander im Fahrerlager von Fléron auf den Hänger und in den Schalensitz, um abzuladen. Mehr aus Gewohnheit tätigte er sodann den Starter. Wie selbstverständlich erhob der Hochleistungs-Querstrommotor sein heiseres Gebell.
Und wie selbstverständlich kämpfte Mander auf der schwierigen Bergpiste fast alle nieder: Klassen- und Gruppensieg (zum dritten Mal nach 1972 und 1973) und im Gesamtklassement Zweiter hinter einem Formel-2-Piloten.
Eine typische Szene einer äußerst ungewöhnlichen, aber letztlich sehr erfolgreichen Rennfahrer-Karriere.
Die liest sich so: Über Messerschmidt-Kabinenroller und NSU Prinz IV diente sich der Student der Volkswirtschaftslehre zunächst im 1150er-NSU TT 1970 zum Gesamtdritten bei der Deutschen Bergmeisterschaft hoch.
Und dann kam der Kadett, dem man bis dato landläufig eher Familien- denn Renntauglichkeit zugetraut hätte.
Manders Kalkül: Die US-Version des braven zweitürigen Kadetts mit 1,9 Liter-Motor hatte gegenüber den BMW einen spürbaren Gewichtsvorteil und der von Irmscher entwickelte Querstrom-Zylinderkopf war gut für 200 PS.
In den acht Einsatzjahren jagte Mander seinen knallbunten Kadett an der verwunderten Konkurrenz vorbei zu exakt 33 Klassen-, 62 Gruppen- und acht Gesamtsiegen die Berge hoch, ließ im Regen bisweilen sogar Formel-2-Renner und Sportwagen hinter sich und brachte es so 1972 zum Bergeuropameister- (der Tourenwagen-Trophy), und von 1973 bis 1976 zum Vizetitel in der GT-/Tourenwagen-Wertung.
Besondere Delikatessen: ein überlegener Klassensieg beim internationalen Opel-Markenrennen auf dem Nürburgring 1972 und 1974 ein Gesamtsieg bei EM-Rennen am Mendelpass vor über 200 Teilnehmern.
Manders größte Enttäuschung in der langen erfolgreichen Kadetten-Laufbahn: «1976 wollte ich endlich aus dem Schatten des Vizemeisters heraustreten. Aber dann gab es beim Bergrennen Trento-Bondone den schlimmsten Unfall. Bei gut 130 km/h berührte ich leicht eine Felswand, ein Reifen wurde aufgeschlitzt. Es gab nur einen kleinen Zucker im Lenkrad, doch in der nächsten Kurve knallte ich ungebremst in die Felswand. Aus einem eigentlichen Totalschaden wurde in Italien in zehn Tagen ein fast neues Auto gezimmert.»
Aber damit nicht genug: «In Andorra dann zum Abschluss 1976 gab es noch eine kleine Chance, aber durch einen Hinterachs-Hüpfer auf der welligen Straße schlug ich in die Leitplanke ein – dann war auch diese Chance dahin.»
Als Dank dafür, dass ich jahrelang den Schmiermaxen bei seinen Trips zur Europa-Bergmeisterschaft gemacht hatte, bot mir Helmut Mander einmal an, seinen Pop-Kadett in Hockenheim zu fahren. Für einen ungeübten Fahrer wie mich war der Kadett extrem schwierig zu bewegen, außerdem war es kalt und die Slicks griffen so schlecht, dass es mich schon in der ersten Runde am Ausgang der Ameisenkurve fast herauswedelte.
Ich mühte mich nach Kräften, war aber weit davon entfernt, das Potential des aggressiv bellenden Opels auszuschöpfen. Schließlich übergab ich an den Eigentümer, der seinen Schatz nach wenigen Runden mit Motorschaden abstellen musste. Ob ich ihn vorgeschädigt hatte, war nie ein Thema, was ich meinem alten Freund nie hoch genug anrechnen konnte.
Noch während seiner Opel-Zeit promovierte Mander mit dem Thema «Automobilindustrie und Automobilsport» und finanzierte das Ganze – Studium und Rennerei – mit Tennis-Trainerstunden.
Mit dieser frühen Lebensleistung war er geradezu prädestiniert für einen Vorzeige-Job im Autogeschäft, Erfüllung in seinen Leidenschaften, Autos und Tennis inklusive: 25 Dienstjahre bei Ferrari Deutschland ließen ihm die Zeit, so manches Tennisturnier in allen Altersklassen zu gewinnen, (zweimaliger Einzel-Hessenmeister) bis ihn eine dreifache Hüftoperation mit großen Komplikationen hier aus dem Rennen nahm.
Heute, mit seinen 85 Lenzen, erfreut er, der früher mit atemberaubend hohem Tempo bergauf strebte, sich der Entdeckung der Langsamkeit . «Mit meiner Lebensgefährtin Jutta radeln wir an den nahegelegenen Flüssen entlang, halten uns so ein wenig fit und genießen die frische Luft.»