Timo Scheider: Entspannt 3 1/2 Hamburger verbrannt
Sein Fitnesstrainer erklärt, wie sich Timo auf die Rennen vorbereitet und worauf es in der populärsten internationalen Tourenwagenserie körperlich wirklich ankommt.
Timo Scheider ist nicht nur einer der erfahrensten Pilot im Feld der DTM – kein anderer ist wie er schon seit der Premierensaison dabei – mit 36 Jahren ist er außerdem der Zweitälteste. Nur Audi-Markenkollege Mattias Ekström ist um 119 Tage älter als der gebürtige Lahnsteiner. Deshalb gehört er aber noch nicht zum alten Eisen: Mit Platz vier am Lausitzring stellte der Meister der Jahre 2008 und 2009 erst kürzlich eindrucksvoll unter Beweis, dass er noch lange nicht bereit ist, den Jungen Wilden das Feld kampflos zu überlassen.
Wirft man nun einen Blick auf die Aufzeichnungen des Pulsmessers, dann gibt das Datenblatt zunächst Anlass zur Verwunderung: Mit einer durchschnittlichen Herzfrequenz von 140 Schlägen pro Minute scheint Scheider hinterm Lenkrad seines 460 PS-Boliden relativ entspannt zu sein. Selten erreicht der Puls Spitzenwerte von rund 160, ansonsten wirkte der sechsmalige DTM-Sieger eher unbeeindruckt. Im Verlauf des sechzigminütigen Rennens auf dem Norisring verbrannte Scheider 828 Kilokalorien - das entspricht lediglich der Energiemenge von dreieinhalb Hamburgern einer bekannten amerikanischen Fastfoodkette. Was ist das Geheimnis hinter Scheiders Gelassenheit – sind DTM-Rennen am Ende etwa nicht viel anstrengender als ein normaler Dauerlauf?
Der ehemalige Radrennprofi Martin Kiechle, der Scheider seit vier Jahren trainiert, klärt auf: «Hätte man den Pulsmesser einem anderen Fahrer gegeben, dann würde die Sache wahrscheinlich ganz anders aussehen. Timos Werte sind das Ergebnis eines langen und harten Trainings, mit dem er sich von Jahr zu Jahr gesteigert hat. Früher hatte auch er einen Puls von 170 und nur mit diszipliniertem Training hat er sich das erarbeitet, was wir jetzt hier sehen.»
Für diese Fitness arbeitet Kiechle mit dem DTM-Profi konsequent an dessen Ausdauer: «Eine gute Kondition ist wichtig, damit er im Auto nicht aus der Puste kommt und konzentriert bleibt. Während der Dauerbelastung eines Rennens steigt außerdem die Laktatkonzentration im Blut. Damit der Körper damit klarkommt und das Laktat schneller wieder abbaut, ist Intervalltraining mit Belastungsspitzen sehr wichtig.»
Formel Eins-Fahrer berichten häufig von ihrem besonderen Training des Nackens. Das ist laut Kiechle aber längst nicht alles: «Natürlich ist die Rumpf- und Nackenmuskulatur wichtig, aber eigentlich muss der ganze Körper stabil sein vom Fuß bis zum Nacken hoch. Deshalb ist Radfahren ein gutes Training: Wenn man mit dem Mountainbike unterwegs ist, hilft es ja auch nicht, wenn man bloß Kraft in den Beinen hat und dann die Arme nachgeben. Das ist im Auto das gleiche, auch hier muss Timo die Spannung halten können.»
Gerade am Norisring hängen die Piloten bei den vielen Vollbremsungen ganz schön in den Sicherheitsgurten ihrer Schalensitze. Anders als beispielsweise der Kurs in Zandvoort mit seinen schnellen Richtungswechseln sind die Kurven in Nürnberg sehr eng und daher langsam zu durchfahren. Nachdem die Fahrer auf der Geraden Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 260 Kilometern pro Stunde erreichen, müssen sie vor der Grundig-Kehre innerhalb weniger Meter extrem herunterbremsen und das Auto um rund 200 km/h verlangsamen. Diese Prozedur über die Renndistanz 73 mal auf den Punkt genau zu timen und nicht etwa geradeaus zu fahren oder im engen Positionskampf einen Gegner abzuräumen erfordert nicht nur Kondition, sondern auch höchste Konzentration.
Dafür hat Fitnesstrainer Martin Kiechle sein eigenes Rezept: «Ich setze mich jetzt nicht mit ihm hin und sage ‚Werde eins mit deinem Körper’ oder so, sondern ich fordere ihn während der Belastung. Im Frühjahr sind wir beispielsweise gemeinsam beim Cape Epic gestartet, dem härtesten Mountainbike-Etappenrennen der Welt. Das wollten wir aber nicht bloß gut hinter uns bringen, ich habe ihm immer wieder gesagt ‚Gib alles, du machst das hier für die DTM’. Deshalb habe ich auch immer 100 Prozent Konzentration von ihm verlangt – selbst wenn wir schon sechs Stunden unterwegs waren, wollte ich, dass er jeden Singletrail sauber ausfährt und auch kleine Details berücksichtigt.»
Die Summe all dieser Anstrengungen bringt auf der Rennstrecke im richtigen Moment vielleicht genau jene Zehntelsekunden, die über Sieg oder Niederlage entscheiden. Und der Augenblick, wenn die Zielflagge fällt und er als erster über die Linie fährt, ist Timo Scheider sicherlich jeden Schweißtropfen wert.
Eines aber ist für Martin Kiechle sicher: Auf dem Ergometer wäre sein Schützling bereits jetzt die Nummer eins. «Von der Kondition her kann ihm keiner im Fahrerlager das Wasser reichen, da gehe ich jede Wette ein.»